Atomkraft? Wofür?
Die Energie- und Klimawochenschau: Von Energiesparmuffeln und billigem Strom sowie von Freak-Wetter in den USA und deutschem Waffenuran
Vertreter der deutschen Industrie jammern zwar, wie berichtet (Gesellschaftsvertrag? Oder doch eher Industriediktat?), gerne über vermeintlich hohe Strompreise, wobei hoch bei ihnen schon acht Cent pro Kilowattstunde heißt, aber Ahnung vom Verbrauch ihrer Unternehmen haben sie selten. Vermutlich kennen sie noch den Strom- und Kraftstoffpreis und die entsprechenden Bilanzposten, aber das war es denn auch schon.
Glaubt man Georg Honsel, der in der jüngsten Ausgabe der deutschsprachigen Technology Review über Energieeffizienz in der Industrie schreibt, haben die wenigsten Manager Ahnung davon, wo in ihrem Betrieb wie viel Energie verbraucht wird, geschweige denn, dass sie den Verbrauch beim Einkauf neuer Maschinen berücksichtigen würden. Dabei sei diese Ignoranz auch ökonomisch unsinnig. Bei Pumpen würden die Energiekosten über die ganze Lebensdauer immerhin 70 Prozent ausmachen, die Anschaffungskosten hingegen nur zwölf Prozent. Große Einsparungspotenziale gebe es unter anderem im Stand-by-Bereich und in der Regelung elektrischer Motoren. Das Problem scheint unter anderem darin zu bestehen, dass es an Mechanismen mangelt, die die entsprechenden Kosten der Maschinen sichtbar machen.
Reichlich Handlungsbedarf also für Regierung und Gesetzgeber, denn alleine bekommt es die Wirtschaft offensichtlich nicht hin. Schon Mitte der 1990er gab es die ersten Bekenntnisse der Industrielobby BuDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) zum Klimaschutz und Steigerung der Energieeffizienz, doch außer der Fortschreibung des jahrzehntelangen Trends zur relativen Abnahme des Energieeinsatzes pro Wirtschaftsleistung hat sich nicht viel getan. Viele Potenziale blieben bis heute ungenutzt.
Glaubt man den Sonntagsreden der Berliner Regierung, dann soll sich das ändern. Energiesparen sei wichtiger Bestandteil der Energiepolitik. In der Praxis sieht das allerdings etwas anders aus. EU-Parlament und -Rat diskutieren derzeit eine Effizienz-Richtlinie, die verbindliche Einsparziele vorschreiben soll. Die Volksvertretung ist sich weitgehend einig, nun liegt der Ball im Feld des Rates, also bei den Regierungen.
Doch dort blockiert die Bundesregierung im Konzert mit ihren Wiener und Pariser Kollegen. Am 11. April beginnen in Brüssel die Gespräche zwischen Vertretern des Parlaments, der Kommission und den Regierungen. Wie es aussieht, wird die dänische Ratspräsidentschaft in diese einen stark verwässerten Vorschlag einbringen, der den Positionen der Merkel-Regierung weit entgegen kommt. Der Deutsche Naturschutzring befürchtet, dass die Klimaschutzziele der Union damit nicht erreicht werden können. Der Deutsche Industrie- und Handwerkskammertag (DIHK) hält hingegen gar nichts von festen Einsparzielen und sieht in ihnen nur einen Kostentreiber.
Aber immerhin zeigen Umfragen bei Unternehmen, dass die Reaktion auf die steigenden Energiekosten sehr unterschiedlich sind und lange nicht alle so verbohrt als Bremser agieren wie die Verbandsvertreter. Je knapp 40 Prozent der Unternehmen wollen die Kosten an die Kunden weitergeben beziehungsweise durch Einsparungen auffangen. Das lässt hoffen, dass es vielleicht doch langsam ein Umdenken gibt.
