An die Willkommensgegner, die es betrifft

Notaufnahmelager Marienfelde, Flüchtlinge, 13.07.1961. Bild: Bundesarchiv, CC-BY-SA 3.0

Versuch einer Antwort auf das Leserecho auf meine Aufsatzreihe "Die deutsche Willkommenskultur: ihre Freunde, ihre Gegner, ihr Ende"

Herr Schuster, bitte lesen Sie sich bei Gelegenheit das Forum zu Ihrem Artikel durch, man lernt ja nie aus! MfG, Bootsname

Aus dem Telepolis-Forum

Ich hatte die Zeit, die bis Neujahr gut eineinhalbtausend Wortmeldungen zu meiner Aufsatzreihe "Die deutsche Willkommenskultur: ihre Freunde, ihre Gegner, ihr Ende" durchzulesen. (Hier der letzte Teil; die vorherigen sind eingangs verlinkt.) In ihnen überwiegen die Stimmen ganz deutlich, die Zorn und Empörung über meine Ansichten zum Ausdruck bringen und die dahinterliegende Motivation entschlüsseln wollen.

Vielleicht sei ich ein reicher Erbe oder ein ganzes Autorenkollektiv, jedenfalls ein Hardcore-Agitator, ein Open-Border-Freak und Massenmigrationsfaschist, von Heise gekauft und Merkels neoliberalistischer Gehilfe bei der Islamisierung bzw. Balkanisierung der Heimat im Interesse der Hochfinanz, deshalb auch Befürworter von Lohndumping und Sozialabbau, ein Antideutscher mit Tendenz zum Landesverrat, daneben Anhänger der x-fach gescheiterten Ideologie des Kommunismus, also Freund der Unterdrückung in Tibet, überdies Förderer der Erderwärmung und der Bevölkerungsexplosion.

Gute Güte, ich bin doch nicht Superman oder sein Gegenspieler! All das zusammen und dieserart gefährlich für Land und Leute kann ich unmöglich sein. Wenn ich zum Beispiel frage, ob die Arbeiter ein Vaterland haben, betreibe ich doch kein Cyber-Mobbing, wie ein Forist klagt, sondern äußere Gedanken, von denen jeder weiß, wie unmaßgeblich sie sind.

Ich kann ja den Empörten gegenüber auch mal mein kleines Leid klagen: Ich wollte in einer politisch umstrittenen Frage im Rundblick auf die beteiligten Seiten zu Diskussion und Klärung anregen und beitragen - zum fünften Teil meiner Reihe gab es phasenweise sogar eine sachbezogene Debatte -, bin aber bezüglich der rechten Willkommensgegner völlig ohne Erfolg geblieben.

Wieso ist man rechts?"

Forist "Thommei" kritisiert diesen Begriff, indem er fragt: "Wieso ist man rechts, wenn man keine Personen illegal ins Land einwandern lassen möchte, die es nur auf unser Sozialsystem abgesehen haben und eine Kultur und Gesellschaft etablieren wollen, die uns (…) völlig entgegengesetzt sind?"

Na ja, das wird an der spezifischen Optik liegen, mit der die Tatsache der Elendsmigration betrachtet wird. Es ist hier nicht der Ort, auf die Gründe dieses globalen Phänomens näher einzugehen, aber eines dürfte doch klar sein: Sie liegen nicht im bösen Vorsatz der Armutsflüchtlinge, "unser Sozialsystem" zu plündern und eine Gegengesellschaft zu errichten.

Man weiß doch, dass diese oft ihr Leben und regelmäßig ihr Geld und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um sich dort, wo die maßgeblichen Mächte aus eigener Berechnung einen Türspalt öffnen, die Gelegenheit für eine schäbige Existenz zu ergattern. Dass dazu in bestimmbaren Fällen auch die Kriminalität gehört, ist ebenso klar.

