Am Anfang stand der Klon

Der Hirnwissenschaftler und Medizinethiker Detlef Linke über unsere Klon-Kultur, über Unsterblichkeit und die Zukunft der Sexualität

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

: Nachdem man das erste Mal ein Klon aus einer erwachsenen Zelle, die man in eine entkernte Eizelle eingepflanzt hat, herstellen konnte, ist nicht nur das geklonte Schaf Dolly berühmt geworden, sondern brach auch eine panische Aktivität aus, um das mögliche Klonen von Menschen zu verhindern. Wenn wir nun einmal davon ausgehen, man könne und dürfe auch Menschen klonen, für was könnte das denn jenseits aller ethischer Bedenken gut sein?

Detlev Linke: Zur Zeit haben die Menschen noch nicht gesehen, daß es dafür Interessen geben kann. Wenn man diese erläutern würde, könnte vielleicht der Bedarf geweckt werden. Zum Beispiel könnte es ja sein, daß einige Menschen besonders gut an bestimmte Umwelten angepaßt wären, was etwa für Weltraumflüge vorteilhaft sein könnte. Wenn man diese Menschen sich nur über genetische Mischung fortpflanzen ließe, würde man die Chance verpassen, eine gute Erbanlage zu erweitern, die vielleicht unempfindlicher gegenüber Radioaktivität oder Schwerelosigkeit ist.

Man sagt ja immer, daß das Klonen von Menschen nicht passieren dürfe. Die Frage aber ist, ob dies nicht bereits einmal geschehen ist. Wenn man sich die christliche Geschichte von der Gottesgebärerin anschaut, die kein Erbgut zur Geburt von Gottes Sohn beigetragen hat, dann mußte das genetische Material vom Vater stammen. Damit stünde am Anfang unserer Zeitrechnung ein Klon, der mit dem Vater identisch war. Das ist in genetischer Terminologie vielleicht die tiefere Aussage der Trinitätstheorie, also der Identität der Drei in Einem. Aus dieser Perspektive würde die Frage gar nicht mehr anstehen, ob ein menschliches Klon auf die Welt kommen könne, weil das schon passiert ist.

Das wäre jetzt bloß die demokratische Einlösung der einst für Gott reservierten Menschwerdung.

Detlev Linke: Ja, es realisiert sich nur das, was am Anfang der abendländischen Geschichte steht. Jetzt wird der Weg vom schottischen Schaf zum Lamm Gottes noch einmal gegangen. Konkret empirisch ist die Frage, was wäre, wenn man im Turiner Grabtuch noch verwertbares Erbmaterial finden würde, also wenn man daraus einen Klon herstellen könnte und der Heiland dann multipel aufkreuzen würde. Das wären doch spannende Fragen, die uns natürlich schockieren, aber die uns vielleicht nicht so schockieren würden, wenn wir uns klar machen, daß aus einer gewissen Perspektive die ganze Geschichte unserer Kultur schon die eines Klons ist und daß unsere höchsten Werte, beispielsweise das, was wir Identität nennen, bereits Exemplifikationen dieser Verwirklichung sind.

Um das einmal konkret zu machen. Detlef Linke läßt sich aus seinen Zellen ein paar Klons heranwachsen ...

Detlev Linke: Das wäre in unserer Kultur ja auch übersichtlicher, was beispielsweise erbrechtliche Fragen anginge. Man bekommt keine Kinder mehr, deren Ergbut gemischt ist, so daß man sich bei der Scheidung fragen muß, zu wem das Kind denn kommen soll. Man könnte zur Zwei-Klon-Ehe übergehen. Den einen Klon behalte ich, den anderen behältst du. Dann könnte man problemlos eine neue Partnerschaft eingehen, weil die Kinder dann immer natürlich zu ihrem Urklon zurückkehren würden. Das wäre eine konsequente Fortsetzung der Single-Kultur, die sich in der letzten Zeit sowieso bereits entwickelt hat.

Identität ist einer der höchsten Werte. Was geschieht, so ließe fragen, wenn plötzlich zwei oder mehr Detlef Linkes herumlaufen? Das Problem scheint nur zu sein, daß ja lediglich das Genom kopiert wird, aber nicht die personale Identität eines Menschen. Klafft über die Möglichkeit des Klonens die Kluft zwischen Körper und personaler Identität nicht bloß noch weiter auf?

Detlev Linke: Das wird natürlich interessant, und da werden die Menschen natürlich auch gerne experimentieren wollen. Noch einmal Goethe, die Frau von Stein und die Ulrike von Sesenheim in einem neuen kulturellen Setting, um dann deren Interaktionen und Kommunikationsstrukturen bei gleicher genetischer Ausstattung, aber unterschiedlicher kultureller Situation noch einmal zu prüfen. Damit könnte man herausbekommen, was Persönlichkeit im Verhältnis zur genetischen Ausstattung ausmacht.

