Armut in Bayern: Zwei Berichte, zwei Sichtweisen

Offizielle Regierungsdaten gegen kritische Studienergebnisse: Eine Analyse der sozialen Ungleichheit im Freistaat. Welcher Bericht liegt näher an der Wahrheit?

Der globale Kapitalismus kennt nur wenige Gewinner und schafft täglich immer mehr Verlierer, die unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten müssen. Denn die Einkommen und Vermögen der Superreichen werden immer noch auf Kosten der Arbeit und der Armut der großen Bevölkerungsmehrheit erwirtschaftet. Und was im globalen Maßstab gilt, ist auch in einer der finanzstärksten Nationen, in Deutschland, und hier auch im statistisch wohl vermögendsten Bundesland, in Bayern, nicht anders.

Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) hat den mittlerweile fünften Sozialbericht der Bayerischen Staatsregierung vorgelegt. Dies spiegelt die Bedeutung wider, die Fragen von Armut und Ungleichheit auch in Bayern haben.

Bei der Beschreibung der sozialen Lage wird das sogenannte Lebenslagenkonzept berücksichtigt. Es besagt, dass nicht nur die Einkommens- und Vermögenssituation, sondern auch weitere Dimensionen wie die Erwerbssituation, Bildung, Wohnen, Gesundheit, soziale Integration und Teilhabe in die Darstellung einfließen.

Ferner zieht die bayerische Staatsregierung einen bundesweiten Vergleich heran, um das südöstliche Bundesland als Vorbild darzustellen. So betont Ulrike Scharf (CSU), Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, in dem rund 750 Seiten starken Bericht, dass es den Menschen in Bayern ausgezeichnet gehe, oft sogar etwas besser als in anderen Bundesländern.

Den Gegenpol in der Berichterstattung bildet die Studie "Einkommensarmut und regionale Unterschiede in Bayern". Sie wurde vom Kurt Eisner Verein für politische Bildung in Bayern, einem Landesverband der linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, herausgegeben. Der Bericht kommt zu einem anderen Ergebnis als der offizielle Regierungsbericht.

"Einkommensarmut und regionale Unterschiede in Bayern" soll nach eigenen Angaben nicht nur den Schönfärbereien und Verschleierungen der Regierungspropaganda Fakten entgegensetzen. Die Studie soll dazu beitragen, das Handeln der Staatsregierung kritisch zu hinterfragen und eine andere Armutspolitik zu entwickeln.

Die Autoren der Studie kommen, wie sie freimütig bekennen, bei der "Offenlegung der alarmierenden Fakten" nicht umhin, zunächst die Frage zu stellen: "Was waren und sind die entscheidenden Gründe für Armut in Deutschland und in Bayern?" Die vier Wissenschaftler zeichnen hier den neoliberalen Kurswechsel der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 nach, der in zentralen Entscheidungen stets von der Union im Bundesrat mitgetragen wurde.

Thematisiert werden die Reformen der "Agenda 2010", die maßgeblich zur Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben beigetragen haben. Diese Fakten sind inzwischen weitgehend bekannt, ebenso wie die Folgen: wachsende Massenarmut einerseits und immer groteskere Ausmaße des Reichtums andererseits.

Die Autoren der Studie, vier Wissenschaftler der Katholischen Universität Bayern, verweisen auch auf die in immer kürzeren Abständen auftretenden Systemkrisen der letzten Jahrzehnte – Dotcom-Blase, Finanz- und Wirtschaftskrise, Staatsverschuldung, Coronapandemie, Lieferketten- und Energiekrise. In Anlehnung an den wohl bekanntesten deutschen Armutsforscher, Christoph Butterwegge, können sie feststellen, dass diese die Verteilungskonflikte weiter verschärfen und meist zulasten der Schwächsten gehen.

Bestimmte soziale Gruppen sind stärker von Armut betroffen als andere. Das betrifft Arbeitslose, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, Minderjährige und vor allem Ältere – darunter hauptsächlich Frauen.

Armut ist in Bayern aber auch räumlich sehr ungleich verteilt. Unterschiede zeigen sich zwischen Stadt und Land sowie zwischen Metropolregionen und Peripherie. Rund ein Drittel aller minderjährigen und erwachsenen Empfänger von Grundsicherung lebt in den drei Großstädten München, Nürnberg und Augsburg. Hier spielen primär extreme Mieten und steigende Lebenshaltungskosten eine Rolle.

Zudem gehörten Senioren in Bayern zu der von Einkommensarmut besonders betroffenen Bevölkerungsgruppe. "Die amtliche Statistik unterschätzt das Ausmaß der Einkommensarmut leider in gravierender Weise", erklärten die Autoren bei der Vorstellung ihrer Studie. Viele schämen sich, Transferleistungen in Anspruch zu nehmen, andere kennen ihre Ansprüche nicht. Dies führe zu einer Untererfassung der Armut in den amtlichen Statistiken. So wird geschätzt, dass bis zu 60 Prozent aller Leistungsberechtigten ihre Ansprüche auf Grundsicherung im Alter nicht geltend machen.

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