Anzeige gegen Ackermann wegen Hehlerei
Wie Herrschaftswissen privatisiert wird ...
Früher war die Welt in Ordnung. Die Päpste ließen die Geschichte in einer Sprache aufschreiben, die das gemeine Volk nicht verstand, und versteckten sie in ihren Verliesen. Bis heute hat zu den Archiven des Vatikans - eines eigenen Staates - nur der Zugang, der vom Oberhirten auserkoren wurde. Die Monarchien machten es ihnen nach und erklärten ihr Schriftgut zu "geheimen Staatsarchiven" - nomen est omen, geheim eben. Die Untertanen kamen gar nicht auf die Idee, dort ihre Nase hineinstecken zu wollen.
Dann änderte die Technologie alles. Zunächst kam der Buchdruck in die Quere. Wissen wurde verbreitet - und das sogar in einer Sprache, die die Leute verstanden. Und in der Neuzeit kamen der Fotokopierer, das Internet und Wikileaks. Sogenannte "Rechtsstaaten" entstanden, von Transparenz und Demokratie war plötzlich die Rede. Zum Glück ließ sich Herrschaftswissen weiterhin vor den niedrigen Rängen in den Kellern der Geheimdienste verbergen. In der hinterwäldlerischer Bundesrepublik sind die Akten des BND und des Verfassungsschutzes grundsätzlich vom Informationsfreiheitsgesetz ausgenommen. In den USA hingegen unterliegen CIA-Akten dem Freedom of Information Act, was George W. Bush seinerzeit dazu bewegt hat, die "presidential papers", also die Unterlagen der US-Präsidenten, vom FOIA auszunehmen.
Ob das verfassungskonform ist, muss sich noch zeigen - doch seitdem stellt sich die kriminelle Fantasie der Aktenverstecker stets auf neue Wege ein, um den Schäfchen ihre Neugier auszutreiben. Und das geht zum Beispiel so: Öffentliche Akten werden gestohlen und privat verwaltet. Das ist zwar Diebstahl und Hehlerei - aber bisher funktioniert das. Als Kanzler Helmut Schmidt seinen Hut nahm, räumte er seinen Aktenschrank leer und nahm den Inhalt mit nach Hause. Wer etwa, wie der Buback-Sohn Michael, Papiere aus dem Kleinen Krisenstab oder sonstiges sensibles Schriftgut aus dem Amtsbereich von Schmidt einsehen möchte, muss beim Altkanzler Bitte-Bitte sagen. Und als Kohl seine Kanzleramtsakten mit nach Hause nahm, meckerte zwar die gesamte Journaille, tat aber nichts.
Ich bin auf "privatisierte Akten" bei meiner Recherche über die "Aktion Geschäftsfreund" gestoßen, bei der die Adenauer-Regierung ab 1961 insgesamt 630 Millionen DM ohne Parlaments- oder Kabinettsbeschluss für das israelische Atomprogramm bezahlt hat. Die Aktion wurde damals von Hans Globke eingefädelt, einst Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und dann allmächtiger Staatssekretär Adenauers - sowie von Hermann Abs, IG Farben und Nazi-Verbrecher und nach dem Zweiten Weltkrieg Gründer der Kreditanstalt für Wiederaufbau und im Vorstand der Deutschen Bank.
Nun sollte man meinen, dass diese "Aktion Geschäftsfreund" Gegenstand einer intensiven Geschichtsforschung sein müsste. Ist sie aber nicht - da lediglich das Auswärtige Amt Unterlagen zur Verfügung gestellt hat. In den wenigen Blättern, die das Koblenzer Bundesarchiv über Adenauers Kabinett verwaltet, ist über diese sensible Operation nichts zu finden. Und die KfW bestätigt nur die Zahlung der Summe, will aber Schriftliches dazu nicht offenlegen.
Als Globke aus seinem Amt schied, nahm er seine Kanzleramtsakten mit nach Hause. Und nach seinem Ableben stiftete seine Tochter diese Unterlagen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin, darunter auch viele Papiere mit Geheimschutzstempel.
Hermann Abs hatte, obwohl nie Beamter sondern stets für Großunternehmen tätig, mehrfach die Bundesregierung offiziell vertreten und in dieser Funktion Unterlagen angefertigt. So hatte er die Adenauer-Regierung beim Wiedergutmachungsabkommen mit Israel (1952) vertreten und bei der Londoner Schuldenkonferenz (1953). Und, wie gesagt, handelte er Zahlungsmodalitäten seiner KfW im Rahmen der "Aktion Geschäftsfreund" aus. Diese Unterlagen sind juristisch gesehen Staatseigentum. Doch auch er nahm sie mit nach Hause, und nach seinem Tod landeten sie im Historischen Institut der Deutschen Bank in Frankfurt.
