Atombomben im Weltall
Die Raumforschung startete rein militärisch
Die Geschichte der Raumfahrt: Erst wurden Satelliten, Affen und Hunde in den Weltraum geschossen, dann Menschen und dann wurde der Mond besucht? Nicht ganz. Die heutige Weltraumrakete ist eine militärische Entwicklung – und war eigentlich nur zum Bombenwerfen gedacht
"Nukes in Space" von Peter Kuran ist ein Dokumentarfilm, der sich nicht etwa, wie der ursprüngliche Titel "The Rainbow Bombs" (Die Regenbogenbomben) und seinen früheren Atombombentest-Dokumentarfilme (Bombenstimmung in 3D und Dolby Digital, Das geheime Hollywood-Filmstudio) vermuten lassen, mit spektakulären und dekorativen Atombombenexplosionen beschäftigt, sondern mit der Geschichte der im Weltraum gezündeten Atombomben und der Raketentechnik allgemein. Er zeigt, dass die Geschichte der Raumfahrt von ihrem Ursprung her doch eine sehr militärische ist.
Die ersten Raketenversuchen waren rein privat: In Russland startete Konstantin E. Ziolowskij, der von 1857 bis 1935 lebte, 1903 die erste Rakete mit flüssigem Treibstoff. Der Amerikaner Robert H. Goddard, der von 1882 bis 1945 lebte, baute 1926 eine drei Meter lange Rakete, die immerhin 12,5 Meter hoch flog.
In Deutschland wurde die Raketenentwicklung dann rein militärisch: An Raketen als Waffe hatte beim Versailler Vertrag nämlich niemand gedacht, also war Deutschland ihre Herstellung nicht verboten. Ab 1923 entwickelt Wernher von Braun teils erfolgreiche Raketen, zunächst in Kummersdorf West, ab 1937 in Peenemünde.
Zwar träumte Wernher von Braun von der Besiedelung des Weltraums, doch ging es erst einmal um die Zerstörung der Erde: Nach der Flugdrohne V1 entwickelten von Braun und sein Team in Peenemünde 1944 die militärisch einsetzbare V2-Rakete. Diese schaffte den Weg von Deutschland nach Belgien oder England mit über 200 Kilometern Entfernung und flog mit 3000 km/h so schnell, dass man sie nicht mehr so einfach abschießen konnte wie die V1. 5000 Tote waren die Folge.
Das Team um von Braun und die V2 fallen mit Kriegsende an die USA. Mit der "Operation Paperclip" im Militär-Testgelände Whitesands machen sie weiter. Einige der V2-Raketen konnten sich jedoch auch die Russen sichern und ab 1950 hat Russland einen V2-Nachbau, die R1. Für die Wunderwaffe jener Zeit, die Atombombe, denkt man in Amerika jedoch im Gegensatz zu Russland nicht primär an Raketen, sondern setzt auf bemannte Bomber, um die Atombomben ins Ziel zu bringen. Angesichts der ebenfalls 1950 entstandenen ersten russischen Atombombe will die USA zwar zumindest eine 750 Kilometer reichende Rakete, eine IRBM (Intermediate Range Ballistic Missile – Mittelstreckenrakete), doch die Redstone-Rakete schafft gerade ein Drittel hiervon.
Dies ändert der "Sputnik-Schock": Über den erfolgreichen Start des ersten Satelliten Sputnik am 4.Oktober 1957 durch die Russen war die amerikanische Regierung gar nicht so sehr deshalb schockiert, weil da nun ein piepsender antennenbestückter Fußball um die Erde kreiste, sondern weil eine Rakete, die eine Satellitenumlaufbahn erreichen und eine Nutzlast dort aussetzen konnten, auch geeignet war, eine Atombombe von Russland nach Amerika zu schießen und dies in einem Tempo, bei dem die Bomber nicht mehr konkurrenzfähig waren: Während die USA mit "Honest John" nur Kurzstreckenraketen erfolgreich entwickelt hatten, besaßen die Russen bereits die ICBM (Intercontinental Ballistic Missile), die Interkontinentalrakete. Diese schaffte 10.000 Kilometer in der Stunde und war um Größenordnungen schneller als jedes Flugzeug. Das gesamte zu diesem Zeitpunkt existierende Verteidigungssystem der USA war obsolet geworden, denn es war auf das Abfangen angreifender Bomber ausgelegt.
