Amtsenthebungsverfahren USA: Der innere Feind

Biden will die Demokratie reparieren. Die Anwälte Trumps werfen den Demokraten "Cancel culture" gegen politische Opponenten vor. Wann ist Aufwiegelung zur Gewalt der Fall?

Wozu ein Impeachment (Amtsenthebungsverfahren) gegen einen Präsidenten, der nicht mehr im Amt ist? Obendrein gehen die Chancen, dafür die nötige Zwei-Drittel Mehrheit im Senat zu bekommen, gegen Null.

"Cancel culture gegen politische Opposition"

Die Antwort der Verteidiger Trumps in der Sache lautet, dass es die Demokraten mit ihrer "verfassungswidrigen Anklage" darauf abgesehen haben, "die politische Opposition zu disqualifizieren". Es gehe um nichts weniger als um eine Cancel culture, die sich auf die Verfassung beruft, wofür in den Augen der Anwälte, die Trumps Position vor dem Senat verteidigen, nichts spricht. Im Gegenteil: Die Vorwürfe stünden nicht im Einklang mit den von der Verfassung garantierten Rechten, auf die sich der Ex-Präsident berufen kann.

Für das Amtsenthebungsverfahren spricht allerdings vieles, wie man bei der Live-Übertragung aus dem Senat, wie sie etwa die New York Times übermittelt, verfolgen kann. Es ist der offen ausgetragene Streit der Positionen und der Argumente, die von der Relevanz des Verfahrens überzeugt.

Muster in Trumps Äußerungen

Die Anklage der Demokraten, vertreten durch die sogenannten Impeachment managers , wirft Trump vor, dass er zur Gewalt aufgerufen hat, konkret und allen voran: Dass er mit seinen Äußerungen für die Erstürmung des Kapitols durch eine gewalttätige Meute am 6. Januar dieses Jahres verantwortlich ist.

Argumentiert wird zudem, dass dies kein Einzelfall ist, sondern in einer Reihe von Gewaltausschreitungen steht, worin sich ein Muster zeigt. Als Beispiele werden zitiert: Die Gewaltausschreitungen in Charlottesville im August 2017 und in Michigan, wo Ende April 2020 "zum Teil bewaffnete Demonstranten" ins Parlamentsgebäude der Hauptstadt Lansing eingedrungen waren.

Manipulationsvorwürfe der Trump-Verteidiger

Die Verteidiger Trumps halten der Anklage entgegen, dass sie dafür keine stringenten Beweise vorlegen können. Eine wichtige Rolle spielt Michael van der Veen, der sich auch den Fragen im Senat stellte. Er ging noch weiter: Van der Veen hielt den Anklägern vor, dass sie Beweise, zum Beispiel Twitter-Postings manipuliert hätten, dass sie Äußerungen Trumps aus dem Kontext gerissen hätten, abgeschnitten, irreführend geframt und damit letztlich lügen.

Es ist also alles versammelt, was den Nachrichtenlesern aus den politischen Auseinandersetzungen über Anstiftung zum Hass die letzten Jahre ins Gesicht schlug: Vorwürfe der Manipulation, der Lüge, der Hetze und über allem die Schwierigkeit des genauen Nachweises der jeweiligen Vorwürfe.

Man kann das gegenwärtige Impeachment-Verfahren im Senat auch als Weiterführung der Debatte über "Hasskriminalität" auf großer Bühne sehen. Es geht um einen Kulturkampf und es geht darum, welche Grenzen der Legitimität von Äußerungen abgesteckt werden.

Dass der Streit darüber durch das Impeachment-Verfahren öffentlich ausgetragen wird, über Internet international zugänglich, ist ein Verdienst, das den Demokraten hoch anzurechnen ist. Es ist eine Art "Schauprozess", allerdings eben nicht im bösen, diktatorischen Sinn, sondern das demokratische Verfahren herausstellend: Dass ans Helle kommt, was sonst im Dunklen bleibt. Zum anderen sind die realen politischen Machtverhältnisse derart, wie oben dargestellt, dass die Verteidiger die besseren Karten haben.