Ich bat um Einsicht in diese Nachlässe. Bei der Deutschen Bank bestätigte man die Existenz dieser Papiere. Man rümpfte die Nase, offensichtlich sind dort Journalisten wie ich nicht beliebt. Man dankte für mein Interesse, verwies aber darauf, dass man über "eigene Historiker" verfüge, denen man die Akten zeigen würde. Deren Bücher könne man gerne zur Verfügung stellen. Möglicherweise könne man darüber nachdenken, ob man mich die in den Büchern zitierten Dokumente einsehen lassen könnte - aber ansonsten blieb mir ein Besuch in den Heiligen Hallen des Historischen Instituts der Deutschen Bank verwehrt. Mein Einwand, dass ich nicht an privatem Schriftverkehr sondern nur an Amtlichem interessiert sei, erntete müdes Lächeln. Nicht einmal die in Aussicht gestellten zitierten Dokumente erhielt ich am Ende.
In der Adenauer-Stiftung erging es mir nicht viel besser, auch dort hat man "eigene" Schreiberlinge. Um eine Einsicht in den Globke-Nachlass zu verwehren, verwies man auf die Erbin, Frau Globke. Sie wolle nicht, dass ich diese Papiere einsehen dürfe. Bei anderen, offensichtlich ihnen genehmen Historikern, hatten die Dame und die christdemokratische Stiftung nichts dagegen.
Ich verwies auf das von mir erstrittene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen BND-Eichmann-Akten, das eine generelle Offenlegung von amtlichen Dokumenten nach dreißig Jahren vorschreibt. In Sankt Augustin witterte man eine Querulantin und gab nach. Man legte mir eine Auswahl von Papieren vor, über den nicht vorgelegten Rest wolle man nachdenken, hieß es. Das tut man bis heute.
Ich erstattete Strafanzeige wegen Unterschlagung und Hehlerei gegen die Adenauer-Stiftung und die Deutsche Bank, vertreten durch Josef Ackermann. Doch die Staatsanwaltschaften in Bonn und Frankfurt nahmen die Ermittlungen gar nicht auf sondern verwiesen auf die eingetretene Verjährung.
Ich fragte beim Koblenzer Bundesarchiv nach. Meiner Meinung nach gehören diese amtlichen Dokumente dort hin, wo sie der Öffentlichkeit - unabhängig von der Person - zugänglich gemacht werden müssen. Und nur die dort tätigen Beamten sind berechtigt, Geheimmaterial zu bearbeiten und freizugeben - und nicht private Stiftungen, die einst entwendetes Material verwalten.
Das Bundesarchiv hat den gesetzlichen Auftrag, "das Archivgut des Bundes auf Dauer zu sichern und nutzbar zu machen". Und sein ehemaliger Präsident, Prof. Hartmut Weber, teilte meine Rechtsauffassung. Auch er beklagte, "dass immer wieder amtliche Dokumente nicht an das Bundesarchiv abgegeben werden, sondern in die privaten Papiere von Politikern und Spitzenbeamten gelangen und mit diesen zum Beispiel an die Archive der Parteien übergeben werden", schrieb er mir im November letzten Jahres. Doch seine "wiederholten Versuche, der ,,Privatisierung" amtlicher Unterlagen entgegenzuwirken, sind jedoch alle gescheitert". Mehrmals habe man die Stiftungen zur Übergabe aufgefordert, aber sie kommen dem einfach nicht nach.
Seine vorgesetzte Behörde, der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, hatte ebenfalls für mein Anliegen "grundsätzlich Verständnis" und versprach "andere Lösungsmöglichkeiten". Doch worin diese bestehen könnten, teilte er nicht mit. Er wolle sich aber, "unaufgefordert" wieder melden. Das war am 10. März 2011.
Jetzt habe ich beim Verwaltungsgericht Koblenz Klage gegen das Bundesarchiv wegen Untätigkeit erhoben (die Klageschrift kann hier heruntergeladen werden). Mein Rechtsanwalt Raphael Thomas ist optimistisch: "Wir werden die Akten bekommen", meint er. Und vielleicht ist ja der Präsident des Bundesarchivs dankbar, dass sich am Ende mal der Plebs beschwert, dass öffentliche Akten gestohlen und in privaten Verliesen vor neugierigen Blicken versteckt werden.
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