Pentagon plant Nuklearkrieg und den Einsatz taktischer Nuklearwaffen

Nach einem bekannt gewordenen Geheimbericht sollen Atomwaffen auch im Nahost-Konflikt oder gegenüber Russland eingesetzt werden können

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Die Unterscheidung zwischen den Schurkenstaaten und den USA dürfte der US-Regierung nach dem Bekanntwerden der Pläne über den Einsatz von Nuklearwaffen in begrenzten Kriegssituationen schwieriger fallen. Überdies gibt das US-Verteidigungsministerium den Ländern nun auch noch praktisch eine Legitimation, zur Selbstverteidigung gegenüber einem Angriff durch die USA Nuklearwaffen besitzen zu müssen.

Atombombentest in Nevada: Teapot, 1955. Foto: FAS

Verteidigungsexperte William Arkin, der für die Los Angeles Times schreibt, hat angeblich einen Geheimbericht zugespielt bekommen, den das Pentagon einem Ausschuss des Kongresses vorgestellt hat. Unterschrieben wurde der Bericht von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Gefordert wird in Nuclear Posture Review (NPR), so der Times-Artikel nicht nur, dass die USA sich auf den Einsatz von Nuklearwaffen gegen bestimmte Länder vorbereiten müssen, sondern dass auch kleinere Nuklearwaffen für den Einsatz in begrenzten Kriegen entwickelt werden müssten.

Zu den Ländern, die explizit in dem Bericht genannt werden, gehören nicht nur die Staaten der "Achse des Bösen" (Iran, Irak, Nordkorea), sondern auch weitere Schurkenstaaten (Libyen und Syrien) sowie China und Russland. Gerade die Beziehungen zu Russland werden dadurch sicherlich nicht gerade gefördert werden, auch wenn in letzter Zeit durch den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus eine größere Nähe entstanden ist. Umstritten war jedoch weiterhin die Absicht der USA, eine Raketenabwehrschild aufzubauen und deswegen den ABM-Vertrag aufzukündigen. Zwar hatten Russland und USA vereinbart, die Zahl der Nuklearwaffen zu reduzieren, doch die US-Regierung wollte, was sich jetzt verstehen lässt, dazu kein verbindliches Abkommen eingehen und zudem die Sprengköpfe nicht endgültig vernichten, sondern nur lagern (Einlenken der US-Regierung?). Die Befürchtungen, dass die USA mit dem neuen Strategiekonzept letztlich das Risiko einen nuklearen Kriegs vergrößern, dürften sich jetzt endgültig bestätigt haben, nachdem klar geworden ist, wie sehr die US-Regierung mit dem Feuer in buchstäblichem Sinne spielt.

Natürlich scheint es so zu sein, dass entweder im Kongress oder im Pentagon das Verfolgen dieser Strategie nicht nur auf Einverständnis stößt und deswegen der Bericht an die Presse weiter gegeben wurde. Was bereits bei dem umstrittenen Office for Strategic Influence geklappt zu haben scheint, könnte sich auch hier einstellen, nämlich dass eine breite öffentliche Kritik an den nuklearen Aufrüstungs- und Angriffsplänen der US-Regierung entsteht, wodurch diese ihre Pläne noch einmal überdenken müsste - oder sie womöglich nur noch heimlicher verfolgt (Rumsfeld: Pentagon lügt nicht).

Die US-Regierung hat schon seit der Wahl von George Bush gezeigt, dass die Supermacht USA frei von allen internationalen Abkommen handeln können will - und als vom Schicksal erwählte Vorbildnation dies auch legitim machen darf. Die Kenntnis der Pläne, auch in regionalen Konflikten Nuklearwaffen einsetzen zu wollen, wird jedenfalls alle Bemühungen der UN, die Verbreitung der Nuklearwaffen zu verhindern, nachhaltig schädigen. Selbst von der UN beauftragte Kontrollen im Irak, um nach Massenvernichtungswaffen zu suchen, dürften kaum noch wirklich vor der Weltgemeinschaft zu begründen sein, wenn die USA selbst weiterhin aufrüsten.

Natürlich wird mit diesem Bericht nur offenkundig, was das Militär sich vermutlich schon lange als Option offen lassen wollte. Besonders der Einsatz kleinerer Nuklearwaffen unterläuft die bislang geltende Abschreckungsdoktrin nachhaltig, zumal die US-Regierung damit auch zugibt, Nuklearwaffen möglicherweise auch gegen Staaten einsetzen zu wollen, die selbst über keine Atombomben verfügen. So sollen sie möglicherweise in Reaktion auf den Einsatz von chemischen oder biologischen Angriffen eingesetzt werden, aber auch ganz allgemein bei "überraschenden militärischen Entwicklungen".

