Am liebsten geheim
Die US-Regierung hat es mit dem Lauschprogramm vorgemacht, mit dem trotz Patriot Act heimlich US-Bürger abgehört wurden, Bundeskanzlerin Merkel scheint von diesem Politikstil weiterhin angetan zu sein
US-Präsident Bush ist in die Gegenoffensive gegangen. Nachdem die New York Times trotz Druck vom Weißen Haus – Anfang September hatte Bush noch den Herausgeber Arthur Sulzberger und den Chefredakteur Bill Keller deswegen zu sich bestellt – nach einjähriger Zurückhaltung aufgedeckt hatte, dass Hunderte, wenn nicht Tausende von US-Bürgern seit dem 11.9. heimlich und ohne Gerichtsbeschluss abgehört worden waren, versicherte er, dass die Regierung weiterhin heimlich abhören müsse und dass die USA nicht einen Moment ohne die Fortsetzung des Patriot Act leben könnte. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz sagte Bush am Montag, die Veröffentlichung sei "beschämend", da man sich doch im Krieg befinde. Er hoffe, dass das Justizministerium dem nachgehe. Und dass man nun über den großen Lauschangriff diskutiere, "hilft dem Feind".
Bush meinte weiterhin, seine Genehmigung zum Abhören unter Umgehung des dafür zuständigen FISA-Gerichts sei "absolut legitim" gewesen. Das überzeugt nicht viele, auch manche republikanische Abgeordnete nicht. Einige Senatoren fordern eine Überprüfung durch den Geheimdienst- und Justizausschuss, ob das Lauschprogramm gesetzeskonform ist.
Justizminister Gonzales unterstützte den Präsidenten und sagte, man sei im Weißen Haus davon ausgegangen, dass vom Kongress gebilligte "Autorisierung zum Gebrauch militärischer Gewalt" eben auch das Recht des Präsidenten einschließe, Abhörgenehmigungen zu erteilen. Das Lauschprogramm sei "das bislang geheimste Programm der US-Regierung". Das Rechtsgutachten, das vom damaligen Rechtsberater Yoo – der auch beim Konzept der Rechtlosigkeit für "feindliche Kämpfer" mitgewirkt hat – zu den vom Kongress gewährten Befugnissen des Präsidenten als obersten Kriegsherrn ausgearbeitet wurde, ist in der Tat ebenso umfassend wie wenig konkret.
Wie US-Präsident Bush argumentiert, sollte all diejenigen aufhorchen lassen, die vertrauensselig glauben, dass erweiterte Überwachungsmöglichkeiten der staatlichen Sicherheitsbehörden keine Gefahr darstellen, weil sie ja rechtlich begrenzt und parlamentarisch kontrolliert würden. Buch sagt pragmatisch, es dauere manchmal einfach zu lange, eine Genehmigung des FISA-Gerichts zu erhalten. Daher könne man in Notsituationen - die nun bereits vier Jahre anhalten – schon auch mal das geltende Recht überspringen. Man habe Kongressmitglieder informiert, zudem sei das Lauschprogramm ja nur beschränkt und werde auch immer wieder intern überprüft. Und überhaupt handele es sich um "einen anderen Krieg" und um "einen anderen Feind", weswegen man auch anders handeln müsse, was viele Freiräume eröffnet.
Now, in terms of legal authorities, the Foreign Intelligence Surveillance Act provides -- requires a court order before engaging in this kind of surveillance that I've just discussed and the President announced on Saturday, unless there is somehow -- there is -- unless otherwise authorized by statute or by Congress. That's what the law requires. Our position is, is that the authorization to use force, which was passed by the Congress in the days following September 11th, constitutes that other authorization, that other statute by Congress, to engage in this kind of signals intelligence.
US-Justizminister Gonzales am 19.12., der auch ausdrücklich sagt, dass das Abhören nicht ausdrücklich vom Kongress genehmigt wurde, aber man davon halt ausging und ebenfalls von einem Urteil aus dem Jahr 2004 (!).
