"Amazon ist ein Monster"
Johannes Monse vom insolventen Selfpublishing-Verlag Monsenstein & Vannerdat
Der 1999 gegründete und in Münster ansässige Verlag und Druckdienstleister Monsenstein & Vannerdat gilt als Vorreiter in Sachen Selfpublishing, Print-on-Demand-Service und Open Access. Umso überraschender kam die Bekanntgabe der Insolvenz des Anbieters durch die beiden Geschäftsführer Johannes Monse und Tom van Endert Ende Juli. Im Telepolis-Interview berichtet Johannes Monse aus den Pionierzeiten des Selfpublishings in Deutschland, über die Rolle des BGH-Urteils zur Auszahlung der Kopiervergütung durch die VG Wort und den Verdrängungswettbewerb auf dem Selfpublishing-Markt.
Lieber Herr Monse, können Sie uns ein wenig über die Geschichte Ihres Hauses erzählen und wie es zur überraschenden Insolvenz kam?
Johannes Monse: Oh, das sind zwei Themenbereiche, die beide ziemlich viel Geschichtenpotential haben. Also fang ich chronologisch mit der Geschichte des Unternehmens an.
Ende der Neunziger wohnten Tom van Endert und ich zusammen in einer Studi-WG, in der auch häufig ein Kumpel vorbei kam, der begnadet zeichnen konnte. Irgendwann wollten wir dann einen Comic mit den ganzen gesammelten Zetteln machen, die nach den durchzechten Nächten auf dem Wohnzimmertisch lagen. Das war die Grundidee. Also haben wir gedacht, "Komm, dann gründen wir auch einen Verlag!" Und damit der auch einen wohlklingenden Namen hatte, haben wir alte Spitzennamen von uns rausgekramt und aus einem behäbigen "Verlag Monse und van Endert" das mondäne "Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat" gepimpt.
Es war damals alles ja nicht wirklich ernst gemeint. Ich hab Medizin studiert und Tom Archäologie - wir sahen uns eigentlich nicht dauerhaft in der Buchbranche. Aber irgendwie hat das Ganze Spaß gemacht und nach dem Studium dachten wir dann: "Komm - wir versuchen das." Arzt war ich ja, das lief nicht weg.
Tom hat damals nebenher in einem großen Kopierladen mit Druckerei gearbeitet und die Anfänge des Digitaldrucks mitbekommen. Da kam ihm die Idee - "Mensch, keine Auflagen mehr - wir drucken on demand!"
Wir dachten, wir wären oberschlau und ganz schnell, aber grundsätzlich gab es das Ganze in den Staaten schon. Die Seite www.bod.de gab es auch schon - war aber noch "Under Construction" - wir wollten die schließlich sichern.
Dann ging es ratzfatz. Viele Autoren waren begeistert von den neuen Möglichkeiten, 2002 kam dann der Umzug aus Toms alter Wohnung, wo wir die ersten Bücher mit Planatol-Leim und Pizzamesser zusammengebaut hatten, zum Hawerkamp, wo wir heute noch sitzen - damals aber natürlich sehr viel kleiner. Mit der Zeit kamen dann mehr und mehr Autoren hinzu, eine eigene Druckerei und Tausende von Buchprojekten. Vom Ledereinband oder Holzschuber über Hardcover bis zum Paperback haben wir dann alles gemacht.
Heute sind wir 30 Mitarbeiter, setzen neben den Buchprojekten für unsere Privatkunden auch für viele Universitäten deren Open-Access-Verlag um, arbeiten mit Großkunden wie Volkswagen oder General Electric - und sind dennoch unter massiven Druck geraten.
Wie kam es zu der Insolvenz?
Johannes Monse: Die Insolvenz kam dann auch für uns sehr überraschend. Schon ab 2012 haben wir angefangen, unsere strategische Ausrichtung zu ändern. Immer mehr Großverlage und Konzerntöchter entdeckten den aufkeimenden Selfpublishing-Markt und gegen solche Konkurrenz ist man als kleines Familienunternehmen im Direktduell ziemlich chancenlos. Wir haben mehr und mehr Umsatz verloren. Also haben wir Nischen gesucht und auch gefunden.
