Annalena Baerbock und das Außenamt: Von der kleinen Kunst der Twitter-Diplomatie

Droht mit X, vormals Twitter. Bild: Heinrich-Böll-Stiftung, CC BY-SA 2.0

Deutsche Botschafter sollen deutsche Werte offensiver vertreten. Ist das eine gute Idee? Wohl kaum, zeigen zwei Beispiele. Ein Telepolis-Leitartikel.

Mitten im Ukraine-Krieg und im Sommerloch, das zuletzt mit der neuen Augenklappe von Bundeskanzler Olaf Scholz gefüllt wurde, bahnt sich in der deutschen Diplomatie eine Zeitenwende an: Die Botschafter der Bundesrepublik, so forderte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) jüngst, sollten offener, also offensiver auftreten, um auf sich und die neue deutsche "wertegeleitete Außenpolitik" aufmerksam zu machen.

Die Grünen-Politikerin habe "selbst einen ausgeprägten Drang in die Öffentlichkeit", schrieb das Nachrichtenmagazin Spiegel, das Ende August als erstes Medium über den neuen Stil im alten Amt berichtete.

Die Anweisung bei einer Botschafterkonferenz im Weltsaal des Auswärtigen Amtes sorgte unter Diplomaten für Furore, ist aber auch ein Thema, das in die Öffentlichkeit gehört. Denn anders als Koalitionspolitiker, die im demokratischen Wettbewerb um das Bundeskanzleramt unterliegen und dann mit irgendeinem Ressort mehr oder weniger gut abgespeist werden, kommt der Leitung des Auswärtigen Amtes eine besondere Rolle zu.

Es geht bei der Diplomatie im Kern um die "Wahrnehmung der außenpolitischen Interessen eines Staates durch seine Vertreter im Ausland", so der Duden. Interessen also, nicht Werte. Eine hohe Kunst, wie man sagt, die sich kaum in ein paar Dutzend Zeichen und Handyfotos pressen lässt.

Die Außenministerin aber hält das für die adäquate "Kommunikation für Außenpolitik im 21. Jahrhundert" – und geht von sich aus. In Folge drohen gleichdenkende Twitter-Diplomaten entsendet zu werden, die auf eine geopolitisch höchst volatile Situation treffen.

Sich in dieser Situation über Kurznachrichtendienste ernsthaft mit den Gaststaaten anzulegen – das soll dem Entsendestaat, also Deutschland und seinen Bürgern, dienen? Nein, und das muss klar sein: Es geht um die Verbreitung von Ideologie, die als wertegeleitete Politik verbrämt wird.

Das ist zugleich auch Ausdruck einer neuen deutschen Arroganz, die man seit 1945 im rechten oder bestenfalls konservativ verstaubten Lager wähnte und die nun im grünen Gewand, hippiemäßig barfuß in Indien oder über Social-Media-Profile daherkommt.

Erfolge bleiben aus

Das alles könnte man als Test akzeptieren, wenn Baerbocks Stil Erfolg hätte. Außerhalb der wertegeleiteten Gedankenwelt aber kollidiert der Ansatz mit der Realität, und zwar so offensichtlich und unmittelbar, dass die Botschafterkonferenz am Werderschen Markt in Berlin als verheerende Zäsur in die Geschichte der deutschen Diplomatie einzugehen verspricht.

Erinnern Sie sich an die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar? Da konnte man erleben, was die sogenannte wertegeleitete Außenpolitik bedeutet und welche Folgen sie hat. Damals war es nicht der Botschafter, sondern Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die - offenbar auf einer Linie mit ihrer Kollegin Baerbock - mit Regenbogenarmbinde und ziemlich undiplomatischen Sprüchen auftrat.

Fast zeitgleich machte Baerbocks Kollege und Parteifreund Robert Habeck in Doha den Bückling, um die deutsche Energieversorgung und damit deutsche Interessen zu sichern. Es war das bisher krasseste Beispiel für den Gegensatz von wertegeleiteter Außenpolitik und Diplomatie.

Der ehemalige Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit, Michael Lüders, kommentiert dies in seinem neuen Buch mit außergewöhnlicher rhetorischer Härte:

Zum ersten Mal seit seinem Bestehen bestellte das katarische Außenministerium einen Botschafter wegen der Aussagen eines Politikers, in diesem Fall einer Politikerin in deren Heimatland ein. Um sich dergleichen Kommentare zu verbitten.

Gleichzeitig verurteilte der Golf-Kooperationsrat GCC, bei wohlwollender Beurteilung das Pendant der EU in der Golfregion, die Bemerkungen Faesers ungewöhnlich scharf: Man verwahre sich gegen jeden Versuch einer Einmischung in die eigenen inneren Angelegenheiten und stelle sich ausdrücklich hinter Katar.