Wenn das Abhören so eilig gewesen wäre, wäre es auch möglich gewesen, nachträglich beim Gericht eine Genehmigung zu erhalten. Aber man wollte wohl eben das Gericht umgehen, keine Begründungen geben und keine einsehbaren Dokumente erstellen müssen. NSA-Direktor Hayden machte dies deutlich: "FISA involves marshaling arguments; FISA involves looping paperwork around, even in the case of emergency authorizations from the Attorney General."
Bush erklärte auch, dass Kongressmitglieder und zwei Ausschüsse informiert worden seien. Jetzt hat sich zumindest mit John Rockefeller, Vizepräsident des Geheimdienstausschusses, einer der Senatoren zu Wort gemeldet, die informiert worden seien. Nachdem Bush das Lauschprogramm öffentlich bestätigt habe, sieht er sich auch von der Geheimhaltungspflicht entbunden, der er bislang gehorcht hatte. Am 17. Juli 2003 – also anderthalb Jahre nach Beginn der der heimlichen Lauschoperation – habe er erstmals davon erfahren und Vizepräsident Cheney, dem ehemaligen CIA Tenet und NSA-Director Hayden einen Brief mit seiner Besorgnis geschrieben, auf den er aber nie eine Antwort erhalten habe. In dem Brief kritisierte er, dass die Kongressmitglieder nicht ausreichend über das Vorhaben informiert worden seien und er deswegen, nachdem das Überwachungsprojekt des Pentagon (Total Information Awareness - TIA) bekannt geworden war (Weltweites Schnüffelsystem), große Bedenken habe, weil so eine Kontrolle nicht möglich sei (im September 2003 hatte der Kongress die Gelder für das zunächst einmal in Terrorist Information Awareness umgetaufte Programm gestrichen).
Rockefeller sagt zudem, Bush, Cheney und Gonzales hätten die Tatsachen falsch dargestellt. Die Kongressmitglieder hätten nie eine Möglichkeit, dem Lauschprogramm der NSA zuzustimmen oder es abzulehnen. Überdies hätten die wenigen, die überhaupt davon erfahren haben, niemand, auch nicht anderen Kongressabgeordneten und nicht einmal anderen Mitgliedern des Geheimdienstausschusses, davon berichten können.
Mit der Bedrohung durch den Terrorismus und der Formel "We are at war" hat das Weiße Haus die Kompetenzen des Präsidenten offen und heimlich ausgeweitet. Von dem über Jahre hinweg praktizierten Lauschprogramm wird nur behauptet, es habe zur Verhinderung von Anschlägen gedient – wobei Terroristen ja eigentlich auch davon ausgehen dürften, dass die amerikanischen Geheimdienste so weit es geht lauschen und daher nicht unbedingt in aller Ruhe mit in den USA befindlichen Menschen telefonieren werden. Belege werden dafür keine gegeben – weder von Bush noch von Gonzales und Hayden.
Ob nun das Lauschprogramm rechtlich durch welche Interpretationen auch immer doch noch gerechtfertigt werden kann oder nicht, ist hier nicht das Thema. Bedenklich ist vor allem, dass eine demokratisch gewählte, auch sonst zur Heimlichtuerei neigende und mit Lügen einen Krieg legitimierende Regierung angeblich zum Schutz der Menschen und offenbar im Selbstauftrag sowie durch eigentümliche Auslegung von Gesetzen versucht, sich möglichst weitgehend der parlamentarischen und richterlichen Kontrolle zu entziehen, und dass sie damit so lange Zeit durchgekommen ist. Obwohl man schließlich auch den Patriot Act, der ja gerade dem Ausbau der Überwachung an der "zweiten Front" diente, praktisch ohne Diskussion – und damit als Vorbild auch für andere Regierungen wie der deutschen - durch den noch gelähmten Kongress gepeitscht hat, wurde das heimliche Lauschprogramm weiter betrieben und erst 2003 offenbar in Andeutungen einigen Kongressabgeordneten unter Geheimhaltungspflicht mitgeteilt.