Auch sonst werden erste Risse im bisher in Sachen Energiepolitik monolithisch für Atom und Kohle agierenden Wirtschaftsblock sichtbar. Musste man sich bisher bei Verlautbarungen des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) und mehr noch des DIHK mit seiner obligatorischen Mitgliedschaft fragen, wo denn eigentlich die Interessen der auf dem Sektor der erneuerbaren Industrien tätigen Unternehmen bleiben, so macht jetzt die Wirtschaftswoche einen in den Reihen der Industrie wirkenden "Spaltpilz" aus. BDI-Chef Hans-Peter Keitel habe jüngst auf einem Treffen seines Verbandes gemeint, der BDI könne nicht länger" eine einheitliche Position in der Energiefrage" vertreten, da "die Interessen zu unterschiedlich" seien.
Nebenbei rechnet das Blatt vor, dass 2012 rund 100.000 "stromintensiven" Unternehmen durch den Erlass der EEG-Umlage und der Netzentgelte ein Subventionsgeschenk von zehn Milliarden Euro gemacht wird. Natürlich fehlt jeder Unterton moralischer Entrüstung, der in der Wirtschaftswoche bei der Erwähnung gesetzlich fixierter Einspeisevergütungen für Solarstrom unvermeidlich gewesen wäre.
Verrücktes Wetter
Über die ungewöhnliche Wärme in Nordamerika hatte Telepolis bereits vor drei Wochen berichtet (Nordamerikanisches Treibhauswetter). Nun haben die US-Wetterfrösche, das heißt die Nationale Behörde für Ozeane und Atmosphäre (NOAA), die Daten für den Monat März vorgelegt. In zwei Dritteln des Landes sei der Monat der wärmste je gemessene gewesen, heißt es auf der NOAA-Webseite. Die ersten flächendeckenden Wetteraufzeichnungen reichen in den USA bis ins Jahr 1895 zurück, womit der März der wärmste seit mindestens 117 Jahren war.
Nur ein einziger Staat der kontinentalen USA, Washington im äußersten Nordwesten, war unterdurchschnittlich warm. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich das ungewöhnlich warme Wetter vor allem auf den Mittleren Westen und die östlich anschließenden Gebiete konzentrierte. Passend zu diesen Wettermustern hat es eine extreme Serie von Tornados gegeben, die Milliarden-Schäden anrichteten und 40 Todesopfer forderten. 223 Tornados wurden landesweit gemeldet, 80 sind im März Durchschnitt.
Auch für das ganze erste Quartal 2012 gibt es einen ähnlichen Befund. Während es in Alaska deutlich zu kalt war - immer gemessen am Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010, die in USA seit neuesten als Referenzzeitraum benutzt werden -, verzeichneten 25 Staaten den wärmsten Jahresbeginn seit 1895. In 16 weiteren lag das Quartal unter den zehn wärmsten ihrer dokumentierten Wettergeschichte.
In Sachen Niederschlägen ist das Bild weniger einheitlich. Einige Staaten haben ein erhebliches Defizit, in anderen hat es überdurchschnittlich geregnet, wie zum Beispiel in dem seit über einem Jahr von einer schweren Dürre geplagten Texas (Texas: Rekord-Dürre hält weiter an). Dadurch hat sich dort die Lage etwas verbessert, wie der US Drought Monitor berichtet, aber entspannt ist sie damit noch lange nicht. Zum einen kann ein überdurchschnittlicher Monat kaum reichen, um den Grundwasserspiegel wieder auf sein normales Niveau anzuheben und die übrigen Reservoirs zu füllen. Zum anderen haben die Rekordtemperaturen natürlich auch größere Verdunstungsraten zur Folge, das heißt, bei höheren Temperaturen ist der Nachschubbedarf für einen ausgeglichenen Wasserhaushalt größer. Nebenbei bemerkt: Dieser Zusammenhang kann in den nächsten Jahren rund ums Mittelmeer dramatische Konsequenzen haben (Mittelmeerraum wird heißer und trockener).
Und was hat das alles mit Klima zu tun? Viele Wetterphänomene sind mehr oder weniger gleichverteilt. Trägt man sie in einem Diagramm ein, in dem an der unteren Achse die Messwerte, zum Beispiel die Temperatur, abzulesen ist und an der waagerechten Achse die Häufigkeit, dann ergibt sich annähernd eine sogenannte Glockenkurve. Am häufigsten sind Ereignisse, die in der Nähe des Mittelwertes liegen, je stärker die Abweichung von diesem, desto seltener das Auftreten.
