Angriff auf Afrin: Der gefährliche anti-kurdische Konsens

Seite 2: Erdogan rast auf die Wahlen im kommenden Jahr zu

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Der Grund heißt Innenpolitik. Erdogan rast auf die Wahlen im kommenden Jahr zu, und er weiß, dass er sie zu verlieren droht. Schon das Verfassungsreferendum im April 2017 gewann er trotz Manipulationen nur haarscharf. Und seitdem haben sich die Umfragewerte der AKP nicht verbessert, im Gegenteil.

Erdogan weiß aber auch, dass es ein Thema gibt, mit dem er das Land hinter sich vereinen kann: die Kurden. Da sind sich alle einig. Die rechtsradikale MHP, die sich erst kürzlich zum Bündnis mit der AKP für die Wahlen 2019 bereit erklärt hat, ebenso wie die neu gegründete Iyi Parti von Hardlinerin Meral Aksener und die kemalistische CHP von Kemal Kilicdaroglu, der mit seiner Haltung zur Kurdenproblematik seine kompletten Oppositionsleistungen des vergangenen Jahres wieder zunichte macht.

Der Gerechtigkeitsmarsch von Ankara nach Istanbul, an dessen Abschlusskundgebung über eine Million Menschen teilnahm, was ist er wert, wenn diese Gerechtigkeit für die Kurden nicht gelten soll?

Die einzige im Parlament vertretene Partei, die sich dem entgegenstellt, ist die linksliberale HDP. Doch deren Parteiführung ist in Haft, mehreren Abgeordneten wurde das Mandat entzogen. Am Wochenende wurde ihre Zentrale von der Polizei umstellt, um öffentlichen Widerspruch gegen den Krieg zu unterbinden. Widerspruch kann Erdogan nicht gebrauchen.

Was er braucht, ist die Angst vor einer terroristischen Bedrohung und eine kriegsbegeisterte Bevölkerung, der er militärische Erfolge verkaufen kann. Er dürfte im Moment in freudiger Erwartung der ersten PKK-Anschläge in türkischen Städten sein. Es wäre nicht das erste Mal, dass die PKK dumm genug ist, Erdogan mit Racheakten in die Hände zu spielen und der kurdischen Sache einmal mehr einen Bärendienst zu erweisen. 2015 hat das funktioniert. Es wird auch 2018 wieder funktionieren.

Ein Projekt mit Potential

Und, machen wir uns nichts vor: Natürlich ist Rojava mitnichten das basisdemokratische Vorzeigeprojekt, das von seinen Sympathisanten heillos romantisiert und gegen jede noch so fundierte Kritik abgeschirmt wird. Aber dennoch ist es demokratischer als alles, was die Region umgibt. Es ist ein Projekt mit Potential.

Auch das kann Erdogan nicht gebrauchen. Was er braucht, sind Akteure, die er zu Terroristen erklären kann, egal ob sie YPG, IS oder Gülen heißen. Um Inhalte geht es dabei schon lange nicht mehr. Sondern nur um Instrumentalisierung. Dass Russland dieses Spiel mitspielt verwundert nicht.

Aber Deutschland sollte dringend an seiner Haltung feilen. Zu einem Dialog, wie Außenminister Gabriel ihn wiederholt betonte, gehört auch, dem Dialogpartner Grenzen aufzuzeigen, die nicht überschritten werden dürfen.