Atommacht auf Umwegen?

Seite 2: Kaum verhohlene Drohungen

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Die Reaktionen auf Macrons Rede schwankten in Deutschland vor allem zwischen zwei Polen. Da wären einmal diejenigen, die alle Überlegungen in Richtung einer stärkeren Europäisierung der Atomwaffenfrage - nicht zu Unrecht - ohnehin als eine mögliche Abtakelung der Nuklearen Teilhabe der NATO und damit eine Axt an einem engen Bündnis mit den USA betrachten. Das bereits vorauseilend kurz vor Macron veröffentlichte Bekenntnis von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte zum Beispiel in diesem Zusammenhang zu sehen sein: "Wir stehen unter dem Nuklearschirm der Nato."

Auch der seitens der Regierungsberater der "Stiftung Wissenschaft und Politik" zum Thema lancierte Artikel geht faktisch in diese Richtung. Macrons Angebot zum Dialog wird links liegen gelassen bzw. in einen Vorschlag umgemünzt, von dem man sicher sein kann, dass er ins Leere laufen wird:

Ein konkretes Angebot enthält die Rede des französischen Präsidenten gleichwohl. […] Die deutsche Antwort auf die Einladung des französischen Präsidenten, einen strategischen Dialog über die Rolle der französischen Nuklearwaffen zu führen, sollte somit lauten: Der Dialog über eine europäische nukleare Abschreckung ist richtig und wichtig, er kann jedoch am besten in den seit Jahrzehnten gut etablierten Institutionen der Nato - zuvorderst der der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) - stattfinden. Eine Beteiligung Frankreichs an der NPG, die gleichzusetzen ist mit der Bereitschaft des Landes, der Nato seine Nuklearwaffen zur Verfügung zu stellen, würde dem Anliegen, den europäischen Pfeiler in der Nato zu stärken, echte Konturen verleihen. Sie wäre auch für alle europäischen Mitglieder des Militärbündnisses tragfähig. Mag sein, dass eine Beteiligung Frankreichs an den gemeinsamen Nuklearstrukturen der Allianz in Paris weiterhin ein Tabu bleibt. Der von Macron angedachte Dialog sollte jedoch vor Tabus nicht zurückschrecken.

Auf der anderen Seite des Spektrums tummeln sich diejenigen "Strategen", die extrem verärgert über die französische Weigerung sind, die mit vielen Milliarden aufgebaute "Force de Frappe" einem deutschen Teilzugriff zu überantworten. Sie plädieren mal mehr, mal weniger offen deshalb für eine deutsche Atombewaffnung.

Hochkaräter wie Wolfgang Ischinger haben sich diesbezüglich - wohl nicht zuletzt aus PR-Gründen - bislang zurückgehalten, derzeit noch sind es eher Personen aus der zweiten oder dritten politischen Reihe, die sich in dieser extremen Richtung äußern. In der jüngeren Debatte war es nicht zuletzt der emeritierte Politikprofessor Christian Hacke, der sich lautstark einmischte:

Russland ist zu kalkulieren, nämlich als revisionistische Macht. Und Putin ist ein erstklassiger Machiavellist, der genau weiß, wie er die russische Stärke wieder aufbaut. […] Das ist alles brandgefährlich. Und dann sind wir in einer Situation, brutal ausgedrückt, realistisch, sind wir Hammer oder sind wir Amboss? Und wir sind als Nicht-Nuklearmacht einfach Amboss. Und wir sind von anderen abhängig und wenn man drüber diskutiert, dann geht es vor allem um unsere eigene, um unsere nationale Sicherheit.

Christian Hacke

Teile des Establishments nehmen nun Macrons - aus machtpolitischer Sicht nachvollziehbare - Absage an eine weitreichende Teilung atomarer Entscheidungsprozesse zum Anlass, die Frage nach einer deutschen Atombewaffnung mal weniger, mal mehr verklausuliert, erneut aufzurufen. So polterte beispielsweise Jacques Schuster, Chefkommentator der Welt, kurz nach Macrons Rede:

Präsident Emmanuel Macron hat den europäischen Partnern einen "strategischen Dialog" angeboten - und macht zugleich klar, dass er die Kontrolle über die französischen Atomwaffen behalten will. Das kann Deutschland nicht hinnehmen. […] "Die größte Eselei der deutschen Nachkriegsgeschichte war die Unterschrift unter den Atomsperrvertrag", schrieb Johannes Gross vor Jahrzehnten. […] Sollten die Amerikaner unter Donald Trump oder einem seiner Nachfolger auf die Idee kommen, die Europäer ihrem Schicksal zu überlassen und die Nato für überflüssig zu erklären, muss eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft in letzter Konsequenz gemeinsam über den Einsatz von Atomwaffen entscheiden. Verweigert sich Frankreich, die letzte Atommacht der EU, dieser Einsicht, wird es nicht mehr nur ein einzelner Publizist sein, der die deutsche Unterschrift unter den Atomsperrvertrag für eine Eselei hält.

Jacques Schuster

Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, wie die Frage bei der am kommenden Wochenende anstehenden Münchner Sicherheitskonferenz weiter behandelt werden wird.

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