Mit Hilfe einer derartigen Grafik lässt sich dann die Wahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse bestimmen. Voraussetzung ist allerdings, dass es in dem beschriebenen System keinen Trend (z.B. keine Erwärmung oder Abkühlung) gibt. Dieser würde nämlich das Zentrum der Glockenkurve verschieben. Verschiebt sie sich zum Beispiel in Richtung wärmerer Mitteltemperaturen, wie es global und in den allermeisten Regionen beobachtet wird, dann werden damit auch die Ereignisse wahrscheinlicher, die bisher am rechten Rand der Glockenkurve gelegen haben. Oder mit anderen Worten: Besonders ungewöhnlich warme Wintermonate wie zuletzt in den USA werden wahrscheinlicher, ebenso sommerliche Hitzewellen oder andere Extremereignisse. Sehr schön hat das dieser Tage der bekannte NASA-Klimawissenschaftler James Hansen in einer neue Studie ausgeführt.
Wind und Sonne weiter auf dem Vormarsch
Wir hatten ja bereits vermeldet, dass nach Zahlen des Bundesumweltministeriums die Treibhausgasemissionen in Industrie und Energieerzeugung im letzten Jahr leicht zurück gegangen sind. Trotz der Abschaltung von sechs + zwei AKW ab Mitte März (sechs waren noch effektiv in Betrieb, die beiden Vattenfall-Pannenmeiler Brunsbüttel und Krümmel standen hingegen bereits seit Jahren still). Der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft (BDEW) wies einige Tage später in einer Pressemitteilung daraufhin, dass die Sache noch etwas komplizierter sei:
Zur Wahrheit gehört neben weiteren Gründen, dass die geringeren Emissionen im vergangenen Jahr vor allem mit der gegenüber 2010 milden Witterung zu erklären sind. In Folge dessen ist der Primärenergieverbrauch 2011 in Deutschland insgesamt gesunken und hat zu weniger CO2-Emissionen geführt. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) muss bei den energiebedingten CO2-Emissionen in Deutschland in 2011 temperaturbereinigt hingegen mit einem Anstieg um 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gerechnet werden.
Unterm Strich seien die spezifischen CO2-Emissionen aus der Stromversorgung 2011 gegenüber dem Vorjahr von 0,49 auf 0,50 kg CO2/kWh netto leicht angestiegen. Da sich einerseits die Wintermonate hierzulande durch höheren Stromverbrauch auszeichnen, aber vom Januar bis März 2011 noch deutlich mehr Atomkraftwerke gelaufen sind, könnten sich eventuell negative Effekte des Atomausstiegs erst im Jahr 2012 in vollem Umfang zeigen.
Danach sieht es allerdings nicht aus, denn die Stromerzeugung aus Solar- und Windkraftanlagen ist auch im ersten Quartal weiter gestiegen. Um beachtliche knappe 40 Prozent legte sie nach den Zahlen der Strombörse zu. In den ersten drei Monaten 2011 lieferten Sonne und 13,9 Milliarden Kilowattstunden (kWh), ein Jahr später waren es 19,4 Milliarden kWh.
Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2011 waren von den acht später stillgelegten Reaktoren sechs betriebsbereit. Hätten diese von Anfang Januar bis Ende März rund um die Uhr unter Volllast gearbeitet, hätten sie etwa 13,6 Milliarden kWh erzeugt. Das ist zufällig ziemlich genauso viel, wie Sonne und Wind im gleichen Zeitraum tatsächlich geliefert haben, und in diesem Jahr lagen sie wie gesagt bereits rund 40 Prozent drüber. Aber der Ehrlichkeit halber muss erwähnt werden, dass ein Teil des Zuwachses auch mit Glück zu tun hat. Der Ertrag von Windkraftanlagen variiert von Monat zu Monat und Jahr zu Jahr deutlich, und offensichtlich ist 2012 bisher ein ausgesprochen gutes Windjahr.
