Assads Sturz ist kein rein russisches Phänomen

Feiern nach dem Sturz von Assad. Bild: Mohammad Bash/ Shutterstock.com

Das syrische Assad-Regime ist in Rekordzeit zu Staub zerfallen. Während die Ursache oft nur in der nachlassenden Militärhilfe Russlands und Irans gesucht wird, gibt es andere wichtige Faktoren.

"Wir stehen vor der großen Aufgabe, unser Land zu befreien. Von den Terroristen und von den Türken und Amerikanern, die sie dulden." Diese scheinbar heroischen Worte sprach Baschar-al-Assad nach dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2021, bei denen er laut offiziellem Ergebnis die Zustimmung von 95 Prozent der Bevölkerung, also 13,5 Millionen Syrern, erhielt. Assad sah sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich als Triumphator gegenüber anderen arabischen Diktatoren, die bereits 2011 ihre Macht verloren hatten.

Tatsächlich war es unter anderem der tatkräftigen Unterstützung Russlands und des Irans zu verdanken, dass er bis Anfang der 2020er-Jahre den größten Teil des Landes wieder unter seine Kontrolle bringen konnte. Auch die internationale Isolation schien er überwinden zu können. 2023 wurde er zum Gipfel der Arabischen Liga eingeladen, von dem Syrien 2011 wegen der beispiellosen Brutalität gegen Demonstranten ausgeschlossen worden war.

Einen Dialog mit der Opposition lehnte Assad ab. Für ihn war der Bürgerkrieg Vergangenheit und die Aufgabe, die "Reste" der Rebellion zu beseitigen. So blieb die extrem polarisierte Situation innerhalb Syriens auch in ruhigeren Phasen an der Front erhalten.

Assads Selbstüberschätzung in einem zerrütteten Land

Assad überschätzte dabei die Bedeutung der Lage in Syrien für seine Partner Russland und Iran, die inzwischen auch für Teheran keine Priorität mehr hatte. Schon gar nicht für Russland, das sich in den vergangenen zwei Jahren auf den Krieg in der Ukraine konzentrierte und große Einheiten aus Syrien an die ukrainische Front verlegte.

Der Kreml versuchte, mit weniger militärischer Präsenz eine stärker politische Rolle zu spielen. So fand im Dezember 2022 in der russischen Hauptstadt das erste Treffen der Verteidigungsminister der Türkei und Syriens seit elf Jahren statt.

Ungeachtet der Überzeugungen des Kremls vertrat Assad bei dem Treffen mit Erdoğan eine harte Haltung und entschärfte die Situation nie durch Kompromissbereitschaft.

Während sich der Diktator in scheinbar neuer Stärke unnachgiebig zeigte, blieb sein Land von 13 Jahren syrischem Bürgerkrieg gezeichnet. Mehr als 400.000 Menschen wurden getötet, mehr als die Hälfte der Bevölkerung floh aus ihrer Heimat: 7,2 Millionen wurden zu Binnenflüchtlingen, 6,7 Millionen gingen ins Ausland.

Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme haben sich verschärft, das Pro-Kopf-BIP ist in den Jahren des Konflikts von 4.000 US-Dollar auf 421 US-Dollar gesunken, der Wechselkurs des syrischen Pfunds gegenüber dem Dollar hat sich etwa verhundertfacht.

70 Prozent der Syrer leben heute in extremer Armut. Selbst bei Bevölkerungsgruppen, die Assad lange Zeit unterstützt hatten, ist in der langen Phase des Krieges jegliche Begeisterung für den Staatschef erloschen. Die Stabilität der Herrschaft im syrischen Staatsgebiet war nur noch eine dünne Oberfläche, ein regelrechtes Kartenhaus.

Selbst in der eigenen Staatsverwaltung seien Menschen in unmittelbare Armut geraten. Lehrer und andere Staatsbedienstete hätten umgerechnet noch ein Einkommen von 20 bis 50 Dollar im Monat gehabt, sagte der Syrien-Experte André Bank der Münchner Abendzeitung. So habe eine regelrechte Erosion des Gesundheits- und Schulsystems stattgefunden.

Herrschaft einer Minderheit und Schwäche der Armee

Ein weiteres Ärgernis für viele Syrer: Assad und die gesamte herrschende Elite des Landes sind Alawiten, eine religiöse Minderheit, die nur etwa 12 Prozent der syrischen Bevölkerung ausmacht. Die Mehrheit der Syrer sind dagegen Sunniten, die auch die Basis der bewaffneten Opposition bilden. All diese Probleme und Faktoren haben in den vergangenen Jahren den Zusammenhang zwischen dem Überleben des Regimes und des Landes zerstört.

