An Wahlen mangelt es im Iran nicht!

Seite 2: Wie wichtig sind die Wahlen?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das iranische Parlament (Madschlis) spielt keine große Rolle weder in der Außen- noch (mit Einschränkung) in der Innenpolitik. Der Entscheidungsträger ist Ayatollah Khamenei, dem es laut Verfassung obliegt, die Richtlinien der Außenpolitik zu bestimmen.

Beim Nuklearabkommen vom Juli 2015 zwischen dem Iran und der internationalen Kontaktgruppe (die 5 UN-Sicherheitsratsmitglieder plus Deutschland) hat man konstatieren können, dass alle Torpedierungsbemühungen der islamistisch dominierten Legislative von Ayatollah Khamenei - der notgedrungen das Abkommen und die Aufhebung der Sanktionen unterstützte und somit sein Regime vor dem totalen ökonomischen Kollaps bewahrte - völlig neutralisiert wurden.

Khamenei ließ bewusst sein Parlament auf Rohani los. Schließlich sind viele dieser Parlamentarier seine Anhänger und ihm blind loyal ergeben. Sie durften nicht enttäuscht werden. Die Parlamentarier durften sogar Gesetzesentwürfe zur Kontrolle und Überprüfung der Verhandlungen beschließen. In der Praxis wurden sie aber nie umgesetzt.

Auch ein von Reformern dominiertes Parlament kann de facto Khamenei kein Dorn im Auge sein. Denn Khamenei kann jeden Beschluss (außen- und innenpolitisch) via "Hokm-e Hukumati" ("Khamenei-Erlass") aufheben. Diese Erfahrung haben die Reformer im sechsten von Reformisten dominierten Parlament allzu oft gemacht.

So ist der sogenannte "Zwillingsgesetzesentwurf" (Ausbau der Befugnisse des Präsidenten und Ausbau der Pressefreiheit) in der Ära des Reformpräsidenten Khatami (1997 - 2005) am Khamenei-Erlass gescheitert. Dennoch würde ein Madschlis, das mehrheitlich regierungsfreundlich ist, Rohanis Kabinett zumindest weniger Ärger bereiten und ihm nicht durch sinnlose Debatten und der Androhung eines Misstrauensvotums die Zeit stehlen oder sein positives Vorhaben, die hysterische Feindschaft zu den USA zu bereinigen, sabotieren.

Der Expertenrat ist aufgrund der angeschlagenen Gesundheit von Ayatollah Khamenei, der einige Male operiert worden ist, etwas spannender geworden. Das Dreieck Rafsandschani, Khatami und Rohani bereitet den Islamisten Zukunftsängste. Rafsandschanis vorläufig gescheiterte Bemühung, mit Hassan Khomeini einen "Kronprinz" für Khamenei zu schmieden, hat die Gegenseite als ein sehr ernstzunehmendes Signal wahrgenommen.

Welche Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Rafsandschani es war, der als zweitstärkster Mann der Republik hinter Republikgründer Ayatollah Khomeini 1989 durch seinen Einfluss den damals farblosen Khamenei zum Nachfolger von Khomeini aufbaute, mit dem niemand gerechnet hatte. Gegen den für das Amt relativ jungen Khamenei, der auch kein "Ayatollah" und somit keine religiöse "Instanz der Nachahmung" war, hatten damals etliche Ayatollahs stillschweigend protestiert.

Was sagen die Iraner?

Eine annähernd zutreffende Prognose ist unmöglich, da es im Iran an unabhängigen und seriösen Meinungsumfrageinstituten mangelt. Die staatlichen oder halbstaatlichen reflektieren die vom Regime gewünschten Ergebnisse. Vom Ausland meist telefonisch erhobene Daten sind auch keine zuverlässigen Maßstäbe, da die Befragten teilweise aus Angst keine ehrliche Meinung abgeben, oder die Institute selber nicht neutral sind. Fest steht, dass viele Iraner längst ihr Vertrauen in das Regime verloren haben.

Auch Präsident Rohani, der bisher nur bedingt außenpolitisch (Nukleardeal) erfolgreich war, hat an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Wenn etwas die Iraner an die Wahlurne zieht, dann ist es der Faktor Sicherheit. Regime-Kreise aber auch nicht unbeachtliche Teile der In- und Auslandsopposition schätzen die territoriale Integrität und Sicherheit des Landes im Vergleich zu Syrien, Irak, Afghanistan und Libyen. Der gespenstische Spagat heißt: Sicherheit versus Bürgerkrieg! Dahinter versteckt sich auch manche Attitüde, die mit diesem Credo das Volk verängstigen will, um so radikale Kritik am Regime bereits im Keim zu ersticken.