Wenn man dabei einbezieht, dass etwa mit dem Total Information Project wiederum heimlich eine umfassende Datenbank über die Aktivitäten auch der US-Bürger aufgebaut werden sollte, dann zeigt dies, wie schnell unter gewissen Bedingungen auch in einer Demokratie Machtmissbrauch betrieben werden kann. Es muss, wie gerade auch die Vergangenheit in Deutschland gezeigt hat, der Schritt gar nicht so weit sein, bis eine Regierung unter der Vorgabe oder der Bedingung von Bedrohungen oder Krisen weitere Kontrollen abstreift und dann den schon einmal eingerichteten Überwachungsapparat nicht nur zur Abwehr wirklicher oder vermeintlicher Terroristen, sondern auch von Oppositionellen im eigenen Land benutzen kann. Die Trennung von Auslandsgeheimdiensten und Polizei und die strenge Kontrolle der Überwachung im Inland, die in Deutschland nach dem Faschismus oder in den USA nach den Eskapaden der Geheimdienste im Kalten Krieg eingeführt wurden, hatten durchaus einen Sinn. Dies alles leichtfertig aufs Spiel zu setzen, um durch eine immer weitere Einschnürung der Freiheit eben diese angeblich zu verteidigen, ist ein hohes Risiko. Aber wer nur auf Sicherheit starrt, der sieht überall nur mögliche Feinde und rechtsstaatliche Gesetze, die immer nur hinderlich sind.
"Geheimdienste sind ein notwendiger Teil demokratischer Strukturen"
Auch Bundeskanzlerin Merkel geht in Anlehnung an die US-Regierung diesen Pfad, den Schily bereits gebahnt hat und den auch Schäuble fortsetzen will, ein bisschen Folter, ein wenig mehr Geheimnistuerei und weniger parlamentarische Kontrolle sollten da die verbesserte Aufklärung nicht behindern. In Deutschland, so Merkel in der FAZ vom Mittwoch, habe man die Geheimdienste "auch" noch "nicht bis zum Ende durchdekliniert". Das soll wohl heißen, dass sie noch zu wenig Spiel- und Freiraum haben. Mit Terroristen, die man nicht abschrecken können, und in einer Medienwelt, in der Informationen nicht so wie einst kontrolliert werden können, muss man sich anpassen:
Wir müssen lernen, mit dieser kommunikativen Transparenz umzugehen, die den Siegeszug der Freiheit überhaupt erst möglich gemacht hat. Wir müssen aber auch akzeptieren, dass nicht alle Bereiche der Auseinandersetzung mit Terroristen auf dem Marktplatz ausgetragen werden können.
Es muss endlich wieder heimlicher zugehen, was ja auch dem Weißen Haus ganz entspricht. Mit den Geheimdiensten müsse auch besser kooperiert werden. Und weil die Terroristen die Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit verwischen, müsste doch auch das Militär im Inneren eingesetzt werden (und der Geheimdienst dann wohl auch). Man müsse sich, so erzählt Merkel uns Deutschen, bei diesen Themen nur von der Frage leiten lassen: "Was ist gut für die Sicherheit des einzelnen Bürgers?" Dass unsere Bundeskanzlerin vergisst anzufügen, dass zur Sicherheit des einzelnen Bürgers auch die lange erkämpfte und jedem Rechtsstaat zugrunde liegende Sicherheit vor staatlicher Willkür und staatlichen Eingriffen liegt, ist bezeichnend. Vielleicht hätte unsere Bundeskanzlerin ja auch sagen können: "Was ist gut für die Demokratie, die Freiheit und die Sicherheit des einzelnen Bürgers?"