Arsenal neuer Atomwaffen

Ein an die Öffentlichkeit gelangtes Dokument lässt die Pläne des Pentagon, die zu einem neuen Wettrüsten führen können, noch einmal deutlich werden

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Seitdem Einzelheiten des letzten Nuclear Posture Review (NPR) bekannt wurden, weiß man auch, dass das Pentagon Atomwaffen als Bestandteil des Waffenarsenals für Verteidigungs- und "präventive" Angriffszwecke integrieren will (Neue Atomwaffen sollen entwickelt werden). Zudem sollen kleinere taktische Atomwaffen zur Zerstörung von Bunkern oder Massenvernichtungswaffen entwickelt werden (Das Pentagon will neuartige taktische Atombomben). Wie ein jetzt an die Öffentlichkeit gelangtes Dokument zeigt, findet über die Entwicklung solcher "mini nukes" im Sommer ein geheimes Treffen von Militärs und Wissenschaftlern statt.

Erhalten hat das Dokument, ein Bericht über die Ergebnisse einer Sitzung am 10. Januar 2003, die Los Alamos Study Group. Einberufen wurde die Sitzung von Dale Klein, der als Staatssekretär unter dem Vizeverteidigungsminister Wolfowitz für nukleare, biologische und chemische Waffen zuständig ist. In dem Dokument wird über die Vorbereitung und die Themen der beim STRATCOM geplanten Konferenz berichtet. Unter anderem geht es darum, ob das Pentagon wieder mit Atomwaffentests beginnen und wie die Abschreckungsstrategie der USA im "Post-NPR-Szenario" aussehen soll, also ob dazu neue Atomwaffen notwendig wären.

Abwurftest mit der B61-11, die mit einem nuklearen Sprengkopf ausgestattet werden kann, von einem B-2A Stealth Bomber 1996. Foto: Sandia National Laboratories

Mit den Überlegungen zum Bau neuer Atomwaffen wird sich das "Future Arsenal Panel" beschäftigen. Hauptthema dieses Panels soll sein: "Welche Sprengkopfeigenschaften und neuen Konzepte brauchen wir in dem Post-NPR-Szenario?" Dabei geht es um die Strategie zur Auswahl von Waffen mit geringer nuklearer Sprengkraft oder mit erhöhter Strahlung, für Waffen zur Zerstörung von chemischen und biologischen Waffen oder um nukleare "Bunker-Buster", die tief in die Erde eindringen und erst dann explodieren (earth-penetrating nuclear weapons - EPWs).

EPWs mit kleinen nuklearen Sprengköpfen sollen Kollateralschäden minimieren, daher auch in der Nähe von dicht bewohnten Gegenden einsetzbar sein, und die herkömmliche Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen unterschreiten. Mini-Nukes könnten auch im Rahmen der Präventionsstrategie des Pentagon gegen Gegner eingesetzt werden, die selbst keine Atomwaffen besitzen. Auch ein im Februar veröffentlichter Bericht: "Differentiation and Defense. An Agenda for the Nuclear Weapons Program" für den für Nationale Sicherheit und Außenpolitik zuständigen Kongressausschuss, der in diesem Monat veröffentlicht wurde, rät dazu, dem Präsidenten alle Optionen mit Nuklearwaffen anzubieten, wozu auch Raketen mit nuklearen Sprengköpfen zur Zerstörung von Zielen gehören, die tief unter der Erde liegen. Überdies rät der Bericht dazu, ein neues Programm zur Entwicklung von Atomwaffen zu starten.

Der "Strategy and Policy Panel" soll sich hingegen mit der Integration der Nuklearwaffen in alle militärischen Strategien von Abschreckung über Verteidigung bis zum Angriff widmen, aber auch erklären, welchen "Wert" Atomwaffen, die einen minimierten Kollateralschaden bewirken, präzise sind, chemische und biologischen Substanzen zerstören und tief eindringen können, zum Schutz der nationalen Sicherheit bieten.

Das Dokument macht unmissverständlich die Absichten der US-Regierung deutlich, neue Atomwaffen zu entwickeln und sie nicht nur zur Abschreckung, sondern auch in präventiven Schlägen oder in einem Krieg gegen einen Feind einzusetzen, der, gleich ob es sich um einen Staat oder um Terroristen handelt, nicht über Atomwaffen verfügt. Bestätigt wird überdies die Absicht, wieder mit unterirdischen Atomtests beginnen zu wollen. Der Bau neuer Atomwaffen wäre überdies ein Signal, von internationalen Abkommen zur Waffenkontrolle abzurücken, also ein weiterer Schritt in der Strategie der US-Regierung, anstatt auf die Verstärkung der Vereinten Nationen und von internationalen Abkommen auf militärische Macht zu setzen. Zudem würde dieser Schritt die Bereitschaft anderer Regierungen fördern, Atomwaffen zu entwickeln oder zu erwerben. Dann kann man von einem neuen, aber weitaus unübersichtlicheren Rüstungswettlauf als zur Zeit des Kalten Krieges ausgehen. Ein verstärkter Run auf Massenvernichtungswaffen zur Abschreckung der mit imperialer Geste auftretenden Supermacht wäre die Folge, also just das, was die US-Regierung mit ihrer Aufrüstung und ihrem außenpolitischen Vorgehen angeblich verhindern will.

Die National Nuclear Security Administration (NNSA), die für die Entwicklung, den Bau und den Unterhalt von Nuklearwaffen zuständig ist, bestätigte die Authentizität des Dokuments, doch Anson Franklin vom NNSA suchte dessen Bedeutung gegenüber dem Guardian herabzuspielen: "Wir haben vom Verteidigungsministerium keinen Auftrag für irgendeine neue Nuklearwaffe, und wir haben keine Pläne für Atomwaffentests. In dem Paper wird über Was-wäre-wenn-Szenarios und sehr langfristige Planungen gesprochen."