Man übersieht dabei, dass die Golfstaaten sowohl Sicherheit als auch (im Gegensatz zu Iran) Wohlstand genießen. Völlig abgesehen davon gehören der Iran und Ägypten zu den Altkulturländern mit einer großen Staatstradition und sind mit Staaten wie Libyen und Afghanistan mit ihren tribalen Strukturen sowie Syrien und Irak als künstliche Staatsgebilde (sie waren vormalige Provinzen des Osmanischen Reiches) nicht zu vergleichen.

Da das pragmatische Innenministerium für das Ausrichten der Wahlen zuständig ist, gehen Teile der Bevölkerung davon aus, dass dieses in der Lage ist, Wahlmanipulationen zu verhindern. Dabei kommen ca. 70% der hohen Beamten des Innenministeriums aus der Zeit von Ahmadinedschad. Eine drastische Wahlfälschung ist nicht auszuschließen, wenn "unerwartete Umstände" es erfordern. Rohanis Innenminister hat einige Male hervorgehoben, dass sein Ministerium keine vollständige Kontrolle über seine Aufgaben hat.

Das Innenministerium ist der Organisator und Ausrichter der Wahlen, aber der Wächterrat hat die ultimative Überprüfungsbefugnis über die Feststellung der Rechtmäßigkeit der abgelaufenen Wahlen. Das heißt, wenn der Wächterrat den Wahlablauf und das Wahlergebnis für rechtens erklärt, und Ayatollah Khameni dies auch bestätigt, dann ist der Wahlprozess beendet. So wurde auch mit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2009 verfahren.

Ayatollah Khamenei braucht lange Schlangen vor den Wahlurnen. Gerade nach dem Nuklearabkommen, dem der Ayatollah mit Argwohn zustimmte, muss das Regime sein einsam-isoliertes Image polieren. Der Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, Ahmad Shahid, sitzt Teheran im Nacken. Seit 2011 ist er im Amt und bisher wurde ihm seitens Teheran eine Einreise in den Iran verweigert. Sein Amt darf er insgesamt 6 Jahre ausüben und diese Frist läuft Ende des Jahres ab. Der UN-Menschenrechtsrat muss nicht nur einen Nachfolger ernennen, sondern zunächst auch erst einmal die Verlängerung seines Auftrages beschließen.

Lange Schlangen vor Wahlurnen und eine hohe Wahlbeteiligung könnten dieses Damoklesschwert über Teheran ins Wanken bringen, genau wie nach der Wahl Rohanis die Proteststimmen des UN-Rates für Menschenrechte leiser wurden. Dabei ist die Menschenrechtssituation in der Ära Rohani noch schlimmer geworden als zu Zeiten von Ahmadinedschad. Rohani schiebt diesen Sachverhalt auf das konservativ dominierte Parlament und die konservative Judikative.

Dass die Wahlen für Khamenei wichtig sind, hat er auf seiner Website klargestellt. Demnach sei Wahlbeteiligung religiöse Pflicht. Vor einem Monat bat er die Bevölkerung, an die Wahlurne zu gehen, auch jene, die gegen ihn seien. Eine Woche später, als einige Reformer dies "missverstanden" haben und die Äußerung als Verheißung für freie Wahlen interpretierten, ruderte der oberste Revolutionsführer zurück: "Ich habe gesagt, geht wählen. Ich habe aber nicht gesagt, schickt jene, welche gegen das "Nezam" (System, Regime) sind, ins Parlament."

Sollte eine hohe Wahlbeteiligung sich zu Ungunsten des Establishments auswirken - was nicht unwahrscheinlich ist -, bliebe immer noch die Option einer drastischen Wahlmanipulation und Wahlfälschung bei der Stimmenauszählung. Auch das ist erfahrungsgemäß nicht unwahrscheinlich.

Regionale und internationale Auswirkung

Regional wird sich nichts ändern. Die Irak-Politik und die volle Unterstützung des Assad-Regimes mit Hilfe von Russland und der Hisbollah sind unstrittig. Da hat auch Außenminister Zarif weniger Einfluss als der Kommandeur der Al-Qodsbrigade, General Ghasem Solaimani.

Auf internationaler Ebene, allem voran was den erfolgreichen Fortbestand der Nuklearvereinbarungen und bessere Beziehungen zum Westen anbelangt, wäre ein moderates Parlament, welches Rohani den Rücken freihält, nicht unnütz. Die Zeichen stehen jedoch eher auf ein Parlament und einen Expertenrat, die weiterhin Khamenei loyal bleiben.

Der Autor ist Lehrbeauftragter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.