Amerika, du hast es auch nicht besser!

Grenze zwischen USA und Mexiko. Bild: Sgt. 1st Class Gordon Hyde

Migration ist das große Streitthema unserer Zeit – und zwar beiderseits des Atlantiks. Indes sind 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Wie kann das Problem gelöst werden?

"Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, der alte,

hast keine verfallenen Schlösser und keine Basalte.

Dich stört nicht im Innern zu lebendiger Zeit

unnützes Erinnern und vergeblicher Streit."

So reimte unser Dichterfürst Goethe vor fast zweihundert Jahren. Das ist lange her, und Amerika steht nicht besser da als der alte Kontinent. Beim Thema Migration hat die aktuelle innenpolitische Diskussion in den USA viel mehr mit den deutschen und europäischen Debatten gemeinsam, als es unsere Medien, auch die weltoffenen, wiedergeben. Hierzulande verläuft die Frontlinie zwischen den Befürwortern einer sogenannten Willkommenskultur und den Warnern vor deren Folgen.

Erstere sind vor allem im links-grünen Milieu zu Hause und sehen in den Warnern nur Rechtsextreme oder gar Nazis, keinesfalls aber Partner, mit denen man über politische Alternativen oder Lösungsmöglichkeiten diskutieren kann. Wie immer in solchen Debatten gilt: Je weiter links man selbst steht, desto mehr Rechte sieht man und umgekehrt.

In den USA sind die Fronten ähnlich verhärtet und ideologisch unvereinbar, nämlich weitgehend zwischen Republikanern und Demokraten und ihren jeweiligen Anhängern. Der große historische Unterschied, dass die USA schon immer ein Einwanderungsland waren und Deutschland erst in den letzten Jahrzehnten, scheint inzwischen irrelevant.

Immigranten wurden in den USA immer diskriminiert, besonders eklatant die Iren, Juden und Chinesen, während und nach den beiden Weltkriegen auch die Deutschen. In den letzten Jahren rächt sich manche Politik der USA in ihrem "Backyard" Mittel- und Südamerika durch steigende Migrationszahlen aus dieser Region. Politische und militärische Interventionen in den "Bananenrepubliken" und das Ignorieren ihrer wirtschaftlichen Probleme haben zu einer Armutsmigration geführt, die in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat.

Von den rund 330 Millionen Amerikanern gelten 62 Millionen als "Hispanics" und sind damit die am schnellsten wachsende Minderheit gegenüber nur 190 Millionen stagnierenden "Weißen". Seit Jahrzehnten nehmen Hispanics schlecht bezahlte Jobs in der Landwirtschaft und im Dienstleistungssektor an, lernen Englisch und schicken ihre Kinder zur Schule.

Da viele von ihnen relativ hellhäutig und zudem katholisch sind, gelang ihnen die Integration oft leichter und schneller als anderen Minderheiten. Aber Parallelgesellschaften hat es in den USA praktisch immer gegeben, von den Chinatowns bis zu den schwarzen Ghettos, aber auch in deutschen oder polnischen und anderen ethnischen Siedlungsgebieten.

Ausgrenzung und Abschottung

Die Pläne von US-Präsident Trump, die Grenze zu Mexiko mit einem gigantischen Zaun gegen illegale Einwanderer abzuriegeln, sind in Deutschland eher als Kuriosum und Trump-Fantasie durch die Medien gegangen. Doch inzwischen sind ähnliche Projekte in Polen, im Baltikum oder an der türkischen Grenze längst Realität und werden als Wunderwaffe auch an Europas Südgrenzen ernsthaft diskutiert.

Präsident Joe Biden, der "humaner" vorgehen wollte und einige Verschärfungen der Trump-Ära zurückgenommen hatte, sah sich mit erheblichen Vorwürfen gegen seine als zu lasch empfundene Migrationspolitik konfrontiert.

Einen Einblick in die praktischen Probleme gab im April eine ungewöhnlich offene Pressekonferenz des New Yorker Bürgermeisters Eric Adams, der konkrete Zahlen nannte. Im vergangenen Jahr, so Adams, seien 57.000 Asylsuchende nach New York gekommen, 2023 würden es täglich 200 mehr sein. Um sie unterzubringen, habe die Stadt 103 Hotels als Notunterkünfte anmieten müssen.

