Amri-Komplex: Polizei darf Vertuschungen der Polizei untersuchen

Seite 2: Einzeltäter-Theorie

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"Fehlverhalten Einzelner" - das erscheint wie eine angepasste Formel der immer wieder bemühten "Einzeltäter"-Theorie.

Die sieht die Bundesanwaltschaft auch hinsichtlich des LKW-Anschlages auf den Weihnachtsmarkt vom 19. Dezember. Anis Amri war für sie ein "Einzeltäter". Er kann dazu nichts mehr sagen, weil er wenige Tage später in Mailand von der Polizei erschossen wurde.

Einzeltäter hier - Einzeltäter dort. Die NSU-Mordserie soll von den zwei Einzeltätern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen worden sein. Das Bombenattentat auf das Oktoberfest in München im September 1980 soll auf das Konto des Einzeltäters Gundolf Köhler gehen. Die Einzeltäter-Theorie ist bequem, weil sie weitere Ermittlungen erspart. Und sie hilft, mögliche systemische und damit noch gefährlichere Hintergründe zu verschleiern. Im NSU-Skandal kann das als belegt gelten.

Gibt sich im Fall Amri jetzt auch der Innensenator von Berlin bei der Aufklärung der Manipulationen lieber mit einem Sündenbock zufrieden, als das Problem möglicherweise innerhalb der Polizei zu suchen? Im Innenausschuss jedenfalls war das Bemühen spürbar, Tempo aus dem Skandal herauszunehmen und abzuwiegeln.

Polizei ermittelt gegen sich selbst

Er habe seine Strafanzeige wegen Strafvereitelung nur gestellt, um ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten, erklärte Geisel. Man müsse aufpassen, dass das Ganze keine Polizeidebatte werde. Die Sicherheit sei durch Terroristen gefährdet und nicht durch die Polizei, die sein ungebrochenes Vertrauen genieße, ausdrücklich auch das LKA. Der Innensenator reagierte damit auch auf die Kritik von konservativen Politikern und Polizistenverbänden an seiner Maßnahme, Strafanzeige gegen unbekannte Polizeibeamte zu stellen. Gegen mindestens zwei Kriminalbeamte werde derzeit ermittelt, heißt es.

Als wäre es ein Treuebeweis, überlässt der Innensenator zusätzlich der Polizei selber die Aufklärung der Manipulationen innerhalb der Polizei. Beim Polizeipräsidium wird eine Task Force gebildet, in der 14 Kriminalbeamte den Ungereimtheiten über die veränderten Ermittlungsunterlagen nachgehen sollen. Also die Institution, in der die Vertuschungen begangen wurden. Nebenbei stellt sich damit die Frage, welcher Platz dann dem so hochgelobten Sonderermittler Bruno Jost, ehemaliger Bundesanwalt, noch bleibt. Der Mann, der auf die Manipulationen stieß, scheint nun entmachtet zu sein.

Die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) war nach den Enthüllungen der letzten Tage nur noch eine Frage der Zeit. Bisher hatten sich die Regierungsfraktionen SPD, Grüne und Linke gegen einen PUA ausgesprochen. Noch während der Sitzung des Innenausschusses wurde eine Presseerklärung verteilt, nach der sich die Koalition nun auf einen U-Ausschuss verständigt habe. Damit sind alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus dafür.

Allerdings will sich eine Mehrheit im Parlament hinten anstellen und abwarten. Denn vorher soll der Sonderermittler noch seinen Zwischenbericht erstatten, der dann wohl ein Abschlussbericht sein wird. Das ist für den 3. Juli geplant. Ein U-Ausschuss könnte so frühestens im Herbst mit seiner Arbeit beginnen. Für die Task Force der Polizei also jede Menge Zeit, ihre Nachforschungen zu betreiben, unkontrolliert von Abgeordneten.

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