Nun ließ Eisenhower die Atlas-Raketen entwickeln, doch diese explodierten ständig. Mit einer Atomwaffe an Bord führt dies mindestens zu radioaktiver Verseuchung des Startgebiets, wenn nicht gar zu einer "Fehlzündung", also einer Atomexplosion im eigenen Land. Chrustschow hat demnach die überlegenen Waffen, die R7-Rakete kann bereits eine 5000 Kilo schwere und 5 Megatonnen TNT entsprechende russische Wasserstoff-Bombe tragen. Die großen Wasserstoff-Bomben wurden übrigens verwendet, weil die Raketen nur auf einige Kilometer genau ins Ziel trafen, nicht etwa, weil eine "normale" Atombombe nicht schlimm genug gewesen wäre. Die Amerikaner bauten später statt einer großen Bombe Mehrfachsprengköpfe mit mehreren kleinen Bomben ein, um denselben Effekt zu erzielen und dabei außerdem mögliche Anti-Raketensysteme (ABM – Anti Ballistic Missiles) der UDSSR auszuschalten.
Schließlich, nach dem Scheitern der Militärs, einen Satelliten ins All zu bringen, startet Wernher von Braun am 31. Januar 1958 mit einer Jupiter C-Rakete den Satelliten Explorer 1. Er entdeckt den Van-Allen-Gürtel, benannt nach dem Projektleiter Dr. James A. van Allen, der im Bereich von 700 bis 60.000 Kilometer von der Erde zu finden ist und in dem ionisierte Elementarteilchen (Protonen und Elektronen) die Erde umkreisen – was für Raumfahrer gefährliche Radioaktivität bedeutet.
Zwar ist gerade das "geophysikalische Jahr" ausgerufen worden und die neuen Erkenntnisse sollen eigentlich der Wissenschaft dienen, doch kaum hat man den Gürtel entdeckt, so denkt man auch schon über seinen militärischen Missbrauch nach: Nicholas Christofilos bringt die Idee auf, dass als Raketen-Abwehrsystem im Van-Allen-Gürtel gezündete Megatonnen-Wasserstoffbomben so hohe Strahlungswerte erzeugen sollen, dass anfliegende gegnerische Raketen und Satelliten zerstört werden.
Diese Idee wird auch umgehend ausgetestet. Man startet in der südatlantischen Anomalie – dort ist das Erdmagnetfeld besonders gering. Eine erste Rakete wird mit der Bombe 500 Kilometer hoch geschickt – die Atomexplosion legt den Kurzwellenverkehr lahm und erzeugt Nordlichter über Hawaii. Die Bombentestserien Hardtack im August 1958 von Johnston Island und Argus enthalten solche Weltraum-Bombentests. Die Wissenschaftler protestieren, doch es fällt nur die flapsige Bemerkung "Das wird den Van-Allen-Gürtel nicht beschädigen – sagt Dr. Van Allen". Erst am ersten Oktober 1958 startet der spätere Präsident Johnson auch die zivile wissenschaftliche Raumforschung mit der Gründung der NASA.
Währenddessen geht der kalte Krieg in seine schlimmste Phase: Es werden die "Atlas Coffin Launchers" aufgebaut, so genannt wegen ihrer Bauform (Coffin=Sarg, aus dem die Rakete wie ein Untoter entsteigt), nicht wegen der Wirkung der Bomben. Im Alarmfall werden die Atlas-Raketenalso aufgerichtet und startklar gemacht. Weiter wird an der Titan 1 gearbeitet, die erstmals von einem unterirdischen Silo startet, was das Aufrichten erspart und die Rakete gegen einen Gegenschlag besser schützt. Eine 3,8-Megatonnen-Wasserstoffbombe und die Titan 2 folgen. Ende 1961 haben die USA 57 Atlas-Raketen. Die Raketen R9 und R16 der Russen haben 9000 Kilometer Reichweite.
Alle Raketen werden aber mit flüssigem Treibstoff betrieben, was aufwendige Wartung und langsame und unzuverlässige (Explosionen!) Starts zur Folge hat. Es fliegen auch Raketen durch Lecks in ihrem Silo in die Luft. Die russischen Raketen können in 15 Minuten über den Pol kommen, also wird die Feststoffrakete "Minuteman" entwickelt, die direkt ohne Vorbereitung startklar ist.
Inzwischen macht die Aufklärungstechnik der Amerikaner Fortschritte: Im Sommer 1960 fotografiert der US-Spionagesatellit "Corona" erstmals UDSSR-Raketenbasen – und findet nur insgesamt sechs Raketen! Der vermutete große Raketen-Vorsprung der Russen existiert also überhaupt nicht, er war ein reiner Bluff beziehungsweise ein eher theoretischer Vorsprung. Chrustschow setzt sehr auf Abschreckung. Die Aufrüstung geht trotzdem in vollem Tempo weiter.
