Angst vor Schwulen und Lesben

Während in den vergangenen Wochen in Großbritannien, Frankreich und in der Bundesrepublik homosexuellen Partnerschaften zugesprochen wurden, streitet die polnische Politik heftig über die Gleichstellung nicht-ehelicher Partnerschaften

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"Wen kann man noch wählen, ohne sich dafür zu schämen", fragte sich Anfang des Monats die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza. "Die Mehrheit der Abgeordneten ist mit den Realitäten innerhalb der Gesellschaft gar nicht vertraut. Sie nehmen Polen nur als ein muffiges Nest wahr und verteidigen dieses Nest wie die Unabhängigkeit", hieß es in dem Kommentar, in dem vor allem eine Partei ihr Fett abbekommen hat: die regierende Bürgerplattform (PO) von Ministerpräsident Donald Tusk.

Eine Kritik in dieser Heftigkeit hat man auf den Seiten der Gazeta Wyborcza bisher so noch nicht gelesen. Auch wenn es zwischen dem vom einstigen Solidarnosc-Oppositionellen Adam Michnik gegründeten Blatt und der Bürgerplattform keine Liebesbeziehung gibt, so gingen beide Seiten in den vergangenen Jahren doch sehr wohlwollend miteinander um. Zu verbindend ist und war das gemeinsame Feindbild Jaroslaw Kaczynski, der mit seiner nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine andere Vorstellung von Polen hat als die liberalen Kräfte.

Auslöser für diese ungewohnt heftige Kritik war die am 29. Januar stattgefundene Abstimmung des polnischen Parlaments über die Gleichstellung nicht-ehelicher Partnerschaften. Besser gesagt: die Nicht-Abstimmung über das Thema, das die polnische Politik seit Jahren beschäftigt. Denn mit den Stimmen 46 Abgeordneter der regierenden PO, die zum konservativen Flügel der rechtsliberalen Partei gehören, konnten sich die nationalkonservative PiS sowie die mit ihr konkurrierende Solidarisches Polen durchsetzen und jegliche Diskussion zu den drei Gesetzesvorschlägen abweisen. "Schade, weil es so eine Chance gegeben hätte, wenigstens über einen der Vorschläge im Parlamentsausschuss zu arbeiten", kommentierte Regierungssprecher Pawel Gras die Entscheidung des Parlaments.

Die Entscheidung ist für die regierende PO eine schmerzliche Schlappe. Denn zur Debatte lagen dem Sejm nicht nur zwei liberale Projekte der linken Fraktionen SLD und der Bewegung Palikot vor, sondern auch eins aus der Feder des PO-Politikers Artur Dunin. Dieses willigte nicht-verheirateten Partnern lediglich ein Informationsrecht beim Krankheitsfall des Lebensgefährten zu oder die Erbberechtigung beim Tod des Partners. Steuerliche Vorteile, eine Art Witwen-, bzw. Witwerrente sowie eine gemeinsame Krankenversicherung sah der Gesetzesvorschlag der PO im Gegensatz zu den zwei anderen nicht vor.

Grassierende Homophobie

Zum Verhängnis wurde allen drei Gesetzesvorschlägen jedoch die Tatsache, dass sie zwischen hetero-, und homosexuellen Partnerschaften nicht unterscheiden. Für die Konservativen ein Unding. Zu groß ist in konservativen Kreisen des Landes, egal welches Parteibuch sie auch haben, die Furcht vor westlichen Verhältnissen, wo in manchen Staaten homosexuelle Paare auch Kinder adoptieren können. Und da sie befürchten, die vorgeschlagenen Gesetzesvorlagen könnten der Türöffner für die Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sein, lehnen sie jede Diskussion über nicht-eheliche Partnerschaften ab. Und dies, obwohl zum Beispiel alle drei Gesetzesvorschläge nicht-ehelichen Partnerschaften das Adoptionsrecht verweigern.

Wie groß die Furcht der konservativen Politiker in Polen vor der Homosexualität ist, zeigte die einen Tag vor der umstrittenen Abstimmung stattgefundene Debatte. "Es gibt keinen Zweifel darüber, dass zwischen zwei Männern oder zwei Frauen nur Freundschaft existieren kann und keine Liebe. Und schon gar nicht Liebe wie zwischen Eheleuten. Und das ist nicht nur eine Frage der Religion, sondern auch eine der Biologie. Denn Liebe zwischen zwei Ehepartnern führt zur Fortpflanzung. Personen des gleichen Geschlechts können es dagegen nicht, nicht mal theoretisch", verkündete der PiS-Politiker Artur Gorski vom Rednerpult des Parlaments.

"Das Phänomen gleichgeschlechtlicher Beziehungen ist wider die Natur. Die Gesetzesvorschläge widersprechen der Verfassung. Sie sind schädlich, ungerecht, rütteln an dem Prinzip der Gleichheit sowie dem Recht auf Intimität. Sie erlauben den Exhibitionismus von sexuellen Neigungen, die den ästhetischen und moralischen Vorstellungen der Mehrheit der Polen nicht entsprechen", grollte wiederum die PiS-Politkerin Krystyna Pawlowicz, während ihr Kollege vom Solidarischen Polen, Tadeusz Wozniak, die "Homosexualität als einen seit Jahrhunderten angesehenen Sittenverfall" bezeichnete. Argumente, die mehr von der puren Homophobie der Abgeordneten zeugen als von deren Sachkenntnis und in der Öffentlichkeit deshalb auf sehr viel Kritik stießen.

