Angriff auf Afrin: Der gefährliche anti-kurdische Konsens

Die türkische Armee greift die Kurden an - und plötzlich herrscht unter den sonst so zerstrittenen Parteien Konsens. Das gefährdet die Stabilität der Region. Ein Kommentar

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Als Ende 2014 der Islamische Staat (IS) versuchte, die kurdische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei zu erobern und ein Blutbad anrichtete, standen türkische Panzer in Sichtweite. Sie griffen nicht ein. Der IS, der zu jener Zeit offen die Türkei bedrohte, konnte, so stellte sich später heraus, ungehindert im türkisch-syrischen Grenzgebiet operieren.

Erdogan setzte darauf, dass die Islamisten sein kurdisches Problem erledigen würden. Er verrechnete sich. Die kurdischen Milizen schlugen den IS zurück. Die Kämpfe zogen sich bis Februar. Mit amerikanischer Luftunterstützung konnte Kobane befreit werden.

Propagandalügen

Nun greift die türkische Armee gemeinsam mit islamistischen syrischen Milizen, die in Bussen zur Grenze gekarrt werden, den Bezirk Afrin an - offiziell um die als Terrororganisation gelabelte kurdische YPG und PYD zu bekämpfen. Außerdem, so heißt es aus Ankara, gehe es gegen den Islamischen Staat.

Das ist nur eine unter unzähligen Propagandalügen (siehe: Afrin: Türkische Regierung diktiert Medien Berichterstattung), mit denen dieser neuerliche Krieg geführt wird. Es existieren in Afrin (weder in der Stadt noch im zu Aleppo gehörenden Landesbezirk) keine Stellungen des IS.

Das Gebiet ist unter kurdischer Kontrolle. Und zwar unter der Kontrolle jener Milizen, ohne die es nicht gelungen wäre, den IS in Syrien so empfindlich zu treffen, dass er nahezu sein komplettes Gebiet verloren hat.

Nun ist es kein Zufall, dass die Berichterstattung in den gleichgeschalteten türkischen Medien vor Kriegsbegeisterung hyperventiliert wie eine schlechte Comedy, während zugleich die Polizei hart gegen Antikriegsproteste auf den Straßen vorgeht und es wieder zu unzähligen Festnahmen und Repressionen gegen jene kommt, die sich öffentlich für Frieden aussprechen.

In den Moscheen wird für den Sturz Afrins gebetet

Am Wochenende wurden türkeiweit dutzende Personen wegen Postings auf Facebook und Twitter festgenommen, dazu kamen mehrere Journalisten. Das Vorgehen kennen wir schon: Wer gegen den Krieg ist, ist für die Terroristen, so die offizielle Haltung in Ankara. Dabei sitzt die größte Bedrohung für den Frieden und die Stabilität der Türkei weder in Afrin noch hinter einem Computerbildschirm, sondern im Präsidentenpalast.

Es ist ein martialisches Narrativ, das von der AKP befeuert wird, wesentlich heftiger noch als während der Angriffe auf die kurdischen Gebiete im Südosten der Türkei vor zwei Jahren. In den Moscheen wird für den Sturz Afrins gebetet, auch in den deutschen Ditib-Häusern. Während die türkische Lira erneut in den Sinkflug gegangen ist, verbreiten die Propagandaschleudern der AKP das Märchen von einer durch den Krieg erstarkenden Wirtschaft.

An der syrischen Grenze spielt eine Marschkapelle in osmanischem Gewand auf. Zeitgleich rollen in Afrin Panzer der türkischen Armee. Es sind Leopard-Panzer. Aus Deutschland. Und gerade einen Tag vor Beginn des Einsatzes "Operation Olivenzweig" verlautete es aus der Bundesregierung, es solle einen neuen Panzer-Deal geben, bei dem Wohl Rheinmetall kräftig absahnen wird.

Doppelmoral

Wenn der deutsche Außenminister bei seinen Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Cavusoglu derartige Deals aushandelt, die dazu führen, dass kurdische Zivilisten unter dem Beschuss deutscher Panzer stehen und er gleichzeitig die Einhaltung der Menschenrechte anmahnt, dann macht er sich restlos unglaubwürdig und degradiert die Menschenrechte zu einen verkümmerten Feigenblatt.

Es ist genau diese Politik der Doppelmoral, die es unmöglich macht, für die europäischen Werte einzutreten, wenn sie von genau jenen, die sie so leichtfertig im Mund führen, umgehend wieder torpediert werden.

Dabei geht Erdogans Taktik nicht zuletzt aufgrund genau dieser indifferenten und rückgratlosen Haltung seiner Partner und Gegner auf. Denn der Angriff auf Afrin hat nichts mit türkischer Sicherheitspolitik oder der "legitimen Landesverteidigung" zu tun, auf die unlängst auch die USA verwiesen, die es sich mit ihrem schwierigen NATO-Partner nicht dauerhaft verhageln wollen.

Nein, der Grund ist derselbe wie schon im Jahr 2015, als Erdogan nach der Wahlschlappe im Sommer jede Zurückhaltung gegenüber den Kurden aufgab und einen chaotischen Krieg innerhalb der eigenen Landesgrenzen vom Zaun brach.