Nun machen auch die Russen Atombombentests im Weltraum. So wird dort beispielsweise eine Atombombe im All gezündet und dann eine zweite Rakete kurz danach durch den Explosionsort geschickt, um die Auswirkungen von mit Atombomben arbeitenden Abwehrsystemen zu testen. Da die USA nach diesen Tests befürchten, dass die Russen ein funktionierendes Raketenabwehrsystem haben könnten, entwickeln sie die Clusterbombe, die sich noch im Weltraum in mehrere einzelne, kleinere Sprengköpfe zerlegt, von denen eine Abwehrrakete nur noch einen erwischen würde. Die USA entwickeln ihrerseits das Nike-Suse-Abwehrsystem. Die Idee des Raketenabwehrschildes taucht also nicht erst mit den "Star-Wars"-Projekten der Reagan-Ära auf, allerdings hat kein amerikanisches Abwehrsystem für Interkontinentalraketen je funktioniert, zumal selbst ein 90prozentiger Abschusserfolg anfliegender Raketen in der Praxis völlig wertlos wäre.
Für die geplanten Raketenabwehrsysteme werden weitere Weltraumatombombentests angesetzt: Fünfmal höher als der Teak-Test von 1958 und deutlich stärker. Beim "Fishball Test" der "Operation Dominic" kommt es zu einem starken EMP (electromagnetic pulse) mit komplettem Ausfall von Kurzwellenfunk und Radar in der Region. Der Flughafen Honolulu muss den Betrieb einstellen.
Der nächste erfolgreiche Weltraumtest der "Operation Dominic" war "Starfish Prime". Die Bombe wurde am 9. Juli 1962 fast 800 Kilometer hoch im Van-Allen-Gürtel gezündet. Sie war ein großer militärischer Erfolg, was die Zerstörung von damals ohnehin noch nicht zahlreichen Satelliten betrifft: Die von ihr erzeugte zusätzliche Strahlung im Van-Allen-Gürtel führt dreieinhalb Tage später zum Ausfall eines britischen wissenschaftlichen Satelliten und eines Navigations- sowie eines Forschungssatellit der US-Navy. Auch der einen Tag später gestartete Telstar 1, der erste Kommunikationssatellit, der zwar noch mit Röhrentechnik sendet, aber in der Steuerung bereits Transistoren verwendet, erleidet von diesem und einem sowjetischen Weltraum-Atombombentest solche Strahlenschäden, dass er nach vier Monaten erstmals nicht mehr richtig funktioniert und nach sieben Monaten trotz etlicher Versuche, die ausgefallenen Baugruppen zu umgehen, endgültig aufgegeben werden muss. Urraca, der höchste und stärkste geplante Test, wird deshalb abgesagt: Die Militärs können sich gegen den Vorwurf, sie wollten "einfach eine Bombe werfen und mal schauen, was dann so passiert", nicht mehr verteidigen. Die Russen bitten nun auch um ein Ende der Tests, damit die im Van-Allen-Gürtel erzeugte erhöhte Strahlung ihre Kosmonauten nicht gefährdet. Die USA müssen sich auch selbst entscheiden, um ihre eigenen Raumfahrtpläne nicht zu sabotieren: Immerhin soll am 3. Oktober 1962 Mercury 8 starten.
Die Bezeichnung Starfish "Prime" bedeutet übrigens, dass es bereits der zweite Versuch war – der erste Start misslang. Noch schlimmer lief es beim "Bluegrill"-Test: Erst "Bluegrill Triple Prime" gelang – der vierte Start. Die Rakete des zweiten Starts explodierte dagegen sogar direkt auf der Startrampe und verseuchte Johnston Island mit dem verstreuten Plutonium der Atombombe. Deshalb findet Bluegrill, der die Testreihe starten sollte, erst im Oktober statt – mitten in den 13 Tagen der Kuba-Krise!
Beim Überfliegen der Insel mit Aufklärungsflugzeugen mit Fotografen am Bord entdecken die Amerikaner am 22. Oktober 1962 Mittelstreckenraketen auf Kuba, die sie natürlich noch wesentlich direkter bedrohen als die in Russland stationierten Interkontinentalraketen. Fidel Castro hatte die Raketenstationierung von den Russen akzeptiert, weil er den Amerikanern nach diversen Aktionen gegen ihn nicht mehr traut und Chrustschow kam diese Situation nur zu gelegen. Am 24. Oktober startet die amerikanische Schiffsblockade von Kuba und die Welt steht nahe am Abgrund – näher als man damals dachte, denn die Atomraketen auf Kuba waren als taktische Waffen konstruiert und haben nicht die bei strategischen Waffen übliche Absicherung durch Codes, die nur der Präsident übermitteln kann und ohne die kein Start möglich ist. Da die Amerikaner Kuba konventionell angreifen wollten wenn die Raketen nicht verschwinden, um diese auszuschalten, hätten die russischen Soldaten auf Kuba bei einer solchen Attacke als Gegenwehr direkt ohne Rücksprache mit dem Kreml den Atomkrieg starten können. Chrustschow war sich dieser Gefahr bewusst und zog deshalb schließlich die Raketen unter Castros Protest ab, während er sonst ja keine Drohung ausließ. (Die US-Atomraketen waren allerdings kein Stück besser, weil ihr Sicherheitscode bis 1977 fest auf Achtmal die Null eingestellt war).
