Amerika - Das Land ist 24-7 im Einsatz

Über neue Begriffe und "Mission Critical" Gebäude

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Beste bei einer Reise in die USA ist der Anstoß, den man für den eigenen Wortschatz erhält. Es gibt immer neue Wörter, Redensarten und Axiome, die alle anscheinend während der Zeit entstanden sind, in der man nicht dort war.

Dieses Mal waren es nicht nur neue Wörter, sondern auch Zahlen. Beispielsweise dauert es nicht lange, bis man denkt, dass jeder Job in Amerika, angefangen vom Fahren bis zur Hausarbeit, in "24-7" gemacht werden muss - 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Wie bei den neuen Redensarten stellte es sich zumindest für die Architekten heraus, dass die Pleiten der "Quick burn" Dot-Coms im letzten Jahr auch einen Hoffnungsschimmer offenbar haben. Jede motivierte Designfirma in Amerika arbeitet mittlerweile "24-7" bei schnellen "BOOT-Projekten" (Build, Operate and Transfer) oder bei monströsen "einsatzkritischen" Gebäuden zur Datenspeicherung: den neuen hochgeheimen elektronischen Festungen, die auch bei Taifunen, Wirbelstürmen oder Terroranschlägen und sogar selbst einem nuklearen Krieg das Unternehmen weiter seine Geschäfte betreiben lassen sollen.

An dieser Stelle tauchen die Redensarten auf. Das "KISS-Prinzip" (Keep It Simple, Stupid) mag schon ein alter Hut sein und "If it ain't broke don't fix it" ist schon so alt, dass es praktisch schon Goethe zugeschrieben werden kann, aber wie steht es mit "The fastest growing business is always the smallest" oder mit "Drinking from a fire hose"? Die zuletzt genannte Redensart wird gerne zur Beschreibung der Zuwachsraten bei der Nachfrage der Unternehmen nach extrem sicherer Datenspeicherung verwendet.

Die daraus entstehenden "einsatzkritischen" Gebäude sind in gewisser Weise die amerikanischen Äquivalente für die "Hot sites", die in London vor einigen Jahren während Anschlagsserie der IRA und vor allem nach dem Bombenanschlag 1996 in Canary Wharf entstanden sind, der eine Reihe nicht so gesicherter Datenspeicher zerstört und einige Finanzinstitutionen aufschreckte. Aber während die britischen "hot sites" lediglich unauffällige Gebäude waren, die mit Workstations ausgestattet waren, so dass die Unternehmen trotz Computerabstürzen und Bränden im oder Terroranschlägen auf das Hauptbüro weiter arbeiten konnten, sind die "Mission Criticals" richtige Architekturstücke. Die Amerikaner werden vermutlich nicht in das Extrem gehen und zulassen, dass man ihnen wie amerikanischen Hochschulen und Krankenhäusern Namen gibt. Es wird niemals eines beispielsweise mit dicken Buchstaben an der Vorderfront den Namen tragen: "The Jerry Lewis Mission Critical Building". Aber sie sind so groß, so teuer und derart dem "direkten Blick entzogen", dass sie dennoch in einem Land die Neugier auf sich ziehen, in dem es sehr viel größeren Zugang zu Informationen als in Europa gibt,

Es überrascht nicht, dass die meisten Amerikaner ihre "Mission Critical" Gebäude in einem strahlenden Licht sehen. Wie die Verstecke der Bösewichte in James Bond Filmen werden sie bewusst weit weg von Erdbebengräben, überschwemmungsgefährdeten Gebieten, Gleisen, Autobahnen und Flughäfen situiert und teilt sich ihre Identität nur durch die vielen "Satellitenschüsselfarmen" mit. Abhängig von der Zahl der erforderlichen Mitarbeiter und der Menge der zusätzlichen Ausstattung zur Sicherung des "24-7"-Betriebs ihrer endlosen Reihen von Servern, kann ihr Bau 10 Mal soviel kosten wie normale Bürogebäude.

Sie sind gegen Stürme bis zu einer Geschwindigkeit von 300 Stundenkilometern geschützt und manche besitzen überdies ein Notdach, das so angebracht ist, dass es davonfliegt, wenn der Schaden zu groß wird. Darunter befindet sich dann ein zweites gepanzertes Dach. Alle verfügen über beträchtliche eigene Stromerzeugungskapazitäten, nicht nur, weil sie von Ausfällen des Stromnetzes geschützt werden müssen, sondern auch weil sie, wenn sie in Betrieb sind, soviel Energie wie 2000 Häuser verbrauchen. Diese ganze Ausstattung ergibt einen Anteil der Nutzfläche an der Gesamtfläche, der das genaue Gegenteil eines normalen Bürogebäudes ist. Ein typisches "Misson Critical"-Gebäude hat beispielsweise eine Gesamtgrundfläche von 10.000 Quadratmetern, von denen aber nur 1.000 Quadratmeter für die Server und Angestellten zur Verfügung steht.

Gegenwärtig ist die Einordnung dieser Gebäude in der Kosmologie der amerikanischen Architektur der Gegenstand einer hitzig geführten Diskussion. Manche behaupten, sie seien die letzten Überbleibsel der Unternehmen der "old economy", die gebaut wurden, um die in Jahren der Monopolmacht angehäuften Geheimnisse gegen die lüsternen Augen des Internet zu verteidigen. Andere weisen darauf hin, dass sie auch von überlebenden Dot-Coms der "new economy" gebaut wurden, die noch immer versuchen, die Glaubwürdigkeit zu erlangen, die sie schließlich zu Gewinnen führen wird, indem sie sich schließlich in das große Bild einfügen.

Das wird nur die Zukunft zeigen.