Attraktive Monster bei den US-Wahlen
Wie deutsche Medien die USA wahrnehmen und widerspiegeln. Ein Streifzug durch die Unzulänglichkeit.
If men were angels, no government would be neccessary.
James Madison, The Federalist No. 51, 6. Feb. 1788
Wir bilden einen lieben Reigen,/ die Freiheit spielt auf allen Geigen.
Rammstein
Musik kommt aus dem Weißen Haus/ und vor Paris steht Micky Maus.
We're all living in Amerika./ Amerika ist wunderbar.
We're all living in Amerika./ Coca-Cola, Wonderbra.
In Einem sind sich fast alle deutschen Medien dann doch einig: Wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewinnen sollte, droht der Weltuntergang. Oder zumindest der Untergang der Demokratie.
Und wenn er die Wahl verliert, droht erst ein tagelanges Tauziehen und eine juristische Materialschlacht, und am Ende schwerer Schaden für die Demokratie. Wenn nicht ihr Untergang. Das heißt, auf jeden Fall wird alles schlechter und der Wahldienstag eine weitere Etappe auf dem unaufhaltsamen Abstieg der Menschheit.
Außenpolitische Abstinenz deutscher Medien
Dieser Tage erlebt man dergleichen inflationär. In nahezu jeder Talkshow der Wochen vor der Wahl erlebt man auch in Deutschland, das, was Donald Trump, als Medienstar erst groß gemacht hat: Das Versagen der Medien vor allem in ihrer Fixierung auf die Person Trump, im Beschwören der Gefahr für "die Demokratie", im Beharren auf den Emotionen, den Ängsten vor Trump.
Trump spielt den Mainstream-Medien (Noam Chomsky) in die Hände, indem er ihnen gibt, was sie suchen: Ein attraktives Monster, das täglich neue Schrecken und Empörungsgründe und damit "News" liefert, neue Nachrichten.
Nur, dass Trump verstanden hat, dass diese Mainstream-Medien schon lange an Glaubwürdigkeit verloren hatten, und dass das von Trump selbst geschaffene und bespielte Narrativ "Trump als das absolute Monster" den Medien und nicht Trump schadet. Trump nützt es, denn es hält ihn in den Schlagzeilen und es bestätigt seine zweite Erzählung: "Trump als Außenseiter", als Feind des Establishments, als Ärgernis für "die liberalen Eliten", als "Blue Collar Billionaire".
Mit dem Wohnmobil quer durchs Land
In Deutschland, dem Land, in dem Politik und Medienöffentlichkeit seit jeher nur nach Innen blicken und außenpolitisch abstinent sind, schlägt alle vier Jahre die Stunde des "Blicks über den Tellerrand": Über die US-Präsidentschaftswahl wird dann mehr, langfristiger und intensiver berichtet, als über die eigenen Bundestagswahlen. Und natürlich wird dabei immer gefragt, was das "für uns" bedeutet.
Dieser Blick über den Tellerrand hat meist die Form einer Reisereportage. Das kann man in Perfektion verfolgen, wenn Ingo Zamperoni, der Markus Lanz der ARD, - wie schon 2020 - wieder einmal durch Amerika reist und die für alle Deutschen scheinbar entscheidende Frage stellt: "Wirklich nochmal Trump, Amerika?"
Es ist ein guter Film, eine Momentaufnahme, viele Phänomene, keinerlei Analyse. Das typische Beispiel der Trump-Fixierung der deutschen Berichterstattung. Die interessanteste Bemerkung kommt am Ende von Zamperonis (schwarzem) Schwiegervater: "Zwei Dinge sprechen gegen sie: Sie ist eine Frau, sie ist schwarz und sie ist stark. Ehrlich gesagt: Viele wissen, dass Trump schrecklich ist, aber sie wollen nicht für eine Frau stimmen."
Fast jeder ältere weiße heterosexuelle Mann hätte Donald Trump geschlagen
Diese Antwort ist deshalb interessant, weil hier mit seltener Nüchternheit und Klarheit Fakten benannt werden, die man im deutschen Fernsehen oft schamhaft verschweigt: Die USA sind gesellschaftlich kein Land der Freiheit und Offenheit, sondern erzkonservativ.
Fast jeder ältere weiße heterosexuelle Mann – und ganz bestimmt Joe Biden – hätte Donald Trump geschlagen. Wenn er morgen gewinnt, dann weil er zum zweiten Mal eine Frau als Gegner hatte. Und weil sie schwarz ist. Wenn Trump morgen gewinnt, dann weil Linke und Liberale nichts dazulernen, sich weigern, taktisch zu denken und den Wählern zu dem für gut Erkannten zwingen möchten.
Den Anfang dieser Reisereportagen machte in diesem Jahr Leiter des ZDF-Studios Washington, Elmar Theveßen: "Zwischen Trump und Harris - Roadtrip durch ein zerrissenes Amerika" heißt sein Roadmovie, in dem er "über 9000 Kilometer" im Wohnmobil zurücklegte, um zu zeigen, "wie die Menschen den Wettstreit zwischen Trump und Harris verfolgen."