Nach dem Bericht müssten sich die USA darauf vorbereiten, Nuklearwaffen im arabisch-israelischen Konflikt einzusetzen, aber auch in einem möglichen Krieg zwischen China und Taiwan oder bei einem Angriff Nordkoreas auf Südkorea. Zwar wird gesagt, dass Russland offiziell kein "Feind" mehr sei, aber die 6.000 noch vorhandenen Nuklearsprengköpfe und die 10.000 kleineren Nuklearwaffen würden weiterhin ein Sicherheitsproblem darstellen.

Wie die Times festhält, hatte die US-Regierung besonders nach dem Beginn des "Kriegs gegen den internationalen Terrorismus" kund getan, dass die Sicherheitsstrategie nicht mehr entscheidend auf der Rolle von Nuklearwaffen und der atomaren Abschreckung beruhe, sondern sich stärker auf asymmetrische Bedrohungen ausrichte (Ist der von der US-Regierung geplante Raketenabwehrschild Unsinn?). Zwar wurde von einzelnen Pentagon-Angehörigen immer wieder betont, dass ein Einsatz von kleineren taktischen Nuklearwaffen, beispielsweise zur Zerstörung von unterirdischen Bunkern, nützlich sein könnte, doch offiziell übte man aus guten Gründen Zurückhaltung. Der Bericht scheint jedoch unmissverständlich die Entwicklung von nuklearen "Bunker Busting" Bomben sowie von kleinen Nuklearwaffen zu fordern, die einen möglichst geringen "Kollateralschaden" mit sich bringen. Dadurch würde jede noch existierende Abschreckungsschwelle unterlaufen.

Neben dem Ausbau der Nuklearstrategie oder der Integration von Nuklearwaffen in die allgemeine Kriegstrategie wird in dem Bericht natürlich auch die Verbesserung der Satelliten, der Aufklärung und der Kommunikation gefordert. Wie Arkin sagt, geht es dem Pentagon vor allem auch um den Ausbau der "Informationsoperationen" oder des Cyberkriegs. Den Geheimdiensten fehlen "notwendige Daten über die meisten lokalen Netze und über die anderen Befehls- und Konstrollsysteme der Gegner". Wichtig sei es, besser feindliche Computernetzwerke "ausbeuten" und den Cyberkrieg in die Kriegführung mit Nuklearwaffen zu integrieren, um die Treffgenauigkeit zu erhöhen und die Kampfsituation besser erfassen zu können.

Zentral für NPR scheint das Konzept der "Neuen Triade" zu sein. Dabei sollen die Offensivmittel (die nuklearen und konventionellen Waffen) durch die "aktiven und passiven Verteidigungsmittel" (wie das Raketenabwehrschild) und einer flexiblen "Verteidigungsinfrastruktur" erweitert werden. Für ein neues Angriffssystem werden so etwa umgebaute Trident-U-Boote, unbemannte Kampfdrohen und von Flugzeugen abfeuerbare Cruise Missiles gewünscht.

Mögliche "dirty bombs" oder asymmetrische Angriffe mit Nuklearwaffen durch Terroristen werden angesichts der Pläne des Pentagon, das im Verein mit Bush weiterhin auf Krieg setzt, zu unbedeutenden Risiken. Durch einen unbedachten Einsatz von Atomwaffen wird die Gefahr eines nuklearen Schlagabtausches vergrößert, aber auch der Einsatz anderer Massenvernichtungswaffen leichter möglich werden. Dass die US-Regierung angesichts der eigenen Pläne seit dem 11.9. eine Schattenregierung in atomsicheren Bunkern hält, gewinnt durch die bekannt gewordenen Pläne womöglich eine neue Dimension (Die geheime amerikanische Schattenregierung). Die "Weltuntergangsuhr" muss nun ganz kurz vor 12 Uhr Mitternacht gestellt werden (Die Toten der Atomwaffentests des Kalten Kriegs).

Dass diese Pläne bekannt wurden und nun öffentlich diskutiert werden können, weist wieder einmal darauf hin, wie wichtig eine freie Presse als Korrektiv der politischen und militärischen Macht ist. Und es weist darauf hin, dass in den USA die Zurückhaltung der Medien gegenüber der US-Regierung zu sinken scheint. Das gibt zumindest Hoffnung, dass die den Weltfrieden gefährdenden Absichten der Bush-Regierung doch durch Aufklärung und politische Opposition in Zaum gehalten werden können. Allerdings zielen Informationsoperationen, wie sie für einen militärischen Konflikt entwickelt werden, immer auch darauf, die Öffentlichkeit gezielt durch Informationen oder durch die Behinderung des freien Informationsflusses beeinflussen zu können. Es sind eben nicht nur neue Nuklearwaffen, sondern auch Bestrebungen, wie sie mit der Schaffung des Office for Strategic Influence der breiten Öffentlichkeit deutlich wurden, die zu den Gefährdungen des Weltfriedens führen können.