"Anstiftung zur Gewalt"

Das Team Biden/Harris ist mit dem Versprechen angetreten, die Demokratie in den USA wieder zu heilen oder zu reparieren. Das Amtsenthebungsverfahren gilt als erste Etappe. Der Trumpismus habe die Demokratie schwer beschädigt, lautet der grundsätzliche Vorwurf. Der konkrete lautet: Trump selbst sei mit seiner Rede, die er am 6. Januar gehalten hat, dafür verantwortlich, dass seine Anhänger in Hundertschaften an diesem Tag gewaltsam ins Kapitol eingedrungen sind und sich die Abgeordneten mehrere Stunden lang schwer bedroht gefühlt haben.

Der Grund für die "Invasion" sei gewesen, dass der Präsident und ihm zugeneigte Kräfte verhindern wollten, dass an diesem Tag das Wahlergebnis offiziell bestätigt werde. Dass eine solche Aufwiegelung überhaupt in Gang gebracht werden konnte, liege wiederum an der ganz "großen Lüge", die Trump als Präsident über Monate vorbereitet und seit der Wahl insistierend verbreitet habe, dass er betrügerisch um seinen Wahlsieg gebracht worden sei, in Wirklichkeit habe er einen Erdrutschsieg gelandet, man habe ihm den Sieg gestohlen.

Dass letzteres eine Märchenerzählung ist, dafür haben die Anklageführer faktisch überzeugende Argumente. Aufgezählt wurden mehr als 60 Gerichtsurteile, die Wahlbetrugsklagen nicht stattgegeben haben. Und gezählte sieben Millionen Stimmen mehr für Biden als für Trump. Die Frage ist nun, wie Biden mit den 75 Millionen Trump-Wählern umgehen wird. Wie werden sie auf das Impeachment reagieren? Spielt es für sie überhaupt eine Rolle?

"Friedlich und patriotisch"

Die Anklage legte am ersten Tag neues Videomaterial zum Geschehen am 6. Januar vor, das, anders als zuvor kursierende Videos, die Gewalt zeigt, mit der die Meute sich Zutritt zum Kapitol verschaffte und dass der Vortrupp der mit Baseballschlägern bewaffneten Stürmer nicht einfach als Fanboys zu bezeichnen sind, die mal kurz ein bissl Krawall machen.

Es gibt zu den Ereignissen allerdings auch anderes Filmmaterial wie etwa vom New Yorker, gewiss kein Trump-Fanzine, und andere Handy-Clips, die eher das Bizarre fokussieren - ohne körperliche Gewalt, ohne Fenstereinschlagen oder Bedrohen von Polizisten, eher ein Gewährenlassen seitens der Polizisten.

Die Anwälte Trumps argumentierten gestern damit, dass man erstaunt darüber sei, dass das Videomaterial erst zum Impeachment-Verfahren "ausgepackt" wurde, dass ihnen das Timing als Teil einer Strategie erscheine, die es auf "Manipulation" abgesehen habe. Dafür legten sie auch Twitter-Postings vor, die von der Anklage als Beweismaterial verwendet werde, deren Datum aber manipuliert worden sei.

Damit treffen sie ganz sicher das Credo-Herz der Trump-Anhänger. Wie auch mit ihrem Vorwurf, wonach Äußerungen in der Rede Trumps vom 06. Januar von den Anklägern der Demokraten verzerrt dargestellt würden.

Trump habe mit keinem Wort zu einem gewalttätigen Sturm auf das Kapitol aufgerufen. Tatsächlich habe er sich an Menschen adressiert, die "friedlich und patriotisch ihre Stimmen zu Gehör bringen sollten".

Als zentrales, hauptsächliches, immer wiederkehrendes Argument wurde von Michael van der Veen vorgebracht, dass man doch mittlerweile wisse, dass die Aktion vorher geplant worden war. Die Rede Trumps, die von der Verfassung durch die Meinungsfreiheit geschützt sei, habe nicht zu den Gewaltakten angestiftet.

Würde man den Beweis über einzelne Wortfetzen, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, wie etwa "Fight to death", führen, dann gebe es diese Möglichkeit auch zu Dutzenden aus Redebeiträgen von demokratischen Politikern über die Proteste infolge des Todes von George Floyd. Dazu spielte nun auch die Verteidigung Trumps den Senatoren ein Video vor.