Neben den Uni-Verlagen waren dies Privatautoren, die das besondere Etwas in der Betreuung wünschten, vollen Service aus einer Hand. Also ein Premiumdienstleister für die Hobbyschriftsteller, die entweder nicht ausreichend technikaffin für die Online-Angebote unserer Mitbewerber sind oder aber schlicht und ergreifend keine Lust haben, sich mit irgendetwas anderem als dem reinen Schreiben zu beschäftigen.
Wir haben dann über drei Jahre unser ganzes Geld investiert und versucht, uns so sturmreif zu machen. Aber wir hätten mehr Zeit gebraucht. Unsere Vertriebsarbeit war nicht durchschlagend genug und die avisierten Märkte auch sehr träge, bzw. nicht leicht zu erreichen. Wir hatten letztlich auch zu wenig Geld, um die gesamte Umstrukturierung aus eigenen Mitteln hinzubekommen. Und da die Banken zwar auf dem Geld hocken, dies aber ungerne kleinen Unternehmen zur Verfügung stellen, hatten wir ein Problem.
Als wir dann durch das VG-Wort-Urteil in unserer Bilanz massive Rückstellungen bilden mussten und uns in den eh schon mäßigen Zahlen auf einmal zusätzlich ein sechsstelliger Betrag fehlte, war klar, dass wir ein mehr als ernstes Problem hatten.
Sie erwähnen die Klage des Autoren Martin Vogel, die dazu führte, dass die Ausschüttung der Kopiervergütungen der VG Wort neu geregelt werden musste. Der Bundesgerichtshof entschied 2016, die Praxis der VG Wort, pauschal die Hälfte der für eine Publikation anfallenden Kopiervergütungen an die Verlage und nicht die Autoren auszuzahlen, sei rechtswidrig. Daraufhin mussten Verlage ihren Autoren sogar nachträglich Vergütungen für vergangene Jahre auszahlen. Welche Auswirkungen hatte das Urteil auf den Selfpublishing-Markt in Deutschland?
Johannes Monse: Ich glaube, das ist übersichtlich. Kleine klassische Verlage haben da sicherlich große Probleme. Das Ganze ist eine ultraharte Nuss, vollkommen unabhängig davon, wie man das politisch bewertet. Ich rede jetzt nur über die wirtschaftlichen Folgen für kleine Häuser, die mal nicht eben auf seit Jahr und Tag bisher fest einplanbare Eingänge verzichten können.
Im Selfpublishing hat es wohl keinen wirklich so hart getroffen wie uns. Mitten in der Umstrukturierung, Hunderttausende investiert, die Früchte der Umstrukturierung aber noch nicht im Korb und dann wird einem das Treckerbenzin abgenommen, mit dem man die Ernte nach Hause holen wollte. Naja, das ist vielleicht etwas pathetisch und überzogen. Vielleicht besser so: Wir haben auf einem hochdynamischen Markt mit den uns möglichen Mitteln versucht, gegen eine Mitbewerberschaft aus großen Häusern klarzukommen. Das war schon alles sehr schwierig.
Dann aber noch die längst verplanten Gelder der VG Wort von der einen Bilanzseite auf die andere schieben zu müssen - das war zu viel. Klar, man kann uns vorwerfen, wir hätten die Rückstellungen schon 2012 machen müssen und die erhaltenen Gelder nicht ausgeben dürfen. Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn ein Unternehmen jeden Euro umdrehen muss.
Open Access widerspricht sich mit Print nur bedingt
Viele Open-Access-Universitätsverlage in Deutschland nutzen Ihre Firma seit Jahren als Druckdienstleister. Sahen Sie Open Access nie als Konkurrent der Druckausgaben?
Johannes Monse: Nein, ganz und gar nicht. Es widerspricht sich ja nur bedingt. Open Access ist ein wichtiger Multiplikator. Die wissenschaftliche Gemeinschaft finanziert ihre Forschungsergebnisse mit öffentlichen Mitteln - da ist es meiner Meinung nach nur recht und billig, dass diese Ergebnisse auch zur Verfügung stehen, ohne dass dafür erneut Steuergelder ausgegeben werden müssen. Das ist ein anachronistischer Unfug, den viele Verlage und Institute da betreiben. Wirtschaftlich aus ihrer Sicht vollkommen nachvollziehbar, aber nicht zeitgemäß.
