Arbeitslosengeld oft niedriger als Hartz IV

Viele Arbeitslosengeld-Empfänger hätten das Recht, ihre Bezüge aufzustocken. Doch die Betroffenen machen nur selten Gebrauch davon

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Aufgabe des Arbeitslosengeldes ist es, den Lebensunterhalt anstelle des ausfallenden Arbeitsentgelts zu sichern", glaubt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Doch diese allemal sinnvolle Funktion kann die Entgeltersatzleistung, die nach den Bestimmungen des SGB III gezahlt wird, immer seltener erfüllen.

Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Bild: Nico Hofman/CC-BY-SA-3.0

Nach Berechnungen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen bekamen 19,9 Prozent der Männer und 44,8 Prozent der Frauen zum Ende des Jahres 2011 weniger als 600 Euro im Monat.

Unter der Grundsicherung

Auch 2012 charakterisieren die Forscher des IAQ die durchschnittliche Höhe des Arbeitslosengeldes mit dem Begriff "bescheiden". Männer kamen auf 924 Euro pro Monat, Frauen lagen nur bei 697 Euro. Hält man das durchschnittliche Bedarfsniveau der Grundsicherung für Arbeitsuchende dagegen, zeigt sich, dass die Hartz IV-Leistungen von etwa 671 Euro vielfach unterboten wurden.

Ein beträchtlicher Teil der Arbeitslosengeld-I-Empfänger hätte somit Anspruch auf eine Aufstockung durch Arbeitslosengeld II. 2012 nutzten diese Möglichkeit allerdings nur 10,4 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass andere Haushaltsmitglieder deutlich mehr verdienten und so die Voraussetzung der Bedürftigkeit nicht gegeben war, ist nicht besonders hoch. Gerd Bäcker, emeritierter Professor der Universität Duisburg-Essen und Senior Fellow des IAQ, hat eine wahrscheinlichere Erklärung:

Angesichts der niedrigen Arbeitslosengeldzahlungen ist zu vermuten, dass viele Betroffene die Möglichkeit der Aufstockung nicht kennen oder nicht beantragen.

Gerd Bäcker

Grundsätzlich sind die Zahlbeträge des Arbeitslosengeldes zwischen 2004 und 2012 zwar gestiegen – bei Männern von 866 auf 924, bei Frauen von 610 auf 697 Euro pro Monat. Eine Verbesserung der materiellen Verhältnisse, insbesondere mit Blick auf die von der Politik anvisierte Sicherung des Lebensunterhaltes, hat aber augenscheinlich nicht stattgefunden. Das IAQ, das sich auf Daten der Bundesanstalt für Arbeit bezieht, beziffert den Kaufkraftverlust durch Inflation zwischen 2004 und 2012 auf 14 Prozent.

Niedrige Löhne

Die Erhebung zeigt einerseits, dass das Arbeitslosengeld I seit der Einführung des SGB II immer weiter an Bedeutung verliert. Nach Einschätzung des IAQ werden derzeit nur noch 30 Prozent aller Arbeitslosen durch die entsprechende Versicherung erfasst. Die überwiegende Mehrheit fällt in die Zuständigkeit des SGB II beziehungsweise der JobCenter.

Aus den Zahlen lässt sich außerdem ableiten, dass fast jede zweite Frau im Falle einer Arbeitslosigkeit mit einem Betrag unterhalb der Grundsicherung rechnen muss und Geringverdiener besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Insgesamt korrespondieren die Ergebnisse mit anderen Befunden vom flexibilisierten Arbeitsmarkt. Beispiel Rente: Selbst wenn sich die im Aufbau befindliche Große Koalition auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns einigen würde, droht vielen Menschen die Altersarmut. Denn auch bei einem Stundenlohn von 8,50 Euro gibt es kein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung. Die Situation ist prekär, wenn auch wohl nicht für jede dramatische Schlagzeile geeignet.

Niedrige Löhne begründen weder einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, das zur Bestreitung des Lebensunterhalts reichen würde - noch auf eine Rente, die im Alter ein halbwegs auskömmliches Dasein ermöglichen könnte.