Kein anderes Land hat am Golf eine dermaßen scharfe Replik erfahren wie Deutschland und seine Innenministerin im Kontext der WM, obwohl es Kritik an Katar auch anderswo gab. Das ist schon eine bemerkenswerte Leistung und lässt erkennen, dass hiesige Auguren längst nicht verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat: Die Welt wartet nicht darauf, vom Zuchtmeister Deutschland belehrt zu werden.

Außenamt: Scheitern in Venezuela 2019 nicht aufgearbeitet

Nun wäre es unfair, diese Entwicklung allein der diplomatisch unerfahrenen Außenministerin anzulasten. Die sogenannte wertegeleitete Außenpolitik geht auch auf die Sozialdemokraten zurück, wie das Intermezzo mit Nancy Faeser in Doha zeigt.

Es war ihr Vorgänger Heiko Maas – von dem man heute nichts mehr hört, außer dass sich eine Frau von ihm getrennt hat –, der Anfang 2019 in Südamerika mir nichts, dir nichts einen Gegenpräsidenten erkannt hat. Damit hat sich Maas zwar vermeintlich von Werten leiten lassen, aber gegen bewährte diplomatische Regeln verstoßen, nach denen nur Staaten und keine Regierungen anerkannt werden, und ganz nebenbei auch das Völkerrecht geschwächt.

Das Beispiel Venezuela zeigt also, wie wertegeleitete Außenpolitik funktioniert: Mit der Anerkennung des bis dahin nahezu unbekannten Oppositionspolitikers Juan Guaidó versuchte das Auswärtige Amt unter Maaß nicht nur Einfluss auf die Innenpolitik des Ölstaates Venezuela zu nehmen, sondern auch dessen Regierung zu stürzen.

Das alles hat dem Ansehen Deutschlands in der Region nachhaltig geschadet. Realpolitisch hat es nichts gebracht. Guaidó rief ein paar Mal zum Umsturz auf und wartete an den vereinbarten Orten auf seine imaginären Anhänger in Bevölkerung und Militär. Später verschwand er von der Bildfläche.

Das Auswärtige Amt hat dieses verheerende Kapitel bundesrepublikanischer Undiplomatie bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet. Auch Medien hätten "über die damit eng verknüpfte rechtliche Debatte nur wenig berichtet. Und das in einer Situation, in der das Land möglicherweise vor einem Bürgerkrieg steht und die USA bereits offen mit einem Einmarsch gedroht haben", schrieb der Deutschlandfunk später und nahm das Thema in die "vergessenen Nachrichten 2019" auf.

Telepolis hingegen hatte das Thema damals übrigens in Dutzenden von Beiträgen verfolgt.

Belehrung statt Werbung

Wie sehen also Zwischenbilanz und Perspektiven der neuen deutschen Undiplomatie aus? Die öffentliche Konfrontation mit ausländischen Regierungen hat die Bundesrepublik in den letzten Jahren isoliert und ist geeignet, weiteren Schaden anzurichten.

Dabei geht es gerade nicht darum, die modernen Medien zu nutzen, um für Deutschland zu werben. Mit sympathischen Tweets, mit Angeboten and die Menschen, als Instrument zur Verständigung.

Die Linie von Maas und Baerbock aber läuft auf Belehrung und Konfrontation hinaus. Weil man es besser weiß. Weil man recht hat. Weil an der "wertegeleiteten Außenpolitik" die Welt genesen soll.

Das alles wird nicht als Stärke empfunden, sondern als Hybris, die auch in der großen Krise Europas, dem Krieg in der Ukraine, in die Sackgasse führt, wie die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin und Grünen-Politikerin Antje Vollmer kurz vor ihrem Tod in einem Telepolis-Interview sagte. Zur Perspektive einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur mit Russland merkte sie an:

Ich bin im Augenblick für knallharte Nüchternheit. Und zu dieser Nüchternheit gehört auch, dass wir uns bewusst machen, in welchem Maße wir heute mit den alten, schönen Visionen derzeit in Russland auf Misstrauen und im Westen auf Hybris stoßen.

Leider können wir da nicht einfach den KSZE-Prozess neu beleben. Ich plädiere dafür, dass der Westen seine Erfolge, aber auch seine dramatischen Misserfolge analysiert und dabei ein kleines bisschen von seinem hohen Ross herabsteigt.

Von einer solchen Selbstkritik ist in der Baerbock’schen Führung derzeit wenig zu spüren. Man fühlt sich im Recht. Und das soll alle Welt wissen.

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