Atomwaffen sind ab morgen verboten
Am Freitag tritt der Atomwaffenverbotsvertrag der UNO in Kraft, nachdem ihn 90 Tage zuvor der 50. Staat ratifiziert hatte. Damit wird er Teil des humanitären Völkerrechtes
Das humanitäre Völkerrecht, früher als Kriegsvölkerrecht bezeichnet, ist ein Bereich des Völkergewohnheitsrechts. Das humanitäre Völkerrecht hat sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Teil des Völkerrechtes entwickelt, dem nahezu alle Staaten uneingeschränkt zustimmen, auch wenn sie sich bei Kriegshandlungen oft nicht danach richten.
Das humanitäre Völkerrecht ist in verschiedenen Verträgen festgeschrieben, z. B. in der Haager Landkriegsordnung, der Bio- und Chemiewaffenkonvention usw. Staaten, die diesen Verträgen nicht beigetreten sind, haben zwar keine juristischen Sanktionen zu befürchten, setzen sich aber bei Verstößen moralisch und politisch ins Unrecht.
Seitdem es Atomwaffen gab, und v. a. seitdem die verheerenden Folgen der Atomexplosionen in Hiroshima und Nagasaki offensichtlich geworden sind, hat sich Widerstand gegen eine nukleare Bewaffnung des Militärs entwickelt. Gegen die seinerzeit geplante Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen richtete sich die 1957 gestartete Kampagne "Kampf dem Atomtod" sowie der Appell von achtzehn deutschen Atomphysikern ("Göttinger Appell").
In Großbritannien ist die gleichzeitig unter dem Namen "Campaign for Nuclear Disarmament" gestartete Bewegung mit dem Namen Bertrand Russell verbunden. Die Ostermärsche haben ihren Ursprung in diesen Kampagnen. 1970 fand durch den Atomwaffensperrvertrag das deutsche Bestreben nach der Atombombe ein vorläufiges Ende.
Der Atomwaffensperrvertrag verpflichtete die Unterzeichner, außer den damaligen fünf Atomwaffen besitzenden Staaten, keine weiteren Atomwaffen zu entwickeln oder zu erwerben. Gleichzeitig wurde durch den Vertrag die friedliche Entwicklung der Kernenergie geregelt. Die Atommächte versprachen, Maßnahmen zur Abschaffung von Atomwaffen einzuleiten.
Aber genau das geschah nicht. Statt dessen wurden aus den fünf ursprünglichen Atomwaffenstaaten neun, die im Lauf der Jahre kontinuierlich ihre Atomwaffen modernisierten.
Kampagne wirbt seit 2006 für Abrüstung
2006 beschlossen die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) die Gründung der internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Diese hatte zum Ziel, möglichst viele UNO Staaten davon zu überzeugen, dass dringend ein Vertrag nötig sei, um die bestehende Lücke im humanitären Völkerrecht bezüglich der Verträge gegen Massenvernichtungswaffen (Streumunition, Bio- und Chemiewaffen, Landminen) zu schließen.
Da in zahlreichen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen wurde, dass selbt bei einem begrenzten Einsatz von Nuklearwaffen ein Großteil der Weltbevölkerung davon betroffen wäre und dies unvorstellbares Leid verursachen würde, waren zahlreiche Staaten von der Notwendigkeit eines Atomwaffenverbotsvertrages überzeugt.
Österreich übernahm die Aufgabe, diesen Vertrag bei der UNO vorzulegen. Am 7. Juli 2017 war es dann soweit: 122 UNO-Staaten stimmten für die Annahme des Vertrages. Die Atomwaffenstaaten und auch Deutschland, wie auch die übrigen Nato-Staaten verweigerten die Zustimmung.
Durch diesen Vertrag wird sowohl die Entwicklung, Lagerung, Produktion und Testung von Atomwaffen, als auch deren Trägersysteme verboten. Auch der Transit durch die Hoheitsgebiete der anerkennenden Staaten ist untersagt sowie die Finanzierung der Atomwaffen und deren Trägersysteme.
Schon jetzt hat der Vertrag weitreichende Auswirkungen. Sobald alle 122 zustimmenden Staaten das Dokument ratifiziert haben, gilt das Atomwaffenverbot für nahezu die gesamte südliche Halbkugel. Das irische Parlament hat bereits ein Gesetz verabschiedet, das den Verstoß gegen den AVV unter Strafe stellt.
