Am Beginn der Weimarer Republik standen Staatsmassaker

An den Märzkämpfen beteiligt: Freikorps Reinhard (in der Straße Unter den Linden, Berlin 1919). Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S60769 / CC-BY-SA 3.0 de [Anmerkung: Es gibt Zweifel an der Bildlegende des Bundesarchives, wonach es Freikorps sind. Dass der Mann rechts eine rote Armbinde trägt und sein Gewehr wie das des Matrosen neben ihm nach unten zeigt, könnten das auch Revolutionäre sein.]

In diesen Tagen jähren sich Ereignisse, die zeigen, wie schmal die Trennung zwischen bürgerlichem Staat und Faschismus ist

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Paul Brandt, Ernst Bursian, Werner Weber: Das sind nur drei von 29 Namen, die am Montagvormittag vor dem Gebäude der Französischen Straße 32 in Mitte in die Höhe gehalten wurden. Dort waren diese Männer am 11. März 1919 erschossen worden.

Etwas mehr als 100 Jahre später trafen sich nun etwa 50 Menschen zu einer Gedenkveranstaltung. Initiiert wurde sie vom Regisseur und Buchautor Klaus Gietinger. Er hat in den letzten Jahren über die Gewalt geforscht, mit der im Frühjahr 1919 rechte Freikorps gegen aufständische Arbeiter und sie unterstützende Soldaten vorgegangen sind.

Auf der Seite der Arbeiter kämpfte auch die Volksmarinedivision, über deren Geschichte Gietinger kürzlich sein neuestes Buch mit dem Titel "Blaue Jungs mit roten Fahnen" im Unrast-Verlag veröffentlichte. Auch das Massaker vom 11. Januar 1919 wird dort behandelt.

"Tausendfache Morde in den Monaten der Noske-Zeit"

An diesem Tag wurden die Matrosen mit dem Versprechen, dass ihr Sold ausgezahlt wird, in den Hof der Französischen Straße 32 gelockt. Dort wurden sie von den Freikorps mit schweren Waffen empfangen. Gietinger sprach von einem der schlimmsten Massaker der Revolution vor 100 Jahren. Den Auftrag gab der Reichswehrminister Gustav Noske (SPD).

Die unmittelbar für die Ermordung der Matrosen verantwortlichen Wilhelm Reinhard, sein Adjutant Eugen von Kessel und Leutnant Marloh wurden nie bestraft und machten im Nationalsozialismus Karriere.

Die Sozialwissenschaftlerin Dania Alasti zitiert in ihrem kürzlich erschienenen Buch "Frauen der Novemberrevolution" (ebenfalls Unrast-Verlag) die Frauenaktivistin Lydia Gustava Heymann, die die 1941 in der Schweiz erschienenen Lebenserinnerungen geschrieben hat:

Fritz Ebert und Genossen machten nicht nur gemeinsame Sache mit diesem Bürgerstande, den sie in Erscheinung und Lebensform schon lange nacheiferten und ihm gleichten wie ein Ei dem anderen, sondern auch mit den Generälen, der Großindustrie und den Junkern. Anstatt das deutsche Volk nach erlittenen Bismarckschen Sozialistengesetzen, nach jahrzehntelangem Kampf für Beseitigung preußischer Militärgewalt, Ausbeutung und Unterdrückung (Dreiklassenwahlrecht), nach den endlosen Opfern und Leiden des Weltkriegs - der Freiheit und Selbstverantwortung entgegenzuführen, trieben es des die früheren Genossen Schritt für Schritt, aber langsam und sicher, dem Abgrund des III. Reiches zu.

Lydia Gustava Heymann

Der linksliberale Publizist Sebastian Haffner hat schon über die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geschrieben:

Der Mord vom 15. Januar 1919 war ein Auftakt - der Auftakt zu den tausendfachen Morden in den folgenden Monaten der Noske-Zeit, zu den millionenfachen Morden in den folgenden Jahrzehnten der Hitler-Zeit.

Sebastian Haffner

Die Morde an den 30 Matrosen gehörten zu den von Haffner beschriebenen "tausendfachen Morde in den Monaten der Noske-Zeit". In den Märztagen 1919 wurden über 1.200 Menschen, in der Regel unbewaffnete Arbeiter, in den Ostbezirken Berlins ermordet. Deutsche Militärflugzeuge warfen Bomben über Arbeiterquartieren hat.