Ob man das begrifflich erfasst, wenn man es als die Absicht von Feinden interpretiert, den Deutschen zu schaden, also in den Worten weiterer Foristen meint, "orientalische Ziegenbauern" und "afrikanische Faulpelze" wollten ihre sozialen Problemfälle bei und entsorgen und ihren "drogendealenden Kinderreichtum" zu Geld zu machen? Diese Sicht erklärt auch die ungewöhnliche Gefühlskälte, mit der manche Foristen die frierenden Familien auf Lesbos kommentieren, die es schön warm haben könnten, hätten sie nicht angeblich ihr Lager abgefackelt. Für die Seenotrettung gilt das Gleiche: Wer ertrinkt, sei selber schuld.

Soziale Fragen

Nur wenige Foristen bemühen sich, ihre Ansichten und Kritiken im argumentativen Zusammenhang darzulegen. "Opus Diaboli" versucht zu zeigen, "warum (mein) Artikel sachlich falsch ist", wenn ich dort anführe, Rentenzahlungen und die modernen Formen der Armenpflege hätten ihren jeweiligen Zweck, ihre eigene Organisationsform und Kasse. Der Spruch "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma" übergehe das berechnend, weil er die Staatsfinanzen für ein völkisches Gemeingut halte.

Dazu "Opus Diaboli": Es gebe "eine Schnittmenge von Sozial- und Rentenkasse, (die beide …) eben doch in gewisser Weise voneinander abhängig macht: beide (…) hängen am Tropf staatlicher Zuschüsse", womit er sagen will, dass die Kosten für Flüchtlinge "eben doch" den Rentnern abgehen könnten. Er nennt auch die jeweilige Höhe der Zuschüsse in der ministeriellen Finanzplanung - und merkt gar nicht, wie er meine Behauptung von dem spezifischen Zweck und der eigenen Kasse bestätigt. Die versuchte Widerlegung ist keine, sondern fällt entweder auf den Allgemeinplatz zurück, dass alle Staatsausgaben Geld sind, oder bemüht die Steuerzahler-Klage, man müsse immer nur für andere blechen.

Forist "Mathematiker" führt die gleiche Logik, nicht nur die Fremden, sondern auch die eigenen Landsleute betreffend am Beispiel Wohnen so vor: "Da beim Hartzeln der Staat (…) für die Warmmiete aufkommt, sind ja auch nur die die Gearschten, die ihre Miete noch selber zahlen." Aber sinken denn die Mieten, wenn "Hartzer" obdachlos werden?

Ungewollte Bestätigung findet auch diese Kritik von mir. Der Sozialstaat, behaupte ich, habe die Altersversorgung als eine Konkurrenz zwischen Jung und Alt um zwangsweise erhobene Beiträge und schmal bemessene Leistungen organisiert. Im Verhältnis zu Ausländern werde dieser Gegensatz zum Gemeinschaftsprojekt veredelt und fordere zum gerechten Ausgleich der miesen Renten die Schlechterstellung der Fremden.

So unterschreibe dieses nationalistische Abstandsgebot die untertänige Abhängigkeit, indem es sie ausländerfeindlich politisiert. Forist(in) "Meggy" liefert dazu in deutlich weniger Worten die passende Anschauung: "Kein Mensch, der bis zu 50 Jahre gearbeitet hat, soll Pfandflaschen sammeln müssen! Solange das nämlich der Fall ist, haben in Deutschland keine anderen Sozialleistungsexperten etwas verloren!"

Kriminalität

Meine These, die rechten Migrationskritiker folgten auch bezüglich der Kriminalität ihrem nationalisierten Verstand, stieß ebenfalls auf Einspruch. Meine Begründung war, dass sie es empört zurückweisen würden, wenn man ermitteln wollte, welcher Anteil an Beziehungs- oder Sexualdelikten z.B. auf Rheinländer oder Protestanten entfällt, um dann die Diskriminierung der Gruppe und die Abschiebung der Delinquenten zu fordern.