Trump-Anhänger fühlen sich von ihm zum Sturm aufgerufen

Die Ankläger konzentrierten sich auf den Vorwurf der Anstiftung zur Gewalt am 6. Januar durch Äußerungen von Trump. Sie konterten damit, dass Aussagen von den Capitol-Rioters vorliegen, wonach sie sich von Trump zum Sturm aufgefordert und unterstützt fühlten und als Order ihres Präsidenten verstanden haben, dass die offizielle Bestätigung des Wahlbetrugs zu stoppen sei.

Darüber hinaus argumentierten sie mit einer zeitlichen Koinzidenz von Äußerungen Trumps und den Vorgängen am 6. Januar. Ihr Vorwurf: Abzulesen sei daran, dass Trump sehr wohl wusste, welchen Effekt auf seine Anhänger es haben werde, wenn er sich zu bestimmten Zeitpunkten kalkuliert äußert. Zum anderen sei seine Untätigkeit ganz offensichtlich gewesen, als es darum ging, die kritische Situation im Kapitol in den Griff zu bekommen. Die Abgeordneten hätten in großer Unsicherheit stundenlang auf Unterstützung warten müssen.

In der Tat bietet sich hier das Bild eines Präsidenten, der es nicht mit Entschlossenheit darauf angelegt hat, die Situation zu klären und sich eindeutig gegen die Rioters zu stellen, was er erst sehr viel später tat.

Für seine Verteidiger, die gestern im Senat sprachen, ist das nicht stichhaltig. Sie verweisen auf das Urteil des Supreme Court, der 1969 genaue Kriterien für eine Anstiftung zur "Sedition" (Aufruhr, Aufwiegelung) vorlegte: Außer der "Ermutigung zu gewalttätigen oder gesetzlosen Handlungen" gehört dazu auch ein nachweisbarer Wunsch des Redners und eine objektive Wahrscheinlichkeit, dass sich dieser Wunsch durch die Rede erfüllt.

Das Umschlagen ins "intolerante Extreme"

Keine der drei Voraussetzungen sehen Michael van der Veen und seine Kollegen durch die Nachweise der Demokraten bestätigt. Darüber geht der Streit juristisch. Politisch hat das nochmal eine andere Ebene. Trump zu unterstellen, dass er über das Eskalations-Potential seiner politischen Äußerungen nicht Bescheid wusste, ist in Zeiten, in der Politik mit großen Datensammlungen nicht nur zielgerichtete Wahlkampagnen ausrichtet, realitätsfern und naiv. Er arbeitete gezielt mit der Intrige gegen das System, wonach seine Wahlniederlage ein abgekartetes Spiel war, dass sich gegen das "wahre Amerika" richtet.

Damit rührte er bei seinen Fans auf der rechten Seite einen Mechanismus, den die Autoritarismus-Forscherin Karen Stenner als Überkippen beschreibt: das Umschlagen ins "intolerante Extreme", wenn die Grenzen der Toleranz erreicht sind.

Hier hat Stenner auch einen Tipp für Biden und die Liberalen, was den Umgang mit den Gegnern im Inneren angeht: "Das protzige Zelebrieren eines absoluten Beharrens auf individueller Autonomie und uneingeschränkter Vielfalt" treibe diejenigen, die am wenigsten dafür ausgestattet sind, komfortabel in einer liberalen Demokratie zu leben, genau in dieses Extrem.

Die neue US-Regierung sollte Gleichheit und Gerechtigkeit fördern und dabei eine laute und provokative Zurschaustellung von Haltungen und Botschaften vermeiden, die Autoritäre unnötig verärgern. Die progressive politische Agenda sollte nicht geändert werden; sie sollte einfach subtiler gefördert werden.

Karen Stenner, Jessica Stern, How to Live With Authoritarians

Das Impeachment-Verfahren soll heute mit der Abstimmung im Senat beendet werden. "Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen". Das politische Theater geht weiter. Es wird nicht nur in den USA stärker um Informationsfreiheit und Informationspolitik gehen und um die Bestimmung dessen, wer der innere Feind der Demokratie ist, und wie mit politischen Gegnern und Systemkritik umzugehen ist.