Neue Atomwaffen sollen entwickelt werden
Wesentliche Auszüge des geheimen NPR-Berichts über die nukleare Strategie des Pentagon wurden nun im Web veröffentlicht
Das Web hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig es sein kann, um Informationen zu verbreiten, die traditionelle Medien nicht oder nur ungenügend an die Öffentlichkeit bringen. Kaum wurden von der LA Times in einem Bericht Einzelheiten über den geheimen Teil des Nuclear Posture Review Report bekannt, kann man jetzt wesentliche Teile des Berichts im Netz finden (Pentagon plant Nuklearkrieg und den Einsatz taktischer Nuklearwaffen).
John Pike, der ehemals bei der Federation of American Scientists (FAS) für Rüstung, Weltraum und Aufklärung zuständig war und seit 2000 die Website Global Security aufbaut, ist in den Besitz des Dokuments gelangt und hat jetzt große Auszüge ins Netz gestellt.
Präsident George W. Bush hatte nach dem Bekanntwerden des Berichts sich eindeutig zur Anwendung von Nuklearwaffen in bestimmten Fällen geäußert. Um den Frieden zu bewahren, sei die nukleare Abschreckung weiterhin vonnöten. Das sei auch keine neue Haltung, sondern immer schon die Einstellung der US-Regierung gewesen:
"Wir wollen allen Staaten sehr deutlich zu erkennen geben, dass sie nicht die USA bedrohen oder Massenvernichtungswaffen gegen uns oder unsere Alliierten oder Freunde einsetzen dürfen."
Die Option, Nuklearwaffen nicht nur gegenüber einem Feind einzusetzen, der ebenfalls über Kernwaffen verfügt, sondern sie auch im Fall einer Bedrohung oder eines Angriffs mit anderen Massenvernichtungswaffen verwenden zu können, wurde bereits unter der Regierung von Bush. sen. am Ende des Kalten Kriegs verlangt. Auch damals hatte man gleichzeitig Abrüstungsverhandlungen befürwortet und nach einer neuen Strategie für die Abschreckung und den Einsatz von Atomwaffen gesucht. Aus dieser Zeit stammen auch die Ideen, neue Kernwaffen mit geringerer Sprengkraft zu bauen, um diese bei regionalen Konflikten etwa zur Zerstörung von unterirdischen Bunkeranlagen und/oder von Lagern mit biologischen, chemischen oder nuklearen Waffen einzusetzen (ausführlich bereits in Mini-Nukes gegen Schurkenstaaten).
In einer trickreichen Umgehung des Atomwaffentestabkommens, der von der US-Regierung zwar unterschrieben, aber schließlich nicht ratifiziert wurde, allerdings - wie so oft - freiwillig, also ohne Verpflichtung, eingehalten werden sollte, wurde ab 1996 eine solche nukleare "bunker buster" Bombe entwickelt: die B61-11. Da der Sprengkopf einfach von einem älteren Modell übernommen werden konnte, mussten auch keine Tests durchgeführt werden und galt die Bombe nur als Modifikation. Just darauf hatte sich auch derUS-Außenminister wieder berufen, der versicherte, der NPR-Bericht sei lediglich eine normale sicherheitsstrategische Überlegung, aber keine Planung, und der auch beruhigend beteuerte, es würden keine neuen Atomwaffen gebaut:
"There is no new design out there or new nuclear weapon about to be commissioned into production that would require testing. We remain committed to a moratorium on testing. Even though we are not in the CTBT (Comprehensive Test Ban Treaty), the president remains committed to a moratorium on testing."
Gut wäre es aber, wenn die Länder auf dieser Erde wüssten, dass die USA und deren Präsident gegebenenfalls mit allen Mitteln gegen Feinde vorgehen können:
"For those nations that are developing these kinds of weapons of mass destruction, it does not seem to us to be a bad thing for them to look out from their little countries and their little capitals and see a United States that has a full range of options, and an American president that has a full range of options available to him to deter, in the first instance, and to defend the United States of America, the American people, our way of life, and our friends and allies."
Wirklich Neues geht aus den jetzt veröffentlichten Auszügen nicht hervor. Klar wird nur noch einmal bestätigt, dass Nuklearwaffen nicht mehr nur letztes Verteidigungsmittel sein sollen, sondern in eine Angriffs- und Verteidigungsstrategie eingebunden werden, in der traditionelle und nukleare Waffen kombiniert werden. Das ist ein Schritt, die Einsatzschwelle von Nuklearwaffen erheblich zu senken. Überdies sollen Nuklearwaffen nun auch dazu dienen, Feinde abzuschrecken, "militärische Programme oder Operationen auszuführen, die die US-Interessen oder die ihrer Alliierten oder Freunde bedrohen können". Damit ließen sich Atomwaffen fast unbegrenzt einsetzen.
"Composed of both non-nuclear systems and nuclear weapons, the strike element of the New Triad can provide greater flexibility in the design and conduct of military campaigns to defeat opponents decisively. Non-nuclear strike capabilities may be particularly useful to limit collateral damage and conflict escalation. Nuclear weapons could be employed against targets able to withstand non-nuclear attack, (for example, deep underground bunkers or bio-weapon facilities)."
Deutlich wird auch nahegelegt, dass die alten Atomwaffen aus dem Kalten Krieg nicht mehr für die Konflikte der Gegenwart geeignet sein könnten. Es könne, so die vorsichtige Formulierung, die Notwendigkeit entstehen, "Teile der existierenden Nuklearwaffen zu modifizieren, zu erneuern oder zu ersetzen oder Konzepte zu entwickeln, um Nuklearwaffen zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Nation besser entsprechen". Empfohlen wird unter anderem ausdrücklich, dass das Pentagon ein Programm auflegen soll, um unterirdische Anlagen (Hard and Deeply-Buried Targets) besser erkennen und zerstören zu können. Überdies müssten Möglichkeiten entwickelt werden, mehrere Ziele mit einer Rakete zu treffen, ein sicheres digitales Netzwerk zur Steuerung müsse geschaffen und kleine Bomben sowie eine unbemannte Kampfdrohne sollten entwickelt werden. Das mag dann wohl bedeuten, dass auch von unbemannten und ferngesteuerten Flugzeugen kleine Nuklearwaffen abgefeuert werden sollen.
"Es müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden, um neue Bedrohungen wie geschützte und tief unter der Erdoberfläche liegende Ziele zu zerstören, mobile und relozierbare Ziele zu finden und anzugreifen, chemische oder biologische Wirkstoffe zu zerstören und die Genauigkeit zu erhöhen sowie den Kollateralschaden zu begrenzen."
Die Entwicklung dieser Möglichkeiten, die umfangreiche Forschungsarbeiten beinhaltet und schnell vorankommen muss, um den Gefahren rechtzeitig zu begegnen, wird als "zwingend" bezeichnet, wenn man die neue Triade realisieren will. Und deren wichtigstes "Bein" ist die Verfügbarkeit von "nuklearen und nicht-nuklearen Angriffswaffen".