Weltweites Schnüffelsystem
Nur ein "experimenteller Prototyp": Das Pentagon versucht die Öffentlichkeit über das geplante Überwachungssystem "Total Information Awareness" zu beruhigen
Auch der Senat hat dem Homeland Security Act mit großer Mehrheit zugestimmt. Mindestens ein Jahr wird es dauern, bis das Superministerium zusammengebaut worden ist (Big Brother Staat USA?). Inzwischen wachsen die Sorgen, dass die Überwachung der US-Bürger - die der Ausländer bleibt außen vor - mit den neuen Befugnissen zu weit gehen könnte. Schließlich soll das System der Prävention dienen, weswegen Alle erst einmal verdächtig sind und überprüft werden müssen. Noch einmal bestätigt hat nun das Verteidigungsministerium das Projekt, alle verfügbaren Daten über Menschen im In- und Ausland in einer gewaltigen Datenbank zu sammeln und mit mächtigen Data-Mining-Programmen nach verdächtigen Mustern zu durchsuchen.
Schon der Name lässt aufhorchen und verspricht wie das Logo wahrhafte Big-Brother-Qualitäten: "Total Information Awareness" (TIA) heißt das Entwicklungsprojekt, das bei der DARPA, der Forschungsabteilung des Pentagon, angesiedelt ist. Geleitet wird es vom ehemaligen Admiral John Poindexter, der wegen Beteiligung am Iran-Contra-Skandal das Militär verlassen musste, aber jetzt im Zeichen des Kampfes gegen den Terrorismus trotz seiner Vergangenheit wieder gebraucht wird und zu Ehren kommt (Totale Überwachung).
Verteidigungsminister Rumsfeld hatte schon einmal, möglicherweise an den Sturm der Empörung denkend, der zum Einstampfen der geplanten Propagandaabteilung des Pentagon führte, die Wogen der Erregung zu beruhigen versucht, nachdem die schon seit Frühjahr (Das Orakel der DARPA) geschmiedeten Pläne des Mega-Schnüffelsystems einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Man solle doch einmal tief durchatmen. Er wisse zwar selbst nicht viel über das Programm, aber sei ja doch vorerst nur ein Experiment, das Kapazitäten zur Analyse von Informationen im Kampf gegen den Terror entwickeln soll. Das Pentagon stecke auch nur eine relativ kleine Summe hinein und müsse abwarten, was dabei herauskomme. Das sei mit dem Internet vergleichbar, das auch von der DARPA erfunden worden sei: "Als diese Arbeit begann, hatten die Menschen, die sie ausführten, keine Vorstellung davon, dass das, was daraus entstehen würde, zu dem werden sollte, was wir heute als Internet bezeichnen." Das muss nicht unbedingt beruhigen. Die "aufgeheizte und alarmierte" Darstellung durch die Medien sei kein guter Dienst.
Offenbar hat diese Beruhigung und Medienkritik ihr Ziel nicht erreicht. Daher wurde gestern gleich noch eine Pressekonferenz nachgeschoben, um zu demonstrieren, dass doch alles in Ordnung ist. Man müsse Terroristen fangen, bevor sie ihre Taten begehen, Um diese Prävention zu erreichen, müsse man, wie Edward Aldridge, Staatssekretär im Pentagon, eben große Datenmengen nach Hinweisen durchsuchen.
Das ist eine Art der Beziehung zwischen Signal und Rauschen. Was machen sie bei all dem, was in der Welt geschieht? Wir haben uns entschieden, dass neue Kapazitäten und neue Technologien nötig sind, um diese Aufgabe zu erfüllen. Daher haben wir in der DARPA ein Projekt angesiedelt, das einen experimentellen Prototyp entwickeln soll - mit der Betonung auf experimentellen Prototyp -, den wir Total Information Awareness System nennen. Der Zweck von TIA besteht darin, die Realisierbarkeit der Durchsuchung von gewaltigen Datenmengen zu prüfen, um Verbindungen und Muster zu erkennen, die auf terroristische Aktivitäten hinweisen.
Das System bestehe aus drei Teilen. Erstens sollen Programme entwickeln werden, die eine schnelle Übersetzung gewährleisten. Zweitens geht es um die "Entdeckung der Verbindungen zwischen Transaktionen wie Pässe, Visas, Arbeitsgenehmigungen, Führerscheine, Kereditkarten, Flugtickets, Mietautos, Waffenkäufe, Erwerb von Chemikalien - und Ereignissen wie Festnahmen, verdächtige Tätigkeiten usw." Und drittens geht es um die Entwicklung von Systemen zur Entscheidungsfindung, die eine Kooperation verschiedener Behörden ermöglichen.
Zum Testen werde man nur fabrizierte Daten nehmen, die realen gleichen. Zumindest werde man keine "detaillierten Informationen" verwenden, was das immer heißen soll. Und natürlich werde der Schutz der persönlichen Daten beachtet, weswegen man das System auch so auslege, dass "eine vollständige Anonymität unbeteiligter Bürger" gewährleistet sei. Die gesammelten Informationen würden "denselben legalen Vorschriften unterworfen, die gegenwärtig für die anderen Strafverfolgsmaßnahmen in Kraft sind". DARPA werde keine Polizeibehörde, sondern entwickle nur das System, das dann den Polizeibehörden oder Geheimdiensten übergeben werde. Aber irgendwie wurde es dann mit der Unterscheidung zwischen realen und fabrizierten Daten fast philosophisch:
Aldridge: There's some real data that we use, but it's normal data that's available legally. The privacy issues, those will be fabricated stuff.
Q: Okay. That's what I didn't understand. Can you help us understand what is the fabricated data, what is the real data, and what are the privacy issues if you're using fabricated data?
Aldridge: There are no privacy issues. We will not use any data that affects -- that will have any relationship at all to privacy issues. Most of the data is synthetic. It's generated just to exercise the analysis. The real data will have to come from the agencies themselves once they have the tool.
Q: Can you give us some examples --
Aldridge: There will be no privacy issues. This will be all data that will be available in the open and fabricated, to use. There is nothing dealing with individuals at all in this particular exercise, in this feasibility study. It's all generated data for the purpose of the exercise.
Q: So what kind of real data are you using that you just mentioned?
Aldridge: I will have to find -- I don't know the answer to that question, exactly what kind of data. I'm not into the details of the thing. But I don't think there is a problem with it at all.
Natürlich kam während der Pressekonferenz auch die Frage auf, warum ausgerechnet eine politisch so zwielichtige Person wie Poindexter die Leitung für ein derartig heikles Programm erhalten habe. Der Sprecher des Weißen Hauses hatte Poindexter schon in Schutz genommen und gesagt, Präsident Bush habe ihn wegen seiner Verdienste fürs Land berufen (welche er damit meinte, sagte er freilich nicht). Aldridge entgegnete, Poindexter sei gewählt worden, weil er so begeistert von dem Projekt sei - und dieses auch nach dem 11.9. dem Pentagon vorgeschlagen habe. Sicherlich nicht uneigennützig, was Aldridge aber nicht mitteilte, weil Poindexter nach seiner Entlassung beim Militär ein Unternehmen leitete, das vom Pentagon Forschungsaufträge erhielt und just ähnliche Data-Mining-Programme wie Genoa entwickelt hat.
Aldridge stritt allerdings ab, dass das Projekt mit 200 Millionen Dollar gefördert werde, wie dies in den Medien behauptet wurde, es seien lediglich 10 Millionen Dollar für das Haushaltsjahr 2003. Wieviel Geld die nächsten Jahre zur weiteren Entwicklung aufgewendet würden, könne er noch nicht sagen.