Anhaltende Finsternis

Shankill road, Belfast, 1970. Foto: Fribbler / CC BY-SA 3.0

Der Nordirland-Konflikt hat Wunden hinterlassen, die sich nicht schließen wollen

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Wer denkt, dass das Karfreitagsabkommen von 1998 den Bürgerkrieg in Nordirland beigelegt hat, der liegt nicht ganz falsch, aber er ist ein Optimist. 20 Jahre nach dem Abkommen bräuchte der Frieden in Nordirland immer noch eine Menge mehr als gutgemeinten Optimismus.

Die Jugoslawienkriege forderten etwa 125.000 Tote. Der spanische Bürgerkrieg kostete 600.000 bis 800.000 Menschen das Leben. Gemessen an solchen Zahlen handelt es sich bei den 3.500 Toten der letzten heißen Phase im irisch-britischen Konflikt zwischen 1969 und 1998 um eine verhältnismäßig kleine Zahl, aber man sollte zwei Dinge nicht vergessen.

Erstens ist Nordirland kleiner als Thüringen und hat keine zwei Millionen Einwohner. Zweitens zeichnete sich der Krieg durch eine zwar "stille", aber umso intensivere Grausamkeit aus.

Die IRA, eine Untergrundorganisation mit ebenso langer wie verworrener Geschichte, griff zum Beispiel auf Taktiken zurück, für die eher südamerikanische Unterdrückerregimes bekannt sind: Manche ihrer Opfer entführte, folterte und ermordete sie, ohne irgendeine Erklärung zu ihrem Verbleib zu geben.

"The Unknowns"

16 Menschen, von denen die Mehrzahl der IRA als "Verräter" galten, wurden auf diese Weise zum Verschwinden gebracht; von einigen hat man bis heute keine Überreste gefunden. Seit kurzem ist bekannt, dass der britische Geheimdienst von einer spezialisierten Einheit der IRA namens "The Unknowns" wusste, und zwar Monate, bevor sie mit dem Verschwindenlassen anfing.

Auch der Thriller "The Psalm Killer" von Chris Petit lässt tief in den Hexenkessel aus Gewalt, Verrat und Gegenverrat schauen, der dieser Konflikt war. Die Folter- und Mordpartys, die von loyalistischen Terrorgruppen in diesem Roman gefeiert werden, gab es tatsächlich, sie wurden "romperings" genannt und fanden in eigens eingerichteten "romper rooms" statt.

Dazu passt auf schreckliche Weise die Geschichte von Gary Haggarty, die vom britischen Guardian im März diesen Jahres erzählt wurde, unter dem Titel "Wieviele Morde kann ein Polizeispitzel straffrei begehen?"

Haggarty, Spitzel und Schwerverbrecher

Im Januar hatte Haggarty vor Gericht gestanden. Scheinbar war die Zeit gekommen, über seine Verbrecherkarriere zu urteilen. Schon das Verlesen der Taten, zu denen sich Haggarty bekannt hatte, dauerte anderthalb Stunden, 201 einzelne Fälle wurden erwähnt. Darunter fünf Morde, vier Entführungen, "eine Handvoll" Brandstiftungen und anderes mehr.

Dazu kamen 304 weitere Delikte, die als "TICs" behandelt wurden - "offences taken into consideration", also Straftaten minderer Schwere, die der Angeklagte während der polizeilichen Untersuchung seiner Haupttaten nebenbei zugegeben hat. Im Fall Haggarty ging es dabei um eine weitere Brandstiftung, Körperverletzung, Erpressung, Drogendelikte und so weiter.

Aber Haggarty war nicht einfach irgendein nordirischer Mafioso. Der Grund, weswegen er zwischen 1991 und 2007 weitgehend ungestört hatte aktiv sein können: Er war gleichzeitig ein Mitglied der protestantisch-loyalistischen Terrororganisation UVF ("Ulster Volunteer Forces") und ein Polizeispitzel gewesen.

Nun ist es schon lange bekannt, dass die britischen Behörden und die britische Armee im nordirischen Bürgerkrieg keine unbeteiligten Schiedsrichter waren, die unter schlimmen Bedingungen zivilisatorische Mindestandards aufrechterhalten wollten. Wer hätte das auch glauben wollen, wo sie als Machthaber in Nordirland doch unmittelbar Konfliktpartei waren?

Nach dem Ballymurphy- und dem Bloody-Sunday-Massaker konnte die Weltöffentlichkeit wissen, auf wessen Seite die britische Armee stand, und das mit aller Konsequenz.

An einer Zusammenarbeit der britischen Behörden, Geheimdienste und Polizeien mit loyalistischen Untergrundgruppen wie der UVF hat nie ernsthaft ein Zweifel bestehen können.

Aber es ist eine Sache, abstrakt davon zu wissen, und eine andere, detailliert die Karrieren von Leuten wie Gary Haggarty oder Mark Haddock vor Augen zu haben. Vor allem ist die Tatsache ernüchternd, dass die schmutzigen Operationen, die Vertuschungen und die Deals bis heute nicht aufgehört haben.