Doch ausgerechnet mitten in dieser heiklen Phase wurde eifrig weiter getestet – jeder Raketenstart barg in diesen Tagen ja die Gefahr in sich, von den Frühwarnsystemen des Gegners für einen Angriff gehalten zu werden. So explodiert eine russische Marssonde kurz nach dem Start von Baikonur und die herunterstürzenden Trümmer werden vom US-Frühwarnsystem zunächst für einen russischen Raketenangriff gehalten. Ebenso starteten die Amerikaner eine Interkontinentalrakete vom Luftwaffenstützpunkt Vandenberg, an dem inzwischen auch echte, einsatzbereite Raketen stationiert waren – die Russen hätten also ebenfalls einen Angriff befürchten können. Ja sogar ein über einen Zaun eines Stützpunkts kletternder Bär löst dessen Alarmanlage aus, deren Signal sich beim Weiterreichen über die vernetzten Stützpunkte in der Bedeutung von "Einbruch/Sabotage" bis zu "Atomangriff" wandelt. Ein Start der Bomber kann gerade noch verhindert werden.
Am 25. Oktober wurde "Bluegrill Triple Prime" in 45 Kilometern Höhe gezündet, am 28. Oktober 1962 starten die Russen drei über 1500 Kilometer weit reichende Raketen von Kapustin Yar, die also auch einen Angriff bedeuten könnten, doch für einen weiteren Weltraum-Atombombentest bestimmt sind: Die erste Rakete zündet eine 200-Kilotonnen-Atombombe, die beiden anderen Raketen schießen dann durch die Explosionswolke, um deren Auswirkungen und damit die Wirksamkeit einsprechender Raketen-Abwehrsysteme zu testen.
Am 29. Oktober zieht Chrustschow die Raketen aus Kuba ab und am ersten November machen sowohl Amerika (Kingfish – 90 Kilometer hoch) als auch Russland nochmals einen Weltraum-Atombombentest. Am 4. November wird als letzter Weltraum-Test "Tightrope" 23 Kilometer über Johnson Island gezündet. Die Bombe ist stark genug, um selbst mit aufgesetzten Schutzbrillen zu blenden und die Soldaten am Boden eine starke Hitzewelle im Moment der Zündung spüren zu lassen – sie rennen in die Deckung der Unterstände, wie in Kurans Film auch zu sehen ist, obwohl es in diesem Moment dafür natürlich schon zu spät ist.
Peter Kuran hat auch Aufnahmen der Atomexplosionen aus seinen Dokumentarfilmen zu dem Spielfilm "13 Days" beigetragen, der sich auf andere, nicht dokumentarische Art mit der Kubakrise beschäftigt. Dort unterbrechen sie die Handlung jedoch eher irritierend, weil die Zuschauer gar nicht wissen, dass tatsächlich mitten in der Kubakrise Bombentests liefen.
Auch wenn das Testen von Atombomben im Weltraum und – was Amerika und Russland betrifft – auch generell in der Atmosphäre beendet ist, so ist es der kalte Krieg noch lange nicht. Beide Seiten bauen Tausende Atomwaffen. Auch an Raketenabwehrsystemen (ABM) wird weiter gearbeitet. 1975 ist das "Safeguard"-ABM für die Minuteman-Raketen nach acht Monaten endlich betriebsbereit. Da das Safeguard-Radar allerdings von einem Einsatz der Abwehrbomben selbst lahmgelegt würde, lässt der amerikanische Kongress es am nächsten Tag wieder abschalten. Es verbleibt ein ABM um Moskau als einziges existierendes Raketenabwehrsystem.
Ab Mitte der 70er-Jahre sind schließlich alle Raketenabwehrsysteme abgeschaltet. Unter Reagan werden in den USA 60 Milliarden für neue ABM-Entwicklungen ausgegeben, aber nicht ein Konzept erweist sich als brauchbar. Ein Vertrag zwischen den USA und Russland legt den Verzicht auf die Entwicklung weiterer derartige Systeme fest. Alle paar Jahre tauchen die alten Gedanken jedoch hartnäckig als Gespenster der Vergangenheit wieder auf (Alternativen zum Raketenabwehrschild).