Für einen Eklat sorgten aber nicht nur Politiker der nationalkonservativen Opposition, sondern auch Justizminister Jaroslaw Gowin. "Alle drei Gesetzesvorlagen sind verfassungswidrig", erklärte der Politiker der regierenden Bürgerplattform und provozierte so sogar eine Intervention seines Regierungschefs. "Das ist die private Meinung von Minister Gowin. Der Sejm sollte eher eine Entscheidung zum Wohle derjenigen Menschen treffen, die in nicht-ehelichen Partnerschaften leben", appellierte Tusk. Ohne Erfolg. Mit seinem Einwand, über dessen Wahrheitsgehalt bis heute Presse und Verfassungskundler streiten, hatte der Kopf des konservativen Flügels der PO mehr Einfluss auf die abtrünnigen Abgeordneten als Parteichef Tusk.

Die Aktion Gowins wirkt sich aber nicht nur auf das Leben von Millionen von Polen aus, die ihre Liebe ohne Trauschein leben wollen, sondern auch auf seine eigene Partei. Gowin brüskierte Ministerpräsident Tusk und schwächte so nicht nur dessen Position, sondern verschärfte die Krise der Partei. Gleich in der ersten Umfrage die nach der Abstimmung über die Gleichstellung nicht-ehelicher Partnerschaften durchgeführt wurde, stürzte die seit Monaten mit schlechten Umfragewerten kämpfende PO hinter die PiS, die zuletzt 2005 einen Urnengang gewinnen konnte.

Für Tusk, dem ein fast obsessives Verhältnis zu Meinungsumfragen nachgesagt wird, ist das ein Grund zum Handeln. Während einer Kabinettssitzung stauchte der Ministerpräsident seinen Justizminister zusammen, indem er Gowin daran erinnerte, dass "Loyalität ein wichtiger Grundstein innerhalb des Kabinetts sei", wie ein Augenzeuge der Gazeta Wyborcza berichtete. Zudem kündigte Tusk personelle Veränderungen innerhalb des Kabinetts an. Doch unter den drei Ministern, die am Mittwoch nun ihren Hut nehmen mussten, ist Jaroslaw Gowin nicht dabei.

"Die Mehrheit der Polen will nicht, dass zwei Kerle ein Kind adoptieren"

Tusk nahm sich am Mittwoch aber nicht nur sein Kabinett vor, sondern bei einem Treffen auch die Parlamentsfraktion seiner PO. "Ansichten nach dem Motto: Da ich hetero bin, haben homosexuelle Menschen kein Recht auf Partnerschaften, will ich in der PO nicht hören", sagte Tusk auf einer Pressekonferenz und kündigte einen weiteren Versuch an, die Gesetzesvorschläge zur Gleichstellung nicht-ehelicher Partnerschaften durch den Sejm zu bringen.

Fraglich ist aber nur, ob sich die Abgeordneten der PO auf eine gemeinsame Gesetzesvorlage werden einigen können. Denn neben dem schon bekanntem Vorschlag von Artur Dunin hat nun auch der konservative PO-Politiker Jacek Zalek ein Projekt erarbeitet. Dieses soll Menschen, die in nicht-ehelichen Partnerschaften leben, lediglich einige formelle Angelegenheiten erleichtern. Ihnen Rechte verfassungsrechtlich verankern, jedoch nicht. Zudem zielt dieses Projekt nur auf heterosexuelle Paare, weil "die Mehrheit der Polen nicht will, dass zwei Kerle ein Kind adoptieren", wie Zalek kürzlich in einem Interview erklärte. Dieser Möglichkeit würde nach Meinung Zaleks durch die Gleichstellung nicht-ehelicher Partnerschaften die Tür geöffnet.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der Widerstand der konservativen PO-Politiker weiterhin groß ist gegen jede Debatte zu dem Thema. Während der aus Nigeria stammende John Godson, Polens erster farbiger Abgeordneter, seinen Widerstand auf seinem Facebook-Profil mit dem Argument begründete, Homosexualität sei Sünde, und als Beleg Bibelzitate postete, befürchtet Gowin offenbar einen Sittenverfall. Und dies nicht nur wegen der Homosexualität. "Männer würden dies als Freifahrtschein nehmen, sie würden sich gegen die Ehe entscheiden, was die Absicherung von Frauen und Kindern schwächen würde", sagte der Justizminister in einem Interview.

Und Reaktionen von Tusk scheint Gowin ebenfalls nicht zu fürchten. "Der konservative Flügel der PO repräsentiert eine schweigende Mehrheit der Polen, die zwar tolerant gegenüber Veränderungen ist, aber nicht eine Werterevolution nach den Vorstellungen der westlichen Linken möchte. Wenn wir nicht wären, würden über 10 Prozent der PO-Wähler für die PiS stimmen. Dies könnte eine Rückkehr der PiS an die Macht bedeuten. Und das ist der wahre Einsatz in diesem Spiel", erklärte Gowin selbstbewusst der Gazeta Wyborcza.

Doch dies ist jedoch nur die halbe Wahrheit. In einer von Wochenmagazin Newsweek veröffentlichten Umfrage, sprachen sich zwar 56 Prozent der Befragten gegen eine Gleichstellung homosexueller Partnerschaften aus, doch gleichzeitig bejahten 55 Prozent die Annahme einer der Gesetzesvorlagen zur Gleichstellung nicht-ehelicher Partnerschaften. Der Zuspruch kommt vor allem von jungen, gut ausgebildeten und in Großstädten lebenden Menschen, also dem Wählerklientel der rechtsliberalen PO, das sich von der Partei momentan abwendet. "Mit Sicherheit werde ich nie wieder Betrüger wählen", erklärte dieser Tage stellvertretend die bekannte Regisseurin Agnieszka Holland und beklagte die konservativen Moralverstellungen innerhalb der PO, die ihrer Meinung nach Polen mehr Russland annähern als Europa.