Arbeitslosengeld oft niedriger als Hartz IV
Seite 2: Kein Hartz-IV-Effekt auf Senkung der Arbeitslosigkeit?
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Die drastische Senkung der Arbeitslosenquote gilt vielen Beobachtern als schlagender Beweis für den Erfolg einer der umstrittensten politischen Entscheidungen der letzten Jahre. Schließlich sei mit der Hartz-IV-Reform nicht nur Bewegung in den erstarrten Arbeitsmarkt gekommen, sondern außerdem eine starke Motivation geschaffen worden, sich so schnell wie möglich einen neuen Job zu suchen. Eben deshalb wurde die Arbeitslosenhilfe verringert und die Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld verkürzt.
Eine neue Studie von Andrey Launov und Klaus Wälde, die im "International Economic Review" veröffentlicht wurde, sieht dagegen kaum positive Auswirkungen der Hartz-Reform auf die Absenkung der deutschen Arbeitslosenquote. Die Ökonomen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz beziffern den Effekt auf "weniger als 0,1 Prozentpunkte" und begründen ihre These mit fehlenden Anreizen auf allen Seiten.
Für gut ausgebildete Arbeitnehmer sei die Lohnersatzleistung zu gering. Viele von ihnen hätten längst wieder einen Job, bevor sie auf Hartz IV zurückgreifen müssten. Für Geringqualifizierte, den aktuell größten Teil der Langzeitarbeitslosen, sei der Unterschied zwischen "vor Hartz IV" (Arbeitslosenhilfe) und "nach Hartz IV" (Arbeitslosengeld II) "oft zu gering, um sich tatsächlich auszuwirken".
Hartz IV hat nach Meinung der Mainzer Ökonomen also wenig gebracht. Hartz I bis III dafür umso mehr. Die Neuorganisation der Bundesanstalt sowie das Angebot von Jobcentern, identifizierbaren Kontaktpersonen und besseren Betreuungsrelationen habe die Arbeitslosigkeit in Deutschland um 1,3 bis 2 Prozentpunkte reduziert, so Launov und Wälde.
Auf verteilungspolitisch schwierige Bestandteile wie eine Reduktion der Lohnersatzleistungen kann dabei offenbar verzichtet werden.
Andrey Launov / Klaus Wälde
"Dauerhafte Exklusion aus dem Erwerbsleben"
Die Quote ist gesunken, doch im Oktober 2013 waren in Deutschland immer noch 2,8 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Das Institut für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz hat in einer gerade veröffentlichten Studie eine Gruppe von etwa 430.000 Menschen in die Kategorie "arbeitsmarktfern" einsortiert.
Es sei offenkundig, so schreiben die Autoren Tim Obermeier, Stefan Sell und Birte Tiedemann, "dass die Politik diese Personengruppe in den vergangenen Jahren schlichtweg 'vergessen' bzw. bewusst in Kauf genommen hat, dass es zu einer dauerhaften Exklusion dieser Menschen aus dem Erwerbsleben kommt."
Dass die Möglichkeiten einer öffentlich geförderten Beschäftigung im Wesentlichen auf Ein-Euro-Jobs reduziert wurden, habe die Lage zusätzlich verschärft.
Die Arbeitsmarktforscher fordern deshalb "ein Spektrum an ineinander greifenden Förderoptionen", das den "arbeitsmarktfernen" Erwachsenen (und den gut 300.000 in ihren Haushalten lebenden Kindern) wieder eine Teilhabeoption bietet. Auch und gerade Personen, die über lange Zeit einer öffentlich geförderten Beschäftigung nachgehen müssen, brauchten Angebote, die in den "Normalitätsrahmen unseres Arbeitsmarktes" passten.
Aber um dahin zu kommen, muss eine Grundsatzentscheidung getroffen werden: Wollen wir eine teilhabeorientierte Ausgestaltung der Arbeitsmarktpolitik oder wollen wir den "harten Kern" der Langzeitarbeitslosen im passiven Transferleistungsbezug auf Dauer "stilllegen". Denn genau das wäre die "Alternative", die man offen aussprechen sollte.
Tim Obermeier/Stefan Sell/Birte Tiedemann: Messkonzept zur Bestimmung der Zielgruppe für eine öffentlich geförderte Beschäftigung