Sehr spezielle Publikationen haben eh keinen überschäumenden Absatz. Die Rezipienten, die auf diese Werke angewiesen sind, wollen keine PDF auf dem Rechner lesen. Die wollen entweder ein gebundenes Buch oder eine hochkompatible Epub2 oder -3 Ebook-Version. Und diese komfortablen Ausgaben liefern wir. Klar, hier werden am Ende weniger Empfänger und damit Käufer stehen - aber es kann doch nicht sein, dass wissenschaftliche Ergebnisse, die von öffentlicher Hand finanziert wurden, durch private Verlage exklusiv vertrieben werden, so dass zum einen die öffentliche Hand über den Verfasser die Publikation zahlen muss und letztlich wieder die öffentliche Hand in Form des anschaffenden Instituts bzw. der anschaffenden Bibliothek zur Kasse gebeten wird, damit diese Ergebnisse überhaupt vorliegen.
Das ist doch zum Mäuse melken. Natürlich ein hervorragendes Geschäftsmodell. Aber das kann doch nicht sein! Daher haben wir direkt versucht, für diese Inhalte ein anderes Produkt zu finden. Das ist uns mit unseren Schriftenreihen und Hochschulverlagen gelungen. Die Universitäten erlangen die Hoheit über ihre Inhalte zurück und wir kümmern uns für diese Institutionen einfach um alles, was diese wünschen - Herstellung, Produktion, Vertrieb, Auslieferung, Abrechnung. Das halten wir für einen sinnvollen Weg.
Standen Sie mit dieser Open-Access-freundlichen Haltung anfangs nicht ziemlich alleine da?
Johannes Monse: Das kann man wohl sagen. Ich wurde einmal vor Jahren auf der Buchmesse von der Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung des Deutschen Bibliotheksverbandes dbv interviewt, die neben uns auch De Gruyter, Springer und andere Verlage nach deren Open-Access-Modellen befragten. In dem Interview konnten die Interviewer es nicht so richtig glauben und ein Herr sagte plötzlich: "Aber das ist ja in gewisser Weise revolutionär, was Sie da machen." Das fanden wir auch.
Im später publizierten Interview hat man uns dann aber als klitschige Digitaldruckerei mit Poststelle verunglimpft - vielleicht war den Verfassern das Ganze dann doch zu unheimlich. Dabei sind wir ein SHERPA/RoMEO zertifizierter green Publisher. Diese Datenbank dokumentiert die Open-Access-Freundlichkeit von Verlagen und aus ihr geht hervor, dass bei uns alle Open-Access-Optionen kostenfrei bei den Autoren verbleiben.
"Amazon ist ein Monster. Sehr effektiv. Die machen einen sehr guten Job"
Seit wann drangen die Big Player wie BoD oder Amazon in den Markt ein?
Johannes Monse: Eigentlich waren sie ja auch immer da. BoD und auch Amazon verkaufen Inhalte - aber eben keine bestimmten Inhalte. Seitdem die Vertragsstrukturen nahezu überall so sind, dass Dienstleister keine wirklich exklusiven Rechte mehr verlangen, ist Open Access natürlich ein mehr oder minder natürlicher Bestandteil des Selfpublishings geworden. Man nennt das dort nur nicht so. Im wissenschaftlichen Bereich hat das natürlich auch eine andere Bedeutung.
Markierte das Eindringen dieser Akteure eine Zäsur im Selfpublishing-Markt?
Johannes Monse: Definitiv. Wobei man BoD und Amazon nun wirklich nicht in einen Topf schmeißen kann. Aber beide prägen den Markt nachhaltig durch ihr Auftreten. BoD ist der große Print-Master. Die haben über eine Million Titel auf dem Server, jederzeit bereit zum On-Demand-Druck. Das Tolle an deren Geschäft: Egal, ob Sie bei BoD, Tredition, BUCH&media, TwentySix oder My Bestseller publizieren, wird ein Buch gedruckt - dann verdient BoD, denn sie drucken für fast alle. Dienstleister wie wir, mit eigener Druckerei, sind eine ganz seltene Spezies.
BoD macht mittlerweile ein Gros des Geschäftes ja auch mit der Ursprungsidee, nämlich B2B, also Backlistdruck für Verlage mit Auslieferungsdienst. Da geht es um Masse, in dem Bereich spielen wir natürlich keine Rolle.