Zur Zeit wird so getan, als ob die Frage, was das Bewußtsein sei, praktisch schon gelöst sei. Die letzte Frage, die bleibt, ist, was an unserem Bewußtsein eigentlich so besonders ist, was uns von einem Zombie oder einem Androiden unterscheidet. Warum ist da also überhaupt etwas, was wir als Unterschied am Bewußtsein festmachen wollen? Man könnte sagen, das menschliche Bewußtsein ist der Ort, an dem die Frage entsteht, warum überhaupt etwas und nicht Nichts ist. Aber das wird nicht reflektiert, sondern man bastelt analytisch an funktionellen Komponenten herum, so daß dann auch die Persönlichkeit nicht mehr das Besondere sein wird, das den gentechnologischen Fortschritt hemmen könnte.

Man könnte, um auf Huxleys Vision zu kommen, vielleicht auch kognitiv unterentwickelte Klone schaffen, die für bestimmte Tätigkeiten geeignet sind.

Detlev Linke: Damit dann Platon am Schluß mit seinem Staatskonzept Recht hätte.

Wenn die Herstellung von Robotern schon so schwierig ist, dann wären solche Klone deren biologischer Ersatz.

Detlev Linke: Man sagt ja auch, daß zuviel Wissen beim Wohlfühlen im eigenen Beruf nur schadet. Höherqualifikation ist nur schmerzhaft. Daher könnte man dann auch eine genetische Höherqualifikation vermeiden. Positiv gewendet könnte man in dieser Entwicklung ja auch die Chance für eine größere Gleichheit sehen. Da wir für all diese Dinge keine planende Instanz haben, sehe ich eher die Gefahr, daß sich ein Wettbewerb zwischen den verschiedenen Gensystemen abspielen könnte.

Vollendung der Befreiung von der Biologie

Andererseits scheinen sich die Menschen doch immer an bestimmten kollektiven Idealen oder Stereotypen zu orientieren. Würde also mit der Möglichkeit des Klonens nicht eher eine größere Uniformität der Körpertypen eintreten?

Detlev Linke: Schönheit liegt auch immer in einer Variation. Völlig symmetrische Gesichter empfindet man nicht als schön. Der Schritt zum Klon wird daher begleitet von Designansprüchen, um eine neue Variation, das Interessante und Neue zu schaffen. Das Neue soll keine Überraschung mehr sein, sondern es ist geplant.

Wäre das Klonen auch ein Schritt hin zur Unsterblichkeit?

Detlev Linke: Wenn man eine zeitliche Sequenz von geklonten Individuen hätte, könnte man davon träumen, daß diese Reinkarnationen seien. Aber hier ist natürlich kein Kontinuum vorhanden, weswegen das keine echte Unsterblichkeit ist. Das Problem ist eher, daß die Grenzen des Individuums durch die Möglichkeit des Klonens noch deutlicher werden. Wenn beispielsweise alle nur noch Klone wären, dann könnte die Knappheit der Ressourcen zu Kämpfen zwischen Klon-Identitäten führen. In einer überbevölkerten Welt wäre die Beseitigung der evolutionären Konkurrenz noch nicht ausreichend, weil die Individuen ein Selbstinteresse gegeneinander entwickeln würden. Man müßte dann schon beim Design ansetzen und einen sowohl schönen als auch toleranten Menschen erzeugen.

Mit dem Klonen werden die Männer mit ihren Samen im Prozeß der Fortpflanzung überflüssig. Was ist die Folge - eine Abschaffung des männlichen Geschlechts?

Detlev Linke: Die Befreiung der Sexualität tritt dann in ihre Vollendung, wie überhaupt die Befreiung durch die Biologie vollendet wird. Man entwirft sich dann nicht nur selbst im intellektuellen Sinn, sondern auch biologisch. Die Anwendung der Freiheit auf den Träger der Freiheit wird eigentlich nie bedacht. Die ganzen ethischen Prinzipien sind unwirksam und beruhigen nur ein bißchen, weil man über deren Selbstanwendung nicht nachdenkt, in der sie teilweise zerstört werden. Die Anwendung der Freiheit auf die Freiheit kann für diese destruktiv sein. Deswegen ist es nur Dekor, wenn man hier Prinzipien entwirft, mit denen man etwas verhindern will, weil man sich weigert, deren Selbstanwendung zu diskutieren. Man will das, was ich auch beim Thema der Gehirnverpflanzung ausgeführt habe, lieber verdrängen, um nicht die Grenzen dieser Prinzipien zu sehen.

Wenn die Männer biologisch überflüssig werden, könnte auch die Differenzierung in zwei Geschlechtern unsinnig werden. Es könnte sich eine neue biologische Gattung ohne Geschlechter entwickeln.

Detlev Linke: Ja, wie bei den Schnecken die Zwitter oder Selbstbefruchter. Auch die Sexualfunktionen stünden einem neuen Design frei. Man spricht ja auch schon vom Gehirnorgasmus. Was man zunächst einmal kulturell gefordert hat, die Entkopplung von der Fortpflanzung, käme mit dem Klonen zu einer Vollendung. Wir werden uns aber auch an die neuen Stadien der Befreiungsbewegung gewöhnen, denn wir sprechen lieber weiter von den Grenzen, was uns ein Gefühl der Geborgenheit gibt.