Armee zerstört PA-Gefängnis in Jericho

Israelischer Militärangriff zur Verhaftung von palästinensischen Häftlingen; Palästinenser befürchten weitere Eskalation

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Die israelische Armee griff heute zu Lande und zu Luft das palästinensische Gefängnis in Jericho an. Bei dem anhaltenden Angriff starben mindestens zwei der palästinensischen Bewacher, Dutzende Polizisten und Insassen wurden verletzt. Ziel des Angriffs, so die israelische Armee, war die Festnahme von sechs Häftlingen. Fünf von ihnen, Mitglieder der marxistischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), wird der Mord am israelischen Tourismusminister Rehavam Seevi 2001 angelastet. Ausländische Friedensaktivisten versuchten, auf das Gefängnisgelände zu gelangen.

Planierraupen rissen die Mauern ein und riefen die Insassen über Lautsprecher dazu auf, sich zu stellen. "Wir werden uns nicht ergeben", sagte der gefangene PFLP-Generalsekretär Ahmad Saadat über Telefon gegenüber dem TV-Sender Al-Dschasira, der den Angriff mehrere Stunden lang live übertrug. "Wir kämpfen und werden entweder gewinnen oder sterben." Etwa um 19 Uhr Ortszeit ergaben sich die letzten Gefangenen allerdings, unter ihnen Saadat. Er wurde von der Armee an einen bisher unbekannten Ort verbracht. Saadat und ein Kommando seiner Gruppe, die den Anschlag auf Seevi 2001 in Ost-Jerusalem durchführte, saßen seit August 2002 in Jericho ein. Die PFLP tötete Seevi, nachdem die israelische Armee im August 2001 den Generalsekretär der Volksfront, Abu Ali Mustafa, ermordete.

Das Gefängnis wird von Polizisten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) geleitet. Um eine Auslieferung von Saadat und anderen an Israel zu verhindern, schlossen die Konfliktparteien 2002 in Ramallah ein Abkommen, nachdem britische und US-amerikanische Soldaten das Gefängnis bewachen sollten. Israel gab sich damit zufrieden. "Die Amerikaner und Briten zogen aber eine Viertelstunde vor Beginn des Angriffs ab", sagte Taufiq Abu Chussa vom palästinensischen Innenministerium. Seiner Ansicht nach verletzten sie damit nicht nur das geschlossene Abkommen, sondern auch die Aufsichtspflicht über die Gefangenen.

Diplomaten und andere Ausländer in offizieller Funktion wurden bereits am Mittag aus den von Israel besetzten Gebieten evakuiert. In allen palästinensischen Städten finden Demonstrationen statt. PFLP-Anhänger und andere griffen derweil britische und amerikanische Einrichtungen an. In Gaza brannte das britische Kulturzentrum. In Ramallah wurde deren Büro und außerdem die britische Bank HSBC angegriffen. Im Gazastreifen entführte die PFLP acht Ausländer, zwei südkoreanische Journalisten und zwei französische Mediziner. Die palästinensische Polizei verwundete einen der Angreifer und verhaftete einen anderen. Ausländer seien auch im Westjordanland in Gefahr, so die PFLP, sollte ihrem Generalsekretär etwas zustoßen.

Unterdessen versuchten ausländische Friedensaktivisten des International Solidarity Movement (ISM) auf das Gefängnisgelände in Jericho zu gelangen. Die Aktion erinnerte an die Belagerung des Amtsitzes des damaligen Präsidenten Jassir Arafat in Ramallah 2002. Etwa 20 Friedensaktivisten überlisteten damals die Armee, überwanden den Belagerungsring und verbrachten mehrere Tage mit der palästinensischen Führung unter Beschuss (Skrupel oder Tabus scheinen keine Rolle mehr zu spielen).

Palästinenser gehen von einer Eskalation aus, sollte Saadats Leben nun in Gefahr sein. "Dann beginnt die dritte Intifada", sagte ein junger Aktivist in Ramallah. "Die Israelis machen doch, was sie wollen. Und wenn sie unsere politischen Führer ermorden, werden wir nicht einfach nur zusehen." Am Nachmittag noch richten sich viele Palästinenser auf Ausgangssperren ein und tätigten Hamsterkäufe.

Fuad Schobaki ist ein weiterer Gefangener, auf den es Israel abgesehen hatte. Er war verantwortlich für die "Karine A"-Affäre 2002. Das gleichnamige Schiff versuchte damals, Waffen in die palästinensischen Gebiete zu schmuggeln.

Pessimismus macht sich breit

Die israelische Armee wollte nach eigenen Angaben die Freilassung von Saadat und seinen Genossen verhindern. Mahmud Abbas, der palästinensische Präsident, hatte derartiges verlauten lassen. Auch die Hamas, die in wenigen Tagen die Regierungsgeschäfte übernimmt, hat sich für eine Freilassung ausgesprochen. Abbas hat sich unterdessen für die Andauer der Haft verbürgt, ohne Wirkung auf Israel.

Jack Straw, Großbritanniens Außenminister, rechtfertigte den Abzug der Bewacher. Die PA habe die Sicherheit der britischen Soldaten nicht gewährleisten können. "In den letzten Monaten wurde das immer klarer. Wir haben sie immer wieder darauf hingewiesen, dass wir unter diesen Bedingungen die Soldaten abziehen werden." Niemand rechnete allerdings damit, dass dieser Abzug nur in Absprache mit Israel passiert. "Damit gefährdete England nicht nur das Leben der palästinensischen Polizisten und Gefangenen", so ein westlicher Offizieller, der anonym bleiben wollte, gegenüber Telepolis, "sondern auch die palästinensischen Angestellten in britischen Einrichtungen in den besetzten Gebieten." Es sei nicht schwer vorauszusehen gewesen, dass in Abwesenheit offizieller Vertreter solche Einrichtungen angegriffen würden.

Interne Entwicklungen wie die baldige Regierungsübernahme der Hamas rücken in den politischen Diskussionen vor Ort in den Hintergrund. Viele, die sich vom Wahlsieg der Hamas eine Abkehr vom innenpolitischen Chaos versprachen, drücken Pessimismus aus. Die Palästinenser und ihre politische Führung kann israelischen Angriffen nichts entgegen setzen. Klar sei auch, so heißt es, dass die Hamas nichts gegen die israelische Landnahme unternehmen könne. Erst kürzlich hat die Armee das Jordantal für Palästinenser gesperrt. Die israelische Regierung hat vor, das Gebiet zu annektieren.

Peter Schäfer, Ramallah