Atomvereinbarung: Biden muss sich beeilen
Iran: Nach dem tödlichen Anschlag auf den Atomphysiker Fachrisadeh werden Fristen für die Rückkehr zum JCPOA gesetzt
Joe Biden will wieder in den JCPOA einsteigen, beteuerte er in einem aktuellen Interview mit Thomas Friedman, dem Kolumnisten der New York Times: "It’s going to be hard, but yeah."
Das Gespräch fand nach der Ermordung des iranischen Kernphysikers Mohsen Fachrisadeh statt. Biden kennt Verhandlungen zur Nuklearvereinbarung mit Iran aus seiner Zeit als Vizepräsident unter Obama; später musste er den US-Kongress überzeugen. Das wird diesmal nicht einfacher, da eine Senatsmehrheit für die Republikaner wahrscheinlich ist.
Iran hat einige Möglichkeiten, auf den Anschlag zu reagieren. Eine davon ist das Gesetz, das vergangene Woche vom iranischen Parlament verabschiedet wurde. Es setzt Biden unter Zeitdruck. Er hat zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, um Maßnahmen zu ergreifen, die eine Erleichterung der Sanktionen zur Folge haben. Noch ist es nicht in Kraft, laut Regierungsprecher Ali Rabiei braucht es die Zustimmung des Obersten Nationalen Sicherheitsrates. Die Bewertung von Ayatollah Khamenei wird wichtig sein.
Der Wächterrat hat das Gesetz am Mittwoch weitergeleitet, nachdem das Parlament mehrheitlich dafür war, trotz der Einwände der iranischen Regierung. Sowohl Präsident Rohani wie auch Außenminister Zarif mahnten zur Zurückhaltung, sie befürchteten ein Aufschaukeln des Konflikts.
Das neue Gesetz sieht vor, dass die Überwachung des zivilen Atomenergie-Programms durch die internationale Aufsichtsbehörde IAEA ausgesetzt wird, anders als im JCPOA vereinbart, und anders als dort gefordert, soll auch die Urananreicherung wieder forciert werden, sogar so weit, dass eine neue Anlage installiert wird und bestehende ausgebaut werden - sollten die Sanktionen gegen Iran nicht aufgehoben werden. Manche Schlagzeilen in westlichen Medien dazu ließen die Botschaft verstehen, dass Iran nun wirklich aus der Vereinbarung aussteigt.
Aus iranischer Perspektive aber geht es, wie schon bei den Schritten zuvor, die von JCPOA-Vorgaben abwichen, vor allem darum, den Druck darauf zu erhöhen, dass endlich die Sanktionen aufgehoben werden, und gleichzeitig zu vermitteln, dass die Maßnahmen reversibel sind. Nach dem Ausstieg der USA aus dem Abkommen richteten sich die Appelle an die drei europäischen Partnerländer, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Die zeigten sich jedoch völlig abhängig von Trumps Anti-Iran-Kurs und konnten oder wollten nicht entscheidend gegensteuern.
"Dezember- und Januarüberraschungen"
Biden könnte den Kurs ändern und die europäischen Länder würden mitziehen. Vom noch amtierenden US-Präsident und dessen Außenminister Pompeo wurden Ansagen gestreut, wonach man Biden Hürden in den Weg legen würde, um eine Rückkehr zum JCPOA und einen Kurswechsel in der Iran-Politik möglichst zu verhindern. Spekulationen über Militärschläge, "Dezember- und Januarüberraschungen", von US-amerikanischer wie von israelischer Seite, häuften sich.
Dann erfolgte die Ermordung des Kernphysikers auf iranischem Terrain. Das wurde als Zeichen dafür verstanden, dass sich die US-Führung in Absprache mit Israel dazu entschlossen hat, keinen offenen Schlagabtausch zu riskieren, sondern auf verdeckte Operationen zu setzen. Die Initiative dazu könnte von Israel ausgegangen sein wie auch die Operation selbst, kommentiert der ehemalige UN-Waffeninspekteur Scott Ritter. Vom Mossad-Chef Yossi Cohen berichtete Times of Israel kürzlich, dass er solche Operationen verstärken will. Der Zeitungsbericht legt nahe, dass Cohen beim Anschlag auf Fachrisadeh eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Offizielle Aussagen dazu gibt es nicht.
Iran könne sich Zeit mit Vergeltungsaktionen lassen, übermittelt der belgische Journalist Elijah J. Magnier, der sich für seine Informationen auf iranische Quellen beruft. Da die Führung in Teheran davon ausgeht, dass auch Saudi-Arabien eine Rolle bei dem Anschlag auf Mohsen Fachrisadeh gespielt hat, gebe es auch mehr Optionen.
Der gegenwärtigen Regierung in Teheran, deren Präsident Rohani und Außenminister Zarif jahrelang am Zustandekommen des JCPOA gearbeitet haben, ist nicht daran gelegen, die Chancen zu verspielen, die mit dem neuen US-Präsidenten Biden verbunden werden. Dieser muss durch den Zeitdruck, den ihm das Gesetz mit der Zweimonatsfrist stellt, bald nach seinem Amtsantritt Farbe bekennen.
Biden betonte bislang, dass er zur Vereinbarung zurückkehren werde und die US-Sanktionen aufheben werde, falls sich Iran wieder "streng an die Vorgaben" halten werde. Doch gibt es von ihm auch Äußerungen, wonach er Verhandlungen mit Iran über das Raketenprogramm anstrebe und auch über die iranische Politik in der Region. Beides gehört nach Auffassung der iranischen Führung nicht zum JCPOA.
"Keine Entspannungspolitik zu erwarten"
Für den neuen Außenminister der Biden-Regierung, Antony Blinken, ist dies aber schon Thema für notwendige Neuverhandlungen mit Iran, ebenso für Jake Sullivan, der als neuer nationaler Sicherheitsberater vorgesehen ist. Auch von Michèle Flournoy, die in Medien als Favoritin für den Posten als Verteidigungsministerin gehandelt wird, habe Teheran "keine Entspannungspolitik oder größere Öffnung der Vereinigten Staaten zu erwarten", heißt es - "außer Teheran wird seine militärische Präsenz erstmal verkleinern".
Die US-Strategie des "maximalen Drucks" sei gescheitert, kommentieren Medien, Think Tanks und Experten, die mit der neuen US-Regierung sympathisieren. Offenkundig zu sehen sei dies am neuen Gesetz in Iran, womit die Verhältnisse wieder auf den Stand vor Abschluss des JCPOA zurückgebracht würden.
Der Druck auf Iran wird auch unter Präsident Biden hoch bleiben. Es konkurrieren Machtfraktionen, die sich nicht wesentlich voneinander unterschieden, außer vielleicht in ihrem Missionarsgeist. Pompeos Gegnerschaft zu Iran war von einer besonderen Sorte. Der Außenminister Trumps machte auf manchen in der Regierung den Eindruck, er sei auf einer biblischen Mission. Blinken ist sehr viel reflektierter und er setzt auf Verhandlungen. Aber auch von ihm gibt es Äußerungen, die keine Entspannungspolitik erwarten lassen.