Die geheime amerikanische Schattenregierung

Seit dem 11.9. befindet sich eine Ersatzregierung in atomsicheren Bunkern, doch ob sie überhaupt rechtmäßig im Notfall hätte regieren können, ist unbekannt

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Gestern wurde durch die Washington Post bekannt, dass die US-Regierung eine Schattenregierung mit hohen Beamten aus den verschiedenen Ministerien für den Notfall seit September in atomsichere Bunkeranlagen etabliert hat. Von der Maßnahme, bei der die Regierungsangehörigen angeblich auf Dienstreise waren, wurden weder Senat noch Kongress in Kenntnis gesetzt. Möglicherweise wäre die Ersatzregierung daher gar nicht demokratisch legitimiert gewesen.

Obgleich sich außer Gerüchten bislang kein Hinweis hat finden lassen, dass Usama bin Ladin und die al-Qaida über Nuklearwaffen oder Material verfügten, dass zur Herstellung solcher Waffen notwendig ist, hatte die US-Regierung, wie Präsident Bush jetzt bestätigte, noch am 11. September über 100 hohe Regierungsangestellte aus allen Ministerien in zwei atomsichere Bunker an der Ostküste geschickt, um bei Gefahr die "Kontinuität der Regierung" zu garantieren. Möglicherweise hielt sich in diesen Anlagen auch Vizepräsident Cheney lange Zeit auf. Auch nachdem keine neuen Hinweise auf den Besitz solcher Waffen oder gar auf mögliche Anschläge mit ihnen auftauchten, arbeitet diese Sicherheits- oder Ersatzregierung, die 24 Stunden am Tag im Einsatz ist, noch immer in den Bunkeranlagen, allerdings findet seit Ende Oktober durchschnittlich alle 90 Tage eine Rotation der Mitglieder statt, wie die Washington Post berichtete. Überdies würde die Zahl der Menschen je nach aktuellen Informationen der Geheimdienste fluktuieren.

Die Angst bei der US-Regierung vor weiteren und gefährlicheren Anschlägen nach dem 11.9. scheint offenbar groß gewesen zu sein. Bekanntlich war Präsident Bush für einige Zeit verschwunden und Vizepräsident lebte einige Monate lang in einer sicheren Anlage. Nur ein Angriff mit einer Atombombe auf Washington hätte die US-Regierung daran hindern können, das Land weiter zu regieren. Und auf diese Möglichkeit hatte man sich eingestellt, indem man auf Pläne aus dem Kalten Krieg zurück gegriffen hat, die allerdings nicht mit der Möglichkeit von terroristischen Anschlägen rechneten, sondern mit dem Angriff durch Langstreckenraketen.

Die Kommandozentralen des US-Militärs haben natürlich schon lange zahlreiche sichere Anlagen unter der Erde, die Tag und Nacht betrieben werden. Für die Regierung wurden solche Bunkeranlagen wie überall in den westlichen Ländern und im ehemaligen Ostblock eingerichtet, aber praktisch niemals gebraucht. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des atomaren Wettrüstens wurden sie offenbar auch nicht mehr auf Funktionstüchtigkeit regelmäßig untersucht.

Die beiden Bunkeranlagen, in denen die Schattenregierung haust, verfügten zwar offenbar über ausreichende Vorräte an Lebensmitteln, Trinkwasser oder Medizin, auch die Stromversorgung machte keine Schwierigkeiten. Aber technisch schien einiges im Argen zu sein. So fanden sich Computer in einer Anlage, die "mehrere Generationen" alt waren und mit denen man nicht auf die Datenbanken der Regierung zugreifen konnte. Überdies gab es zu wenige Telefonverbindungen und zu wenige geschützte Audio- und Videoverbindungen.

"We're doing everything in our power to protect the American people. But I will tell you, there are people still in this world who want to harm America, and we're going to chase them down. And it's going to take a while. But I am a determined person. As I told the American people, I'm not going to relent. I believe we've been called by history to lead the world. I believe this great, strong, compassionate country has been given a unique moment -- and I'm not going to miss the moment -- by leading the world to a more freedom-loving world. And the American people understand that and they're solid behind this administration's efforts to defend freedom." - Präsident Bush am 1. März auf die Frage, ob die Schattenregierung legitimiert ist.

Die Maßnahmen, die zur Einrichtung einer Regierung für den Notfall getroffen werden sollen, stammen noch von Ronald Reagan aus den 80er Jahren. Präsident Bush hatte am 8. 10. 2001 mit der Executive Order 13228, aufgrund derer das Office for Homeland Security geschaffen wurde, diesem auch die Aufgabe übertragen, die Pläne und Vorbereitungen für eine Kontinuität der Regierung im Falle eines terroristischen Angriffs zu überprüfen.

Wie sich nach Bekanntwerden der seit Monaten bestehenden Schattenregierung herausstellte, waren jedoch Kongress und Senat über diese geheime Maßnahme nicht informiert. Unklar ist, ob es irgendwelche gesetzlichen Grundlagen gibt, die Präsident Bush die Geheimhaltung einer solchen Maßnahme gegenüber dem Parlament in Notfällen gestattet. Die Frage, so die Washington Post, ist unabhängig vom Wissen oder Nichtwissen der Legislative, wie sich die Schattenregierung im Falle eines Einspringens für das ausgefallene Weiße Haus gegenüber dem Kongress hätte legitimieren können. Präsident Bush sagte lediglich, dass er "als Präsident die Verpflichtung" gehabt hätte, für die Weiterexistenz der Regierung zu sorgen, wenn Washington erfolgreich angegriffen werden sollt, und dass es die Gefahr eines Angriffs mit nuklearen Waffen durch al-Qaida gegeben habe.

"Ich nehme die Drohungen, die wir von al-Qaida-Mördern und Terroristen erhalten, noch immer sehr ernst." Man werde alles tun. so Bush weiter. "was in unserer Macht steht, um das amerikanische Volk zu beschützen."

Der Mehrheitsführer des Senats, der Demokrat Thomas Daschle, gab bekannt, dass er nichts von der Schattenregierung wusste. Man habe für Senat und Kongress ebenfalls Vorsichtsmaßnahmen getroffen, so dass im Fall einer Gefahr die Arbeit des Parlaments an einem anderen Ort weiter geführt werden könnte.

Daschle war unter Beschuss durch die Republikaner geraten, nachdem er gesagt hatte, dass man beispielsweise den Krieg gegen den Terrorismus möglicherweise solange nicht als erfolgreich bezeichnen könne, solange Usama bin Ladin oder Mohammed Omar nicht gefasst sind. Verabscheuungswürdig seien solche Bemerkungen, sagte der Republikaner Tom DeLay, er wolle das Land spalten, warf ihm Trent Lott vor. Das zeigt, wie gespannt die Situation noch immer in den USA ist und auch leise Kritik als unpatriotisch geschmäht wird. Daschle entgegnete, es müsse Kriterien für die Beurteilung des Vorgehens geben, überdies habe das Parlament die verfassungsgemäße Verpflichtung, Fragen zu stellen. Bislang standen die demokratischen Abgeordneten hinter dem Präsidenten und seinem Krieg und konkurrierten mit den Republikanern, wer patriotischer ist. Mit der ziemlich planlos wirkenden Weiterführung und Ausweitung des Kriegs sowie der Rede von der "Achse des Bösen" dürfte die Kritik aber stärker werden, zumal wenn Fragen, die durchaus "konstruktiv" in Sachen Krieg sind, derart brüsk abgeschmettert werden.