Antidiskriminierung: Grüne für Grundgesetzänderung
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Bild: Ehimetalor Akhere Unuabona/Unsplash
Parteimitglieder legen für den Bundestagswahlkampf ein Forderungspapier vor, das den Kampf gegen alltägliche Diskriminierung mit einem neuen Ministerium, neuen Institutionen und neuen Gesetzen verstärken soll
Es muss mehr getan werden, um dem gesellschaftliche Großthema "Antidiskriminierung, Gleichberechtigung und Zusammenhalt in der vielfältigen Gesellschaft" gesetzlich und institutionell gerecht zu werden. Deutschland sei ein Einwanderungsland und Diskriminierung ein alltägliches Phänomen, mit dem man sich verstärkt auseinandersetzen muss.
Das wird in einem Papier von grünen Parteimitgliedern als struktureller Hintergrund genannt für Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes, für die Schaffung eines Bundesantidiskriminierungsgesetzes, für den Aufbau eines neuen Ministeriums, den Ausbau der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) sowie für die Gründung eines neuen Gremiums ähnlich dem des Deutschen Ethikrats.
Vorgestellt wird das Papier und Hintergründe dazu heute in einem Artikel der Wochenzeitung Die Zeit. Demnach soll es Teil der anstehende Debatte um das Wahlprogramm der Partei für die Bundestagswahl im September sein. Den grundlegenden Ansatz erläutert die frühere frauenpolitische Sprecherin der Partei, Gesine Agena, so:
Statt Einzelmaßnahmen brauchen wir endlich ein Gesamtkonzept, um Gleichberechtigung in der Gesellschaft für alle Menschen zu verwirklichen. Das ist eine zentrale Aufgabe für die nächste Bundesregierung.
Gesine Agena
Agena gehört zu insgesamt 18 Unterzeichnern des Forderungspapiers, die von der Zeit als prominent bezeichnet werden; bekannt sein dürften einer größeren Öffentlichkeit vor allem Claudia Roth, Aminata Touré und Katharina Schulze.
Schutz vor "jeglicher Diskriminierung"
Das Papier versammelt ein ganzes Spektrum von Vorhaben, um den Schutz vor "jeglicher Diskriminierung" zu verstärken. Die größte Aufmerksamkeit wird in der Diskussion wahrscheinlich die beabsichtigte Änderung des Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes bekommen, der laut dem Papier mit dem Titel "Verwirklichungschancen für alle - unser Weg zur Gesellschaft der Vielen" um folgenden Passus ergänzt werden soll, um einen Schutzauftrag des Staates verfassungsrechtlich zu verankern:
Der Staat gewährleistet Schutz gegen jedwede gruppenbezogene Verletzung der gleichen Würde aller Menschen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Ergänzungsvorschlag von Grünen zum Grundgesetz Artikel 3, Abs. 3
In der Formulierung scheint das Konzept der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" durch, das in der soziologischen Forschung zur Untersuchung von Angriffen auf die offene Gesellschaft (siehe "Deutsche Zustände") eine zentrale Rolle spielt. Es ist ein Begriff, der zu vielen Diskussionen geführt hat (Ein Begriff macht Karriere: "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit").
Daran ist, wie schon bei dem Disput über die von den Grünen im letzten Jahr lancierten Idee, den Begriff der Rasse aus dem Grundgesetz zu entfernen, abzulesen, dass der Vorstoß einige Auseinandersetzungen zur Folge haben wird. Die "gruppenbezogene Verletzung der Würde" ist ein Begriff, der großes Interpretationspotential hat. Vielleicht auch nicht immer im Sinne der Grünen.
Wie kompliziert Erörterungen von Schlüsselbegriffen, einmal von der aktuellen politischen Diskussionen in den Medien, in Nachrichten und Kommentaren abgesehen, im juristischen Kontext verlaufen, ist etwa an der vierteiligen Serie im Verfassungsblog zur Debatte um den Rasse-Begriff im Grundgesetz nachzuvollziehen.
