"Ammo"-Nation USA

Derzeit besonders gefragt: 9mm-Patronen. Bild: Jay Rembert on Unsplash

Waffenverkäufe boomen in Zeiten der Pandemie. Kommt das Kriegsrecht?

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Panik breitet sich gerne dann aus, wenn Gerüchte kursieren und die Informationslage unklar ist. Als Barack Obama gewählt wurde, befürchteten viele Amerikaner eine Verschärfung des Waffengesetzes und standen an den Waffengeschäften des Landes Schlange. Als in Folge des Amoklaufs an der Sandy Hook Grundschule erneut eine Regulierung zur Debatte stand, waren die Panikkäufe so groß, dass die Waffenhersteller der Nachfrage kaum hinterherkamen.

Und nun, da das neuartige Coronavirus (COVID-19) sich in den USA immer schneller ausbreitet und der Modus Operandi der US-Regierung von der anfänglichen Beschwichtigung in Hysterie umschlägt, führt die Verunsicherung in der Bevölkerung abermals an die Pforten der Waffenläden. In vielen US-Bundesstaaten steigen die Waffenverkäufe, berichtet etwa die LA Times.

Andere bestellen online: Bei Google trenden nicht nur die Suchen nach "Wo ist der nächste Waffenladen", sondern auch nach den Online-Shops von "Ammo", "Grab-a-Gun", "Ammo Empire" und "Grind Hard Ammo". Gekauft werden in diesen Zeiten vor allem Munition für 9mm-Pistolen und .223-Munition für das halbautomatische Gewehr AR-15, das Donald Trump Jr. kürzlich auf Twitter anpreiste: "Man braucht sie nicht, bis man sie braucht."

In den letzten Jahren waren Schusswaffenverkäufe wieder zurückgegangen, aufgrund geringerer Bedenken über eine strengere Waffenregulierung unter Präsident Donald Trump. Mehrere schwere Massenschießereien und Amokläufe mit halbautomatischen Maschinengewehren hatten auch einige große Unternehmen und Einzelhändler dazu veranlasst, ihre Geschäfte mit der Waffenindustrie einzustellen. Die Supermarktkette Walmart etwa sagte im September, nach der Massenschießerei in ihrem Geschäft in El Paso mit 22 Toten, dass sie Munitionsverkäufe einstellen würde.

Doch nun ist die Panik wieder da. Die Untätigkeit der Trump-Regierung, die die Ausbreitung des Virus' verschlimmerte, hat sie wieder ins Haus geholt. Rund ein Hunderttausend Menschen haben allein in der letzten Woche wegen des Coronavirus ihre Arbeit verloren. Hunderttausende decken sich nun mit Waffen und Patronen ein.

Das gilt nicht nur für die Bürger der vom Coronavirus am stärksten betroffenen Bundesstaaten - Kalifornien, New York und Washington. Auch in deren benachbarten Bundesstaaten hat das große Horten begonnen. Zahlen des Online-Shops Ammo.com zufolge vervierfachten sich zuletzt im ganzen Land die Umsätze. Im kleinen Bundesstaat Delaware mit 26 Infizierten stiegen die Verkaufszahlen um 4.529 Prozent. In Oklahoma, Mississippi und Louisiana, ebenfalls mit niedrigen Infektionszahlen, verzehnfachte sich der Umsatz. Idaho und Oregon, die an Washington, dem Epizentrum des COVID-19-Ausbruchs in den USA, grenzen, verzeichneten ein Wachstum von über 500 Prozent.

Viele Erstkäufer, darunter: Asian-Americans

Allein im Februar wurde die dritthöchsten Zahl an Background Checks seit der Gründung des National Instant Criminal Background Check System (NICS) im Jahr 1998 verzeichnet. Dabei ist das Land ohnehin bis an die Zähne bewaffnet. Auf 100 Personen kommen etwa 120 Schusswaffen. Laut Gun Policy befinden sich in den USA ungefähr 400 Millionen Feuerwaffen in Privatbesitz, rund 40 Prozent der überhaupt in der Welt existierenden Pistolen, Gewehre und Maschinenpistolen. Einer landesweiten, repräsentativen Umfrage des Pew Research Center von 2017 zufolge geben rund 40 Prozent der Befragten an, in einem Haushalt mit einer Schusswaffe zu leben.

Diese Zahlen dürften nun steigen. Zwar gibt keine genaue Statistiken darüber, wie viele Leute wöchentlich oder in Echtzeit Waffen kaufen, aber die sogenannten Background Checks geben einen Hinweis auf die Zahl der Erstkäufer. Dem National Instant Criminal Background Check System (NICS) der FBI zufolge, bei dem die sogenannten Background Checks einlaufen, sollen 70 Prozent der Kunden Erstkäufer sein.

Ebenfalls steigen dürfte die Zahl jener, die in den Statistiken zur Waffenbesitzquote bisher fehlte: die Gruppe der Amerikaner asiatischer Abstammung. Sie kauften schlicht kaum Waffen, um eine nennenswerte Gruppe in den Statistiken zu bilden. Doch das ändert sich nun, seit der Beginn der Epidemie in China von rassistisch motivierten Angriffen in den USA begleitet wurden, denn seit den ersten Ausbrüchen des Coronavirus in den USA haben die Anfeindungen gegen asiatische Amerikaner zugenommen, einschließlich Mobbing, rassistischen Beleidigungen und Drohungen.