Fotos davon sind in einer von dem Historiker Dietmar Lange kuratierten Ausstellung unter dem Titel "Schießbefehl in Lichtenberg" zu sehen. Dort findet sich auch die Kopie einer Zeitungsausgabe, auf deren Rand entsetzte Bürgerliche ihren Schrecken verewigt haben, als sie sahen, wie Arbeiterhäuser bombardiert wurden. Anlass für den Schießbefehl im Osten Berlins war ein Generalstreik.

Der Pakt der SPD mit den abgesetzten Generälen

Die Beteiligten wollten wie ein Großteil der noch immer sozialdemokratischen Arbeiter im März 1919 die Revolution vollenden, die am 8. November 1918 mit dem Abgang des Kaisers begonnen hatte. Denn sie haben gesehen, dass die Männer der Sozialdemokratie, die sich im Namen der Revolution an die Spitze gesetzt hatten, alles taten, um die Gegenrevolution zu stärken.

Schon kurz nach dem 9.November bildeten die Regierungssozialdemokraten einen Pakt mit den abgesetzten Generälen. Gemeinsam rief man zur Gründung der Freikorps auf, die bald mit Terrormaßnahmen gegen alle vorgingen, die eine grundlegende Umgestaltung der Republik im Sinne der arbeitenden Menschen anstrebten.

Über das Massaker in der Hauptstadt Deutschlands war lange Zeit nichts bekannt, bis der Historiker Dietmar Lange 2013 das Buch "Massenstreik und Schießbefehl" veröffentlichte. Es zu hoffen, dass auch nach dem 100-Jahre-Gedenktag die Massaker nicht wieder vergessen werden, die die Grundlage der so hoch gelobten bürgerlichen Demokratie der Weimarer Republik waren.

Damals wurde schon eingeübt, was dann im Nationalsozialismus Regierungspolitik wurde: der Terror gegen Linke. So kann man in den Aufzeichnungen von Paul Frölich, einem der revolutionären Arbeiterräte, lesen, wie bereits im Januar 1919 gefangen genommenen Aufständische misshandelt und ermordet wurden.

Darunter war ein 16jähriger, dem der Schädel mit einem Gewehr eingeschlagen wurde, weil er "Es lebe Liebknecht" gerufen hatte. "Nachdem er schwerverletzt flehte, man solle ihm nichts mehr antun, wurde er an die Wand gestellt und erschossen."

Sozialdemokraten als Retter der alten Gesellschaft

Nur Sozialdemokraten an der Spitze konnten diesen Terror decken. Denn jedes andere Regime wäre vor 100 Jahren von der Wut der Massen hinweggefegt worden. Das zeigte sich beim Kapp-Putsch im Jahr 1920, als sich die reaktionäre Herrschaft keine zwei Tage halten konnte. Damals dämmerte kurzzeitig auch der sozialdemokratischen Basis und sogar manchen Funktionären, dass sie mit den Freikorps ihre eigenen Totengräber bewaffnete.

Doch kaum war der Kapp-Putsch gescheitert und die Regierungssozialdemokraten wieder sicher im Amt, hetzten sie die Freikorps und das Militär, die gerade gegen sie putschen wollten, wieder gegen die Mehrheit der Arbeiter, die wie im Ruhrgebiet grundlegende Umgestaltungen der Gesellschaft anstrebten. Zu den wenigen rechten Sozialdemokraten, die viel zu spät erkannten, dass sich die Sozialdemokratie mit ihrer Politik die eigenen Grundlagen entzog, gehörte Erich Kuttner.

Im Kampf gegen die Linke war Kuttner in den Jahren 1918/19 einer der rechten Scharfmacher der SPD. Als der NSDAP die Macht übertragen wurde, gehörte er zu den wenigen, die dann begriffen, dass sich die SPD noch 1918/19 ihre eigenen Totengräber herangezogen hatte. Er gehörte im Exil zum Kreis Revolutionärer Sozialisten Deutschlands, die in ihrer Analyse einen klaren Bruch mit der Politik der Klassenkollaboration der SPD verlangten und sich für eine Zusammenarbeit mit der KPD ausgesprochen haben.

Kuttner engagierte sich in der spanischen Revolution, wurde dabei verletzt und floh nach Amsterdam. Als die Wehrmacht Holland besetze, tauchte er unter. 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet und ins KZ-Mauthausen verschleppt, wo er im Alter von 57 Jahren ermordet wurde.

Dieses Schicksal teilte er mit unterschiedlichen Linken, die im Gegensatz zu ihm in den Jahren 1918-19 für eine Vertiefung der Revolution kämpften und damals nur das Glück hatten, den Terror der Freikorps zu überleben.