So ist der Vorschlag der grünen Parteimitglieder, der auch dem Bundesvorstand vorgelegt wurde, zunächst einmal der Auftakt zu einer Diskussion, in der die Grünen eine Positionierung vornehmen, die begleitet wird von Vorschlagen zum Aufbau von Institutionen, die den Kampf gegen alltägliche Diskriminierung "empowern".
"Ministerium für Gesellschaftlichen Zusammenhalt"
Dazu gehört die Forderung, ein "Ministerium für Gesellschaftlichen Zusammenhalt" einzurichten.
Darin sollen die Bereiche Antidiskriminierung, Frauen, Einwanderung, Migration und Flucht, Queerpolitik, Behindertenpolitik, Familie, Senioren, Jugend und Demokratieförderung gebündelt werden. So kann der Politik für eine vielfältige Gesellschaft mehr Gewicht verliehen werden.
Papier der Grünen, "Verwirklichungschancen für alle - unser Weg zur Gesellschaft der Vielen"
Darüber hinaus will man die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zu einem zentralen Akteur aufbauen, dessen Leitung künftig vom Bundestag gewählt werden soll und dessen Kompetenzen ausgebaut werden sollen: "z. B. um eine Kontrollkompetenz (Überprüfung von Diversity-Folgeabschätzung, sowie von Diversity-Plänen und Diversity-Budgeting von Bundesverwaltungen). Dafür werden Personal und Budget deutlich aufgestockt".
Die Kritiker werden hier wohl nachfassen und danach fragen, wer die neuen Jobs bekommt. Das gilt auch für den Vorschlag, dass ortsnah "niedrigschwellige Empowerment-, Selbsthilfe-und Beratungsstellen" zur Verfügung gestellt werden sollen, an die man sich im Falle von Diskriminierung wenden kann.
Auf höherer Ebene soll ähnlich dem Deutschen Ethikrat ein gesetzlich verankertes Gremium geschaffen werden: der "Rat für Gleichberechtigung und Zusammenhalt in einer Gesellschaft der Vielen", der nach Vorstellung der Verfasser des Papiers den gesellschaftlichen Diskurs zur Gleichberechtigung und zum Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft befördern soll sowie "strukturelle Diskriminierung identifizieren und Gegenmaßnahmen vorschlagen".
"Bundesantidiskriminierungsgesetz"
Das Papier spricht sich auch für die Schaffung eines "Bundesantidiskriminierungsgesetz" sowie eines "Bundespartizipationsgesetz" aus. Das erstere soll "Schutz vor jeglicher Form der Diskriminierung schaffen, u.a. in Bezug auf Geschlecht, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität, Nationalität, Sprache, sozialen Status, Behinderung und chronische Erkrankung, Gewicht, Religion und Weltanschauung, Lebensalter, rassistische Zuschreibungen (z.B. in Form von antimuslimischem, anti-Schwarzem, antiasiatischem Rassismus oder Antiziganismus) und Antisemitismus". Betont wird, dass dabei "keine abschließende Aufzählung von Diskriminierungsgründen vorgenommen" werde.
Es gehe darum, Schutzlücken im privaten und öffentlichen Bereich zu schließen und bessere Rahmenbedingungen für Klagen zu gestalten, so dass von Diskriminierung betroffene Personen besser in der Lage und bereit seien, rechtlich gegen erfahrene Diskriminierung vorzugehen.
Die gute Absicht hinter dem "Bundespartizipationsgesetz" erschließt sich einerseits quasi von selbst: Das Gesetz soll Politik und Verwaltung dazu verpflichten, "dass durch sämtliche politische, normgebende und verwaltende Maßnahmen niemand diskriminiert wird". Was es dazu braucht, wird aber anderseits in einem Politik-Vokabular wiedergeben, dessen konkrete Dimensionen sich nicht umgehend erschließen: "eine Diversity-Folgeabschätzung im Rahmen der Gesetzfolgenabschätzung und ein Diversity-Budgeting".