Auch Trump wird dafür kritisiert den öffentlich ausgelebten Rassismus zu verschärfen, wenn er das Coronavirus als "das chinesische Virus" bezeichnet. Der sich an der Krankheit manifestierende Rassismus hat Tradition in den USA. Er speist sich aus lange gehegten Stereotypen über asiatische Amerikaner. Bereits im späten 19. Jahrhundert beschrieben Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens in den USA chinesische Amerikaner als krankheitsverseucht und schmutzig. Aus Angst vor Angriffen wollen sich viele Asiatische Amerikaner mit Waffen verteidigen, berichtet das auf Waffengewalt spezialisierte Magazin The Trace.

Die Angst vor dem Kriegsrecht

Zum Run auf die Waffengeschäfte führen auch andere Gründe, etwa die Furcht vor Plünderungen und einer Auflösung der sozialen Ordnung, aber auch, dass die Regierung ihre Notstandsbefugnisse dazu nutzen könnte, den Kauf von Waffen einzuschränken. Zudem sind Gerüchte im Umlauf, dass Trump kurz davor stehe, das Kriegsrecht ("martial law") auszurufen. Auch einige Kommentatoren beschäftigen sich mit der Frage, ob die Ausrufung dieser Maßnahme nur eine Frage der Zeit ist. Für Waffenbesitzer bedeutet das vor allem: Dann könnten ihre Waffen konfisziert werden.

Die Verhängung des Kriegsrechts würde eine Aussetzung von Teilen der Verfassung, insbesondere der Bill of Rights, bedeuten, als auch die Aussetzung des Habeas-Corpus (ordnungsgemäßes Verfahren), Reisebeschränkungen, Straßensperren, strenge Quarantänezonen und das Abgeben von Schusswaffen - für manche der blanke Horror.

Aus dem Arsenal an Handlungsmöglichkeiten, die dem Präsidenten im Kampf gegen das Coronavirus zur Verfügung stehen, schöpfte Trump bereits, als er letzte Woche den nationalen Notstand erklärte und damit weitreichende Befugnisse erhielt. Das weckt bei einigen jedoch Erinnerungen an die Zeit während des Hurrikans Katrina, als die Bürger von New Orleans dazu aufgerufen wurden, ihre Waffen abzugeben, bevor sie in die Schutzquartiere kamen. Daraus machten die Waffenlobbyisten der NRA eine groß angelegte Kampagne, die bis heute nachhallt: Staatliche Maßnahmen in Katastrophenzeiten gingen einher mit Freiheitsraub und Enteignung.

Selbst der republikanische Senator Marco Rubio sah sich gezwungen am Montag zu twittern:

Bitte hört auf, dumme Gerüchte über das Kriegsrecht zu verbreiten.

VÖLLIG FALSCH

In bestimmten Städten und Staaten werden wir weiterhin Schließungen und Einschränkungen der Öffnungszeiten nicht wichtiger Geschäfte erleben. Aber das ist KEIN Kriegsrecht.

Doch dass Trump auf Bundesebene das Kriegsrecht verhängt und Waffen konfiszieren lässt, ist absurd. Im Wahljahr wird er kaum durch so eine Maßnahme seine Anhänger vergraulen. Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom schloss dagegen einen Einsatz des Kriegsrechts nicht aus. Mittlerweile haben alle fünzig Gouverneure des Landes in ihren Staaten den Notstand ausgerufen und rufen die Nationalgarde zur Unterstützung auf, um bei der Bekämpfung der wachsenden Coronavirus-Pandemie zu helfen.

Am Freitag, als Donald Trump den Notstand ausrief, wurde derweil ein Plan der US-Regierung zur Bekämpfung des Coronavirus bekannt. Darin werden politische Entscheidungsträger gewarnt, dass eine Pandemie "18 Monate oder länger dauern" und "mehrere Wellen" umfassen könnte. Das könnte zu weiteren Engpässen führen, die die Verbraucher und das Gesundheitssystem des Landes belasten würden. Es wurde auch von besonderen präsidialen Befugnissen zur Mobilisierung des privaten Sektors gesprochen, dem "Defense Production Act".

Dieses Gesetz verleiht dem US-Präsidenten eine breite Palette von Befugnissen, um die heimische Industrie im Interesse der nationalen Verteidigung zu beeinflussen. Diese Befugnisse können die Industrie so gestalten, dass sie auf Verlangen in der Lage ist, wichtige Materialien und Güter wie Beatmungsgeräte, Atemmasken und Schutzausrüstungen herzustellen. Trump erklärte, er könnte diese Notfallbefugnisse ergreifen, um das Kommando über die Wirtschaft des Landes zu übernehmen. Ausgenommen davon werden wohl die nationalen Waffenhersteller sein. Deren Geschäfte laufen derzeit zu gut.