Antisemitismus war von Anfang dabei

Auch der Antisemitismus gehörte von Anfang an zum Instrumentarium der Gegenrevolution. Die Hetze gegen den angeblichen jüdischen Bolschewismus wurde in diesen Tagen wirkungsmächtig. Schon kurz vor dem 6.Dezember 1918, als eine Gruppe von Frontsoldaten mit einem Putsch den Sozialdemokraten Ebert zum Diktator ernennen und die Rätebewegung zerschlagen wollte, tauchten in Berlin massenhaft antisemitische Flugblätter auf, erklärt der Historiker Dietmar Lange.

Dieser Antisemitismus steigerte sich in den nächsten Wochen, immer dann, wenn die Rätebewegung stark war. Auch in SPD-nahen Publikationen bediente man sich antisemitischer Argumentationen und nannte führende Vertreter der radikalen Linken "land- und volksfremde Agitatoren".

Besonders in der Zeit der bayerischen Räterepublik wurde der Antisemitismus schon früh zur tödlichen Waffe der Rechten. Ihre Opfer waren so unterschiedliche Linke wie der geistige Anarchist Gustav Landauer, der nach seiner Verhaftung von rechten Freikorps erschlagen wurde oder Eugen Leviné, der wegen seiner führenden Rolle in der letzten Phase der bayerischen Räterepublik zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

In der Urteilsbegründung wurde das Stereotyp vom "landesfremden Agitatoren" strafverschärfend erwähnt. Vergeblich wiesen Mannheimer Sozialdemokraten und Gewerkschafter in Telegrammen darauf hin, dass Eugen Leviné, der in Russland geboren wurde, seit früher Kindheit in Deutschland lebte und jahrelang in der Mannheimer Gewerkschaftsbewegung aktiv war. Es war die Mischung aus Hass auf die Linke und Antisemitismus, mit der die Rechten nach der Zerschlagung der Rätebewegung in Deutschland Massen gewannen.

Am Anfang gab es noch Streit um die Führung der völkischen Bewegung. Doch nachdem sich die NSDAP als stärkste Kraft durchsetzte, stellten sich die führenden Kapitalkräfte hinter diese Partei. Sie sahen in ihr in der Weltwirtschaftskrise das stärkste Bollwerk gegen eine Rückkehr linker Umtriebe und einer möglichen Revolution.

Die Angst vor der Revolution trieb die herrschenden Kreise nach rechts

In Italien, Ungarn und anderen europäischen Ländern hatten sich schon vorher unterschiedliche faschistische Regime etabliert. Unterstützt wurden sie von den alten Mächten, Kapital, Klerus und Großgrundbesitzern. Sie hatten in den revolutionären Monaten 1918/19 die Ahnung bekommen, dass es mit ihrer Macht zu Ende gehen könnte. Die Angst hat damals für kurze Zeit die Seiten gewechselt.

Das sollten die herrschenden Klassen nie vergessen und daher sahen sie in den unterschiedlichen Faschismen eine Möglichkeit, endgültig mit sämtlichen linken Umtrieben Schluss zu machen. Das machten die Referenten der internationalen Konferenz "Die zweite Revolution" deutlich, die am vergangenen Samstag, am 9. März, im Rathaus Lichtenberg stattgefunden hat.

Dort berichteten Historiker aus Großbritannien, Deutschland, Italien und Ungarn über die revolutionäre Bewegung in ihren Ländern vor 100 Jahren. So ließ die britische Regierung sogar ein Kriegsschiff am Strand von Liverpool gegen streikende und revoltierende Arbeiter auffahren. Der ungarische Historiker Belá Bodó ging auf die heute kaum bekannte ungarische Räterepublik ein, die sich für die Emanzipation der Arbeiter einsetzte.

In den Bibliotheken und ehemaligen Palästen des Adels wurden Konzerte und Bildungsveranstaltungen für die organisiert, die lange davon ausgeschlossen waren. Auch die jüdische Bevölkerung war in der Räterepublik gleichberechtigt.

Die Rechte mobilisierte dagegen mit dem Schlagwort vom "jüdischen Bolschewismus" und fand Gehör bei den Bauern, die oft noch in reaktionären Vorstellungen befangen waren. Der italienische Historiker Pietro Di Paola zitierte den Anarchisten Errico Malatesta mit den prophetischen Worten, dass die herrschenden Kreise mit einem Blutbad antworten werden, wenn sie die Möglichkeit haben.

Das ist die Rache für die Zeit der Revolution, als sie ernsthaft Angst haben mussten, ihre Macht zu verlieren. Wenn man heute nach Brasilien und andere Länder blickt, sieht man, dass sich daran auch heute nichts geändert hat.

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