USA-Verklärung und Wiederkäuen von Klischees
Der inoffizielle USA-Beauftragte Deutschlands ist – jedenfalls seiner Selbsteinschätzung nach – Markus Lanz. Seit mehr als einem Jahrzehnt traktiert der Südtiroler Talkmaster sein Publikum mit der Tatsache, dass er in einem anderen Leben wohl gerne USA-Korrespondent geworden wäre.
Darum dreht er regelmäßig vor und nach US-Wahlen Filme oder wenn ihm eine Pandemie gerade Zeit lässt. Diese Filme heißen immer "Amerika ungeschminkt", mit irgendeinem Zusatz; inzwischen sind es schon vier. Lanz hat dann im Unterschied zu seiner Talk-Sendung mal eine Lederjacke an oder ein T-Shirt, mit dem er dann durch Slumstraßen geht oder an der mexikanischen Grenze steht und mit "den Menschen" spricht.
"Wir wollen uns ein Bild machen" heißt es zu Anfang des neuen Films: "Welche Rolle spielt das Thema, das auch die deutsche Gesellschaft so herausfordert: Einwanderung?" Mit dieser Vorbemerkung sitzt Markus Lanz bereits dem rechten Narrativ auf. Es sind die deutschen Fragen, die seinem Film den roten Faden geben: Lanz entdeckt nichts Neues, Überraschendes, er weiß am Ende so viel wie am Anfang.
Deutsche auf Abi-Reisen zu "den Leuten"
Stattdessen noch im Schlusssatz reine USA-Verklärung und das Wiederkäuen von Klischees: "An Rick erkenne ich, wofür ich die Amerikaner bewundere: Ja, sie sind manchmal verdrossen und auch wütend auf die Politik. Und dennoch voller positiver Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen. Es ist dieser Optimismus, der das Land so groß gemacht hat und er ist noch immer da."
Ein schon wirklich rührender und geradezu naiver Glaube an die Empirie zieht sich durch all diese vielen Reportage-Sendungen. Der Glaube, man müsste einfach nur mit den Leuten reden, um etwas zu erfahren. Der Glaube, man könnte alleine dadurch, dass man mit Zufallsbekanntschaften eine Art von Mosaik-Berichterstattung betreibt, Analyse ersetzen und das Nachdenken und die Experten. Es ist der Glaube, dass am Ende Personen zählen, "der Mensch".
Die USA heißen in den Filmen immer Amerika, wie der Kontinent, auf dem sie sich befinden und wie sie in Deutschland in der Regel genannt werden. Manchmal hat man auch den Eindruck, dass diese ganzen Journalisten ihre Abi-Reise nochmal wiederholen oder die Abi-Reise, die sie vielleicht nie gemacht haben, dann auf Kosten der öffentlich-rechtlichen endlich in die Tat umsetzen.
Irritationen bei "Caren Miosga"
Denn es gibt ja etwas Offensichtliches, das bei dieser Gelegenheit auffällt: Wenn in Frankreich Wahlen sind oder in Großbritannien oder in Ungarn und Polen, in China und sonst wo, dann gibt es solche Berichte nicht – dann reist niemand mit dem Wohnmobil durchs Land und spricht mit "den Leuten".
Es ist schon ein bestimmtes Bild von Amerika, das sich hier ins Unbewusste des deutschen Journalismus ausprägt. Die USA sind und bleiben das Sehnsuchtsland der deutschen Journalisten.
Wie in Markus Lanz' 2000. Talk-Sendung, 14 Tage vor der US-Wahl wurde nun auch bei "Caren Miosga" bereits am Sonntagabend die Wahl debattiert: "Harris oder Trump – Amerika vor der Entscheidung". Entgegen der Fragestellung ging es auch bei Miosga vor allem um Trump.
Ein paar empörende Äußerungen aus dem Archiv
Und genau diese Fixierung ist der zentrale Fehler solcher Diskussionen. Ein weiteres Mal sind alle extrem auf Trump fixiert, reden die Gesprächspartner nur über Trump, kramen Miosgas Mitarbeiter ein paar empörende Äußerungen von ihm aus dem Archiv hervor. Ein weiteres Mal reden sie viel zu wenig über Kamala Harris und auch viel zu wenig über die Ursachen des Erfolgs von Donald Trump bei den Wählern.
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Diese Erfolge werden allenfalls angedeutet. Auch über Lösungen wird nicht geredet. Oder über die Frage: Was passiert denn, wenn Harris gewinnt? Wie geht es dann weiter mit Trump? Was passiert, wenn Trump gewinnt? Wie geht es dann weiter mit den Demokraten und mit den USA?
Für interessante Irritationen im Mainstream des Redens über Trump sorgte nur Journalist Jörg Wimalasena, der für die Welt aus den USA berichtet. Er erklärt, warum seiner Ansicht nach Harris nicht die Richtige sei, und weist darauf hin, dass sie die Kandidatin des neoliberalen Kapitals ist: "Abgehoben von den Wählern, sie werfen ihr eine Milliarde hinterher."