Amazon hat hier weniger Aktien im Markt, bestimmt aber viele Regeln im Selfpublishing der Privatautoren. Amazon ist ein Monster. Sehr effektiv. Die machen einen sehr guten Job, das muss man leider zugeben. Nur ein Händler mit fast 50% Marktanteil kann es sich erlauben, auf Händlermargen komplett zu verzichten und den Verlagen und Contentlieferanten auf gerade unverschämte Art und Weise die Verträge zu diktieren. Das ist schon krass.
"Beim Selfpublishing wird der Markt explodieren"
Wie stand Ihr Haus in Sachen technische Qualität, Preisniveau und Service verglichen mit BoD oder Amazon?
Johannes Monse: Noch stehen wir - und hoffen ja auch, mit einem guten Investor gerade den Hochschul- wie hoffentlich auch den Privatautorenbereich noch lange fortführen zu können. Wir sind ein Premiumanbieter, mit allen Vor- und Nachteilen.
Im Bereich der Produktqualität macht uns niemand etwas vor. Wir drucken sicherlich die hochwertigsten Bücher, haben die größte Vielfalt an Standardausstattungen und sind zudem der nachhaltigste Anbieter auf dem gesamten Markt. Aber natürlich können wir nicht mal eben eine Onlineplattform für Hunderttausende von Euro programmieren lassen, um Prozesse zu optimieren.
Und Preise sind für kleine, feine Anbieter immer schwierig, wenn Sie einen Massenmarkt bedienen sollen. Der Krimiautor versteht nicht, warum sein Buch bei uns 11,95, bei BoD aber nur 9,99 und bei Amazon sogar nur 8,99 kostet. Der will es verständlicherweise günstig - und dann sind wir raus. Dass wir ihm aber eine Klappenbroschur und CO2-neutrale Produktion und Auslieferung bieten, während manch anderer aus Kostengründen in Deutschland druckt und in Polen binden lässt, das interessiert den nicht.
Genauso wenig interessiert, dass wir mit einer Océ-Varioprint sozusagen auf einem Digitaldruck-Bugatti drucken und nicht wie die Mitbewerber von Rolle oder unter Ausschaltung des Handels. Denn natürlich kann Amazon das Buch für 8,99 anbieten und mehr verdienen als wir, wenn wir dem klassischen deutschen Buchhandel die Belieferung über das Barsortiment zusagen und damit 50% Händlermarge vom Verkaufspreis einrechnen müssen - Amazon aber keinen Cent, weil sie eben nur über Amazon verkaufen.
Das ist auch alles ok - so funktioniert Markt nun einmal. Unser Problem ist, dass wir es nicht geschafft haben, genug Autoren zu finden, denen unsere sehr gute Arbeit die damit verbundenen höheren Kosten wert waren. Hier waren wir nicht gut genug, im Gegensatz zu unserer Arbeit oder unseren Produkten, bei denen wir zur absoluten Spitze gehören.
Was ist Ihre Prognose: Wie geht es mit Ihrer Firma und dem Selfpublishing in Deutschland weiter?
Johannes Monse: Die Antwort muss ich dann wohl doch etwas auftrennen. Beim Selfpublishing bin ich mir im Gegensatz zu unserer Firma 100%ig sicher - der Markt explodiert. Exponentielle Zuwächse sind sicherlich durchaus realistisch und das nicht nur für die kommenden zwei bis drei Jahre. Das Ding ist meiner Meinung nach eine Superrakete. Deshalb ist es ja auch so bitter, selbst auf der Strecke liegenzubleiben.
Aber noch läuft unser Motor und wir wissen ja um unsere Qualität und Expertise. Monsenstein und Vannerdat sind seit fast 18 Jahren im Selfpublishing, ein Pionier auf dem deutschen Markt mit einer auf dem Markt einzigartigen Qualität in Service und Produkt. Ich hoffe, wir finden einen Investor, der diese Qualitäten kennt oder erkennt und uns die Chance gibt, weiterhin als Premiumanbieter diesen spannenden Markt zu bereichern. Gerade unser Segment der Hochschulverlage hat sicher ein sehr gutes Potential und wird bestimmt ein saniertes altes oder aber neues Dach finden, genau wie unsere privaten Autoren, die natürlich für jeden Mitbewerber interessant sind.