Auch eine Klassenfrage: Mythos Clankriminalität
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Warum der viel kritisierte Begriff auch von Politikerinnen und Politikern verwendet wird, die sich gleichzeitig als Kämpfer gegen Rechts profilieren.
"Vormittags warnen sie öffentlichkeitswirksam vor den Gefahren, die der ‚freiheitlichen demokratischen Grundordnung‘ und einer liberalen Gesellschaft durch Extremismen und "Fremdenfeindlichkeit" drohen. Und am Nachmittag haben sie kein Problem damit, mit dem Kampf gegen die ‚Clankriminalität‘ einen rassistischen Diskurs mit quasi staatsoffiziellen Würden zu versehen." Diese harte Kritik äußert die Redaktion der polizeikritischen Zeitschrift Cilip in ihrer aktuellen Ausgabe mit dem Schwerpunktthema "Mythos Clankriminalität".
Wenige Tage nach dem Erscheinen der aktuellen Ausgabe war dieses kritisierte Verhalten gut zu beobachten: Die SPD-Politikerin Nancy Faeser war spätestens durch ihren Beitrag in der VVN-Zeitschrift Antifa zum Feindbild der Rechten aller Couleur geworden.
Die heutige Bundesinnenministerin hatte betont, dass sie konsequent gegen rechte Strukturen in den Behörden vorgehen werde. Dass heißt aber nicht, dass sie auf Begrifflichkeiten verzichtet, die in diesen Kreisen populär sind.
"Bundesinnenministerin Nancy Faeser will Clans stärker bekämpfen" heißt es nun in der Badischen Zeitung. "Clankriminalität: Rechtsstaat lässt sich nicht an der Nase herumtanzen", wird auf der Homepage des Bundesinnenministeriums verkündet.
Berichtet wird dort über den von Faeser am Mittwoch vorgestellten Lagebericht Organisierte Kriminalität. "Mit fast 700 Ermittlungsverfahren gegen organisierte kriminelle Gruppierungen ist die Zahl gegenüber dem Vorjahr um mehr als 17 Prozent gestiegen", erklärte vor Medienschaffenden in Berlin.
Die Pressereaktionen waren entsprechend. "Deutlich mehr Verfahren gegen Banden" hieß es in der ARD-tagesschau. "Organisierte Kriminalität: die Brutalität nimmt zu", titelte das Handelsblatt. Unerwähnt blieb, dass viele Ermittlungsverfahren eingestellt werden – und dass ohne rechtskräftiges Urteil eigentlich die Unschuldsvermutung gelten müsste.
Erst seit 2021 ist der Begriff definiert
Darauf weist auch Cilip in der schon erwähnten Ausgabe hin. Dabei bestreiten die Autorinnen – darunter Juristen und Stadtteilaktivisten – nicht, dass es reale Kriminalitätsdelikte gibt. Sie wenden sich aber gegen öffentliche Stigmatisierung Unbeteiligter, wie sie mit dem Begriff Clankriminalität verbunden ist. Die Kriminologin Louisa Zech und der Rechtsanwalt Tom Jennissen weisen in ihrem Cilip-Beitrag darauf hin, dass es erst seit 2021 überhaupt eine offizielle Definition von Clankriminalität gibt.
Diese zeichne sich aus durch "eine informelle soziale Organisation, die durch ein gemeinsames Abstammungsverständnis ihrer Angehörigen bestimmt ist". Kennzeichen seien insbesondere eine hierarchische Struktur, ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsames Normen- und Werteverständnis. Diese Kriterien passen nun auch ganz viele Vereine und Organisationen.
Als besonders problematisch sehen Jennissen und Zech die Ethnisierung der vermeintlichen Clankriminalität. Die wird vornehmlich migrantischen Bevölkerungsteilen zugeschrieben, auch wenn sie anders als in früheren Zeiten nicht mehr direkt genannt werden. Dazu kommt, dass es keine klare Definition für den Begriff "Organisierte Kriminalität (OK)" gibt: "Vielmehr wird jegliches "delinquente Verhalten" von "Clanangehörigen" umfasst – mit der schwammigen Einschränkung, dass diese Taten "im Einzelnen oder in ihrer Gesamtheit für das Phänomen von Bedeutung" sein müssen", kritisieren Jennissen und Zech.
Am Beispiel von NRW zeigen die politische Referentin des Komitees für Grundrechte Michele Winkler und die Juristin Levi Sauer in ihrem Beitrag auf, wie der Diskurs über die Clankriminalität nicht der realen Gefahrenlage, sondern politischen Konjunkturen folgt. Je mehr vor Wahlen das Schreckensbild der importierten Clankriminalität strapaziert wird, desto weniger muss über soziale Forderungen geredet werden.