Eine wichtige Machtbasis Assads in Kriegszeiten waren auch die syrischen Streitkräfte. Diese waren zwar nominell groß und z.B. mit großen Panzerverbänden stark bewaffnet. Allerdings war die Moral der Truppe bis 2024 völlig am Boden. Soldzahlungen blieben monatelang aus, und in diesem Gesamtzustand ist die Hauptursache dafür zu suchen, dass sie trotz militärischer Möglichkeiten den vorrückenden Rebellen kaum aktiven Widerstand entgegensetzten.

Im Gegensatz zur bewaffneten Opposition baute das Assad-Regime seine Armee auch während des Krieges nicht aus. Russland bot dem syrischen Staatschef mehrfach an, die Streitkräfte zu modernisieren. Doch dieser schlug die Ratschläge in den Wind.

Der Zusammenbruch von Assads Armee und Regierung vollzog sich so schnell, dass jede Hilfe von außen zu spät gekommen wäre. Ohne eine motivierte, einheimische Basis im Kriegsland selbst kann auch massive ausländische Unterstützung keinen dauerhaften Machterhalt garantieren. Diese Lektion musste Russland ebenso lernen wie die USA im Vietnamkrieg.

Motivierte Rebellen mit türkischer Hilfe

An Motivation mangelte es den meist islamistisch orientierten Rebelleneinheiten hingegen nicht. Die wichtigste Kraft bei der Machtübernahme in Syrien war die international geächtete Dschihadistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS).

Ihr Anführer Abu Muhammad al-Dschaulani zählte sich in der Vergangenheit zu al-Qaida und unterhielt Kontakte zum Islamischen Staat, von dem er sich jedoch vor Kurzem abgespalten hat. Bereits in Idlib trat er als moderater Islamist auf und betonte, dass seine Gruppe religiöse und ethnische Minderheiten toleriere, darunter auch syrische Christen.

Neben der HTS gibt es noch weitere Gruppen in den Reihen der Rebellen. Etwa die sogenannte Syrische Nationalarmee (SNA), die trotz ihres Namens eher türkisch orientiert ist und unter türkischer Beteiligung entstand.

Inwieweit die Türkei auch mit der HTS kooperiert, ist eine offene Frage – für die SNA ist militärische und logistische Unterstützung aus Ankara belegt. Während der Offensive setzten Rebelleneinheiten Nachtsichtgeräte und Drohnen ein, darunter auch solche aus türkischer Produktion. Assads Geheimdienst hat die Bedeutung dieser Unterstützung massiv unterschätzt.

Statt Russland bietet sich nun die Türkei als Vermittler zwischen den Rebellen und der Außenwelt an. Erdoğan hat in den vergangenen Tagen viel Sympathie für das Vorgehen der Militanten gezeigt. "Idlib, Hama, Homs und natürlich das Endziel Damaskus. Wir hoffen, dass dieser Durchmarsch in Syrien ohne Zwischenfälle und Probleme verläuft", sagte der türkische Präsident zwei Tage vor Assads Flucht aus dem Land. Ankara werde die Lücke in der internationalen Präsenz füllen, die durch den Rückzug Irans und Russlands entstanden sei.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan und der Direktor des türkischen Geheimdienstes, Ibrahim Kalin, sind bereits am Donnerstag in Damaskus eingetroffen. Kalin sprach im Rahmen seines Besuchs das Gebet in der traditionsreichen Umayyaden-Moschee in der syrischen Hauptstadt. Von solchen Auftritten hätten Erdoğan und sein Establishment vor zehn Jahren nur träumen können. Jetzt werden für ihn Träume wahr.

Vom Rückzug Teherans profitiert auch Israel, das sich nun weniger Sorgen um eine iranische Präsenz im Nachbarland machen muss. Dieser nutzte Syrien auch als Transitland für Waffentransporte an die mit ihm verbündete Hisbollah. Dennoch könnte Israel zum kollektiven Feind aller bisherigen Bürgerkriegsparteien werden – allein schon wegen der israelisch besetzten Golanhöhen. Der HTS-Führer selbst wurde in diesem israelisch besetzten Gebiet geboren.