"Auch in der Türkei habe ich so etwas noch nie erlebt"
Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) hat es als erster internationaler Beobachter geschafft, den Basken Arnaldo Otegi im spanischen Gefängnis zu besuchen
Seit mehr als vier Jahren sitzt der ehemalige Sprecher der baskischen Partei Batasuna (Einheit) im spanischen Knast von Logroño, weil Arnaldo Otegi für die Untergrundorganisation ETA die 2003 verbotene Partei wieder aufgebaut haben soll. Wir sprachen mit Andrej Hunko über seinen Otegi-Besuch.
Wie haben Sie es geschafft, dass Ihnen ein Besuch bei Otegi erlaubt wurde, während es anderen Journalisten und Parlamentariern bisher verweigert wurde.
Andrej Hunko: Ich weiß nicht, warum es anderen Besuchern bisher verweigert wurde. Im Sommer 2012 hatte ich Besuchsanträge für Arnaldo Otegi und Inés del Rio gestellt. Ich bin auch Mitglied des Europarats und der Fall von Del Rio und damit die Parot-Doktrin wurde gerade vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte behandelt und ich wollte mir ein Bild machen. Die jeweiligen Gefängnisse und Madrid haben sich die Bälle zugespielt und es gab kein Ergebnis. Vielleicht lag es damals auch am Sommerloch.
: Also alles wie üblich, aber wie haben Sie das dann doch noch durchgesetzt?
Andrej Hunko: Na ja, durchsetzen kann man solche Anträge nicht wirklich, da es keinen Anspruch darauf gibt. Ich habe immer wieder den Kontakt zur spanischen Botschaft in Berlin gesucht, mich erkundigt, was ich tun muss, mich auch mit ihrer Sichtweise auf den Friedensprozess auseinander gesetzt.
Im Mai 2013 hatte ich dann eine Besuchsgenehmigung bekommen, die ich aber leider aufgrund eigener Termine nicht wahrnehmen konnte. Wir hatten nach den Wahlen in Deutschland nachgefragt, ob sie noch gilt. Das Gefängnis sagte Ja und dann habe ich Flüge gebucht, doch plötzlich wurde am nächsten Tag gesagt, es gehe doch nicht. Ohne weitere Begründung bekam ich dann kurz darauf doch eine Genehmigung. Ich hatte vor dem Besuch Kontakt zur spanischen Botschaft in Berlin, allerdings weiß ich nicht, ob dies in dem Prozess eine Rolle gespielt hat. Vielleicht macht es die Kombination als Deutscher Abgeordneter und Europaratsmitglied, dass ich den Besuch machen konnte. Denn Spanien wird in Straßburg oft kritisiert, z.B. auch vom Anti-Folterkomitee des Europarats. Vielleicht ist die Genehmigung aber auch als Zeichen der Entspannung zu werten, was mich sehr freuen würde.
Warum haben Sie am Mittwoch Otegi besucht, der als Mitglied der Untergrundorganisation ETA zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde und in Spanien als Terrorist gilt?
Andrej Hunko: Er steht in der baskischen Linken für die Friedensprozesse. Er hat die ETA zunächst zur Waffenruhe gebracht und dann dafür gesorgt, dass sie vor zwei Jahren endgültig den bewaffneten Kampf eingestellt hat. Das haben auch internationale Vermittler und Friedensnobelpreisträger anerkannt. Erfahrungen mit der Lösung bewaffneter Konflikte zeigen, dass man sie nur in Kategorien des Terrorismus nicht fassen kann.
Aus dem angeblichen ETA-Führer wurde schon am Obersten Gerichtshof Otegi ein einfaches Mitglied, doch davon ist das Verfassungsgericht nicht überzeugt. Sein Einspruch wurde angenommen. Warum sitzt er auch nach mehr als vier Jahren noch?
Andrej Hunko: Die bisherigen Urteile sind fragwürdig. Unstrittig ist, dass er das Ende des bewaffneten Kampfs erfolgreich durchgesetzt hat und dafür muss er mit der ETA kommunizieren. Durch die Ausweitung der Anti-Terror-Gesetze ist man schnell in der Situation, damit als Terrorist zu gelten, weil es nicht mehr um konkrete Taten geht. Otegi meint, er sei verurteilt worden, weil der spanische Staat am Ende der Gewalt kein Interesse hat. Er glaubt, dass Verfassungsgericht werde ihn freisprechen, um nicht erneut vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg korrigiert zu werden.
Otegi wurde im Frühjahr zum Generalsekretär der neuen Partei Sortu (Aufbauen) gewählt, das Verbot der konservativen Regierung wurde vom Verfassungsgericht gekippt. War das ein Signal?
Andrej Hunko: Auch hier wurde befürchtet, dass sonst Straßburg erneut einschreiten würde. Es ist nur wünschenswert, dass es einen friedlich demