Amnesty tritt für Entkriminalisierung der Prostitution ein…
…nicht für Legalisierung - Kritiker werfen der Menschenrechtsorganisation vor, dass sie sich gegen die Opfer stellt und "auf die Seite der Täter"
Solange Personen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, kriminalisiert werden, sind sie einem konstanten hohen Risiko ausgesetzt, diskriminiert zu werden, körperlicher Gewalt und Missbrauch, also Schmähungen, Beleidigungen Brutalitäten, schlimmsten Körperverletzungen, Vergewaltigungen und anderes, was menschliche Höllenkreise so zu bieten haben.
Sexarbeiter gehören zu den verletzlichsten Randgruppen in der Welt, sie brauchen Schutz - das ist der Begründungsschwerpunkt einer neuen Richtlinie "zu staatlichen Verpflichtungen gegenüber den Menschenrechten von Prostituierten", welche Amnesty International am Dienstag bei dem International Council Meeting (ICM) in Dublin mehrheitlich verabschiedet hat.
Dass das Votum für diese Position gegen Kriminalisierung, die in 13 Punkten der neuen Richtlinie aufgefächert wird, auf einer komplexen Schichtung vieler akuter Problemlagen - der Zusammenhang zwischen Prostitution und Menschenhandel, Ausbeutung, Abhängigkeiten, Gewaltverhältnisse, Vermarktung und Verdinglichung von Menschen, Geschlechter- und Machtverhältnisse etc. - getroffen wurde, ist den Befürwortern bei der Menschenrechtsorganisation klar. Wie auch, dass diese Entscheidung eine globale, wenn auch symbolpolitische Reichweite hat.
Als Argument für die Positionierung wird auf jahrelange Recherchen und Gespräche mit mehr als 200 Prostituierten aus unterschiedlichen Ländern (genannt werden in Argentinien, Hong Kong, Norwegen und Papua Neu Guinea), mit ehemaligen Prostituierten, mit Polizeivertretern, Regierungsvertretern verwiesen, ergänzend auf Studien und Arbeiten von Organisationen wie der WHO, UN AIDSs, dem Un-Sonderberichterstatter und anderen UN-Organisationen verwiesen wie auch auf Stellungnahmen von UN Women, Anti-Slavery International, Global Alliance in Trafficking in Women.
Es sei eine harte Entscheidung gewesen, aber wichtig, betont der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shatty. In den Q&A-Stellungnahmen wird der Unterschied erklärt, der zwischen der Position "Entkriminalisieren", der von AI verfochten wird, und der Position "Legalisieren", der von AI nicht verfochten wird, besteht:
Die Entkriminalisierung von sexuellen Dienstleistungen gegen Geld ("sex work") bedeutet, dass Sexarbeiter ("sexworkers") nicht länger gegen Gesetze verstoßen. Sie sind nicht dazu gezwungen, außerhalb des Gesetzes zu leben und es gibt dadurch einen anderen, besseren Geltungsbereich für Menschenrechte, die geschützt werden müssen.
Wenn Sexdienstleistungen legalisiert werden, heißt das, dass der Staat spezielle Gesetze und Richtlinien erlässt, welche die Arbeit der Sexarbeiter formell regeln. Das kann zu einem Zwei-Klassen-System führen, wo viele Sexarbeiter außerhalb dieser Regulierungen ihre Dienste anbieten und dennoch kriminalisiert werden - überwiegend die am meisten marginalisierten Straßenprostituierten.
Entkriminalisierung gibt den Sexarbeitern mehr Kontrolle darüber, wie sie unabhängig ihrer Arbeit nachgehen können, in selbst organisierter Weise, in informeller Zusammenarbeit, mit der Kontrolle darüber, in welcher Umgebung sie arbeiten wollen - Möglichkeiten, die eine Legalisierung häufig nicht zulässt.
Bei unseren Gesprächen mit Prostituierten haben sich die meisten für die Entkriminalisierung ausgesprochen, waren aber beunruhigt über die Implikationen einer Legalisierung. Nicht nur aus Misstrauen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, sondern aus Angst, dass ein falsches Modell gesetzlich verankert wird, dass sie entmächtigt oder sogar weiter zu Kriminalisierung und Missbrauch führt.
Man stelle sich nicht prinzipiell gegen die Legalisierung, erklärt AI, aber man wolle sichergehen, dass Prostitutions-Gesetze den Menschenrechten entsprechen.
Auch gegen den Vorwurf, man unterstütze mit der neuen Policy Zuhälter, wehrt sich die Organisation und besteht auf Differenzierung. Man sei eindeutig für Gesetze gegen die Ausbeutung der Sexarbeit durch Dritte. Aber es gebe Gesetzgebungen, die allein die Kooperation zweier Sexarbeiter, die aus Sicherheitsgründen heraus bedingt ist, schon unter den Straftatbestand der Gründung eines Bordells einordne, mit entsprechenden juristischen Konsequenzen.
Trotz dieser Erklärungen reagierten Kritiker harsch, berichtet Die Zeit:
Der Shitstorm kam prompt. Wenige Minuten nach der Entscheidung von AI.
Vorneweg wird Alice Schwarzer als prominente Kritikerin zitiert:
Wenn Amnesty jetzt für die Legalisierung 'der Organisation von Sexarbeit' kämpft, so wörtlich, bedeutet das: Amnesty bestärkt Frauenhändler, Zuhälter und Bordellbetreiber - und liefert damit die Mädchen und Frauen in der Prostitution noch mehr aus", sagte Schwarzer ZEIT ONLINE. Amnesty schlage sich so "auf die Seite der Täter - auf Kosten der Opfer".
Von der deutschen Amnesty-Organisation fand sich am Tag nach der Entscheidung lange kein Statement, weder auf der Webseite, noch auf Twitter. Das erfolgte später dann doch.