Wie dem auch sei, entgegen des allgemeinen Gejammers der Industrie über hohe Strompreise führt der Sonnenstrom inzwischen zu einer deutlichen Absenkung der Börsenpreise. Das liegt daran, dass er in den Zeiten anfällt, in denen die Stromnachfrage besonders groß ist und daher bis vor kurzem mit Kraftwerken abgedeckt werden musste, die nur für diesen Zweck vorgehalten werden und entsprechend teuer sind. Aber selbst der Grundlastpreis sinkt offensichtlich bei viel Sonnenschein. Der März war, wie berichtet (Viel zu warm), extrem reich an Sonnenscheinstunden, und da es zugleich auch viel Wind gab, hat der Strom der Windräder und Solarpanels den Grundlastpreis an der Börse gedrückt.
Im Monatsmittel betrug er 4,113 Cent/kWh gegenüber 5,492 Cent/kWh im Februar 2012 und 5,447 Cent/kWh im März 2011. Auch der Spitzenlaststrom verbilligte sich von Februar auf März von 7,134 auf 4,818 Cent/kWh und glich sich damit dem Grundlaststrom fast an. Zu der großen Unlogik des Systems gehört, dass sich der saubere Strom nach der Lesart des Erneuerbaren Energiegesetzes verteuert hat. Seine Kosten sind nämlich als die Differenz zwischen Börsenpreis und Einspeisevergütung definiert. Entsprechend erhöhen seine positiven Effekte an der Börse die zumeist von den Verbrauchern und vom Kleingewerbe zu bezahlende EEG-Umlage.
AKW? Wofür?
Aber immerhin stellt sich angesichts des weiter wachsenden Beitrags der Erneuerbaren die Frage, wer eigentlich noch Strom aus Atomkraftwerken braucht? Am Wochenende waren nämlich drei der verbliebenen neun AKW abgeschaltet, nämlich Brokdorf (AKW Brokdorf überflüssig), Grohnde und Gundremmingen B. Statt der möglichen rund 12 Gigawatt haben AKW nur um die acht Gigawatt Leistung zur Verfügung gestellt, wie die Daten der Strombörse zeigen. Vermisst hat die abgeschalteten Reaktoren offensichtlich niemand. Da Sonne und Wind reichlich lieferten (Sonne um die Mittagszeit am Samstag etwas über sieben GW, Wind tagsüber bis zu 12 GW), war der konventionelle Kraftwerkspark auch ohne die drei Strahlenmeiler nicht einmal annähernd ausgelastet.
Die Frage nach Nutzen und Gefahren der Atomkraft stellen sich ganz entgegen der hiesigen Propaganda viele Menschen in aller Welt. Im letzen Monat sind zum Beispiel im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu die Bauarbeiten an dem besonders heftig umstrittenen AKW Kudankulam wieder aufgenommen worden. Nach energischen Protesten der örtlichen Bevölkerung waren sie im September vorigen Jahres vorübergehend eingestellt worden, berichtet das Wall Street Journal. Mit den Bauarbeiten haben auch die Proteste wieder begonnen.
Auch in Jordanien protestieren die Bürger gegen ein geplantes Atomkraftwerk, wie die Jerusalem Post berichtet. Aus dem Artikel geht weiter hervor, dass das französische Unternehmen AREVA mit jordanischen Partnern ein Joint Venture gegründet hat, das seit 2009 in dem Land nach Uran sucht.
Und da wir gerade beim Thema Atomkraft sind. Am Samstag sollen in Wien Gespräche zwischen dem Iran, den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates (China, Russland, die USA, Frankreich und Großbritannien) sowie Deutschland beginnen. Dem Iran soll der militärisch-nutzbare Teil seines Atomprogramms ausgeredet werden. Wie wäre es, wenn Mitverhandler Deutschland mit gutem Beispiel voran ginge und seine Urananreicherungsanlage in Gronau sowie seinen mit hochangereichertem Uran betriebenen Forschungsreaktor Garching bei München stilllegen würde? Die potenziell militärische Seite des Münchener "Atomeis" wurde bereits vor seiner Inbetriebnahme kritisiert.