Im Verhältnis zu "Ausländern" verlören die Straftaten ihre Besonderheiten, und die Eifersuchtstat eines Asylanten werde zum "Verbrechen gegen uns Deutsche", das auf den fremdländischen Menschentyp zurückgehen und eine Kollektivschuld begründen soll.

"Opus Diaboli" (s.o.) hält dagegen: "Was ein Blödsinn. Der Autor weiß genau, dass eine Forderung nach ‚Abschiebung‘ einheimischer Straftäter (…) wegen der Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens höchstens ein mildes Lächeln verursacht." Zur Diskriminierung der Gruppe und zur kollektiven Schuld äußert sich der Forist nicht. Er hätte feststellen können, dass dies beim Bild der Ziegenhüter-Nationen, die ihre Söhne zum Plündern zu uns schicken, ganz offensichtlich der Fall ist.

Genauso wie bei der Forderung eines Mitstreiters im Forum, lieber hundert Asylbewerber abzuweisen, als einen Kriminellen unter ihnen hereinzulassen. Und selbst beim Thema Abschiebung bestätigt "Meggy" durchaus meinen "Blödsinn": "(Es) wäre eine Art ‚Bewährung‘ (…) angebracht! Dreimal gegen das Gesetz verstoßen: Sofortige Abschiebung, sofern vorhanden, Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft und Mithaftung für Erziehungsverantwortliche!" Mildes Lächeln, wo doch auch die geforderte Haftung der Sippe ein unmögliches Unterfangen ist?

Rechtes Argumentieren

Der Wortwechsel zur Kriminalität enthält ein Fallbeispiel des "Widerlegens", das im Forum sehr verbreitet ist: Man nimmt aus der Argumentation des Kontrahenten ein - oft nebensächliches - Element heraus, hier war es die Abschiebung, um damit den ganzen Zusammenhang und die Hauptsache - gerne auch mit Invektiven - abzufertigen.

Weiteres Beispiel: Ich ergänze zum Satz aus dem "Kommunistischen Manifest", die Arbeiter hätten kein Vaterland, dass er nicht sagen wolle, ihnen fehle der Pass oder die Obrigkeit, also eine staatlich verordnete Nationalität. "Mathematiker" (s.o.) kontert: "Als das Manifest herauskam, hatten Arbeiter noch keinen Pass", um dann anzufügen: "Fakt ist hingegen, dass die Arbeiterbewegung streng (…) vaterlandsorientiert war".

Der "Fakt" sei mal dahingestellt und auch die Frage, ob der Pass damals nur ein Passierschein war, weil es mir hier auf das Strickmuster des Argumentierens ankommt. Nicht wenige Foristen nehmen das sehr selbstbewusst für sich in Anspruch, wenn sie schreiben, sie hätten bei einem bestimmten Reizwort zu Beginn eines Artikels das weitere Überfliegen eingestellt, weil sie mit damit schon alles wüssten und sich das folgende "Geschwurbel" sparen könnten.

Resümee

Leute, wenn man sich angewöhnt, so zu denken und zu begründen, geht das eigene Urteilsvermögen zuverlässig den Bach hinunter, und am Schluss wird man als Diskutant außerhalb der eigenen Kreise nicht mehr für voll genommen.

Im Resümee meines Artikels "Was rechten Willkommensgegnern zu sagen wäre" hieß es, nach einer Seite hin seien ihre Befunde zwar eine Herausforderung an den Verstand. Sie folgten aber einem politischen Krisenbewusstsein und unterlägen einer eignen Logik, die nicht in der betrachteten Sache, sondern ganz im patriotischen Auge des Betrachters liege.

Merkt ihr nicht, dass sich eure Foren-Kommentare über weite Strecken unfreiwillig wie lauter illustrierende Untertexte zur Kritik am Artikel darüber lesen, die ihr damit zu widerlegen glaubt? Vielleicht könnt ihr in der stillen Zeit des winterlichen Lockdowns wenigstens darüber einmal nachdenken.

Prost Neujahr noch!

Euer

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