Harris hat kein Programm
Harris müsste eigentlich ein Programm haben, habe sie aber nicht, darum sei der Hype schnell verpufft. Der Universalismus sei der Linken verloren gegangen - ein guter Punkt, dessen Vertiefung man gerne zugehört hätte.
Der ehemalige SPD-Politiker Sigmar Gabriel erklärte, Donald Trump sei keineswegs ein Mann von gestern, sondern ein Kind seiner Zeit: "Er merkt, dass die liberale Weltordnung, der Multilateralismus zu Ende geht. Viele Leute im Globalen Süden verstehen unsere Probleme nicht und Amerikas Rolle funktioniert auch nicht mehr. Und das immer wieder Beschwören der moralischen Weltordnung, die es gar nicht mehr gibt - das macht es für die Demokraten ungeheuer schwer."
Die Probleme bleiben die gleichen
Der latenten deutschen Hysterie setzt dieser Tage immerhin einer eine gewisse kühle Nüchternheit der Betrachtung entgegen: der Schweizer Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung. In einem Vortrag beschreibt Gujer Trump als "das Symptom einer tiefgreifenden globalen Machtverschiebung. An dieser Person lässt sich die Signatur der Zeit sehr gut ablesen".
Sollte Trump nicht gewählt werden, würden die Probleme des Westens trotzdem die gleichen bleiben. Zu diesen Problemen rechnet der fraglos erzkonservative, aber entspannt argumentierende NZZ-Chef vor allem die Garantie der äußeren Sicherheit Europas. Er glaube an einen Wahlsieg Trumps', weil Trump den Vorteil habe, dass ihn "die Leute schon lange kennen".
"Eine Wahl, die über die Zukunft der Welt entscheidet."
Aber was wird nun geschehen? Für Elmar Theveßen ist die morgige Wahl "eine Wahl, die über die Zukunft der Welt entscheidet". Für Trump und sein Lager konstatiert er mit bemerkenswerter Klarheit: "Das sind faschistische Tendenzen, die da im Gange sind."
"Ich würde nicht von Weltuntergang sprechen, aber wir haben heute jetzt geopolitisch eine ganz andere, sehr unsichere weltpolitische Lage im Vergleich zu 2016", sagte die US-amerikanische Journalistin Melinda Crane im "Internationalen Frühschoppen" auf Phoenix, und verwies auf zwei Kriege, und eine Handelsordnung, die eher einer "Handelsunordnung" gliche.
Eine Wahl Donald Trumps würde vor allem für die Ukraine große Veränderungen bedeuten, argumentiert Crane weiter. Trump würde "die Hilfe für die Ukraine sehr schnell beenden und der würde eventuell versuchen, über den Kopf der Ukraine hinweg mit Russland zu verhandeln. Er würde Netanjahu eine Freikarte in Bezug auf den Nahen Osten ausstellen. Und in Bezug auf den Handelskrieg kann es sein, dass wir dann in einen vollen Handelskrieg hineinlaufen".
"Die Ukraine im Stich lassen ..."?
Für Matthew Karnitschnig, Europakorrespondent von politico, ist klar, "dass Trump die Ukraine im Stich lassen würde. Unter Kamala Harris würde der Krieg weitergehen. (...) Aus europäischer Sicht ist Trump schon ziemlich schwierig, weil er so unberechenbar ist."
Das kann man auch anders, oder zumindest gelassener sehen: Eric Gujer setzt in seinem Vortrag auf die Eitelkeit von Trump: "'The president who lost Ukraine', das will er nicht sein" – ein gutes Argument dafür, dass sich unter Trump an der grundsätzlichen westlichen Unterstützung für die Ukraine nichts ändern würde.
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Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, erklärte, ebenfalls auf Phoenix: "Nicht dass eine Wahl Donald Trumps positiv ist – aber sie würde Deutschland und Europa zwingen, endlich mehr gemeinsame Sache zu machen und sie würde erzwingen, dass Deutschland mehr Verantwortung übernimmt."
"Hausaufgaben machen wäre ganz gut"
Dem stimmte auch Sigmar Gabriel zu. Der ehemalige SPD-Außenminister, heute Präsident der Atlantik-Brücke ist überzeugt, das Zentrum der Weltpolitik, das Europa 600 Jahre lang war, sei Peripherie geworden.
Würde man Russlands Expansionsdrang nicht in der Ukraine Halt gebieten, zu Gabriel bei "Caren Miosga", "wird uns Putin nach der Ukraine weiterhin testen, in Moldawien, in Georgien, vielleicht im westlichen Balkan und möglicherweise irgendwann auch in Estland." Trump werde zwar nicht aus der Nato austreten, aber bereits das öffentliche Zweifeln an der Nato sei gefährlich.
"Ob wir darauf vorbereitet sind, wage ich zu bezweifeln." so Gabriel weiter: "Das sind die eigentlichen großen Herausforderungen. Und solange nicht einmal Deutschland und Frankreich in Europa wieder zusammenkommen – wie wollen wir denn auf ein Amerika reagieren, das sich abwendet von uns. Hausaufgaben machen das wäre ganz gut."
We're all living in Amerika./ Coca-Cola, sometimes war.
Rammstein