Bedeutsam ist das u.a. für die mit Atomwaffen ausgerüstete britische U-Boot-Flotte, die irisches Seegebiet nicht mehr durchfahren darf. Auch die Nato-Länder Belgien und Spanien sehen in den jeweiligen Koalitionsverträgen den Beitritt zum AVV vor.
Inzwischen haben auch 36 Banken, darunter auch die Deutsche Bank, ihre Investitionen im Hinblick auf den AVV überprüft.
Zwiespältiges Deutschland
Auch Deutschland fühlt sich dem humanitären Völkerrecht verpflichtet, wie die Bundesregierung stets betont.
Das Auswärtige Amt informiert dazu:
Wesentliche Grundsätze des humanitären Völkerrechtes sind :
- Weder die Konfliktparteien noch die Angehörigen ihrer Streitkräfte haben uneingeschränkte Freiheit bei der Wahl der zur Kriegführung eingesetzten Methoden und Mittel. So ist der Einsatz jeglicher Waffen und Kampfmethoden verboten, die überflüssige Verletzungen und unnötige Leiden bewirken.
- Zum Zwecke der Schonung der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte ist jederzeit zwischen Zivilbevölkerung und Kombattanten zu unterscheiden. Weder die Zivilbevölkerung als Ganzes noch einzelne Zivilisten dürfen angegriffen werden. Angriffe dürfen ausschließlich auf militärische Ziele gerichtet sein.
Und das Bundesverteidigungsministerium ergänzt:
- Für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ist es eine selbstverständliche Pflicht, die Regeln des Humanitären Völkerrechts zu befolgen.
Dennoch ist die Bundespublik Deutschland, obwohl alle genannten Kriterien auch für Atomwaffen zutreffen, bis heute nicht dem AVV beigetreten. Und obwohl bereits 2010 der deutsche Bundestag fraktionsübergreifend den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland beschlossen hatte, trainieren deutsche Piloten am Fliegerhorst Büchel in Tornado-Jets den Einsatz mit US-amerikanischen Atombomben. Dadurch kommen Regierung und Parlament in ein doppeltes Dilemma:
- einerseits beteuern sie bei jeder Gelegenheit, das humanitäre Völkerrecht anzuerkennen – andererseits wollen sie einem Vertrag, der eben Bestimmungen des humanitären Völkerrechtes zum Inhalt hat, nicht beitreten;
- das zweite Dilemma ist demokratischer Art. Obwohl 92 Prozent der Bundesbürger sich in einer repräsentativen Befragung zufolge dafür aussprechen, dass Deutschland den Vertrag unterschreibt, kümmern sich Parlament und Regierung nicht um dieses Votum. Inzwischen haben alle 16 Landeshauptstädte, weitere 107 Städte, vier Landesparlamente und mehrere bedeutende zivilgesellschaftliche Organisationen (Kirchen, Gewerkschaften, Naturschutzverbände) die Regierung aufgefordert, dem AVV beizutreten.
Die Bundesregierung lehnt den Beitritt zum AVV mit der Begründung ab, dass es Staaten gebe, die Atomwaffen als militärisches Mittel einplanen und Europa damit bedrohen. Solange sich daran nichts ändere, bestehe die Notwendigkeit einer nuklearen Abschreckung fort. Deshalb bleibe auch die Haltung der Bundesregierung in Bezug auf Nuklearwaffen unverändert.
Also weiter wie bisher: Frieden durch Abschreckung und Vorbereitung auf einen nuklearen Schlagabtausch, der mit großer Wahrscheinlichkeit zu weitreichenden Zerstörungen in Mitteleuropa und damit in Deutschland führen würde. Politiker und Militärs erliegen immer noch der Illusion, dass der Einsatz von Atomwaffen auf fremdem Territorium erfolgen würde und durch den Einsatz moderner zielgenauer Waffen von "geringer Sprengkraft", das bedeutet die Zerstörungsfähigkeit einer halben Hiroshimabombe, begrenzbar bliebe.
Welch eine gefährliche Naivität derer, denen wir unsere Sicherheit anvertraut haben.
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