Zudem mussten 14.000 Migrantenkinder in öffentlichen Schulen untergebracht werden. Die Gesamtkosten von 4,2 Milliarden Dollar in den vergangenen zwei Jahren hätten den Haushalt so stark belastet, dass in vielen anderen Bereichen erheblich gespart werden müsse. Der Demokrat Adams, eigentlich ein Unterstützer Bidens, griff den Präsidenten und die US-Regierung für das Versagen in der Migrationspolitik scharf an - ein eher ungewöhnlicher Akt in der bitteren Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern.

Seit Biden am 11. Mai die von Trump eingeführte Grenzschutzregelung "Title 42" zur Abschiebung illegaler Einwanderer aufgehoben hat, sind die Zahlen so hoch wie nie zuvor. Und der Widerstand geht weit über die Parteigrenzen hinaus. Unter "Title 42" hatte die Grenzpolizei mehr als zwei Millionen Migranten nach Mexiko zurückgeschickt, doch mehr als eine Million kamen mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen und langfristigen Terminen bei Einwanderungsgerichten ins Land. Bürgermeister und Gouverneure riefen den Notstand aus und schickten Migranten in Bussen nach New York oder in demokratisch regierte Bundesstaaten.

Entsprechend dramatisch war das Elend auf mexikanischer Seite, wo Zehntausende von Migranten in überfüllten Lagern oder unter freiem Himmel campierten und von Mafiabanden ausgeraubt wurden. Während die ersten großen Wellen aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela kamen, wächst die Zahl der Schutz und bessere Lebenschancen suchenden Menschen aus Brasilien, Kolumbien, Ecuador und Peru exponentiell.

Wie in Europa wird auch in den USA das geltende Asylrecht als Problem angesehen. Knapp 50 Jahre alt, war es als Schleuse gedacht, um in Einzelfallverfahren die Fluchtgründe der Asylsuchenden zu prüfen und festzustellen, ob sie ausreichend nachweisen können, dass sie bedroht oder verfolgt werden.

Mitte 2023 sind noch mindestens 800.000 Fälle anhängig, was die Immigrationsgerichte stark überlastet. Auf der Website des Justizministeriums sind mehr als 60 Gerichte und mehr als 600 Richter aufgelistet. Es handelt sich um Zivilgerichte, die nach dem 14. Verfassungszusatz allen Personen auf amerikanischem Boden, also auch Migranten, das Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren garantieren.

Interessant ist, dass die Anhörung auch per E-Mail oder Telefon möglich ist. Die Verfahren dauern im Durchschnitt vier Jahre, doch die Ergebnisse sind nicht ermutigend. Im Jahr 2022 wurde in 22.311 Fällen Asyl gewährt und in 26.000 Fällen abgelehnt. Die Zahl der tatsächlich ins Land strömenden Migranten ist so viel höher, dass dieses geordnete Asylverfahren eigentlich ineffizient ist.

Die Maßnahmen der Biden-Administration zur Erschwerung illegaler und unkontrollierbarer Migration ähneln auffallend den derzeit in Deutschland diskutierten Lösungsansätzen. Seit der Abschaffung des "Title 42" im Mai setzt die Regierung auf ein System, das bereits an den Außengrenzen legale Wege der Einwanderung eröffnen soll. Im Rahmen des neuen Programms können Asylsuchende per Telefon-App einen Termin an einem autorisierten Grenzübergang beantragen, illegale Grenzgänger werden weiterhin abgeschoben.

Dazu wurde die Grenzpolizei an der mexikanischen Grenze gerade um 1.500 Mann aufgestockt. Applaus für den Präsidenten gab es dafür nicht. Für die Migrationsgegner tut er zu wenig und öffnet die Grenzen angeblich für Kriminelle, Drogenschmuggler und chinesische Spione, für die Befürworter hat er Grundrechte und moralische Werte verraten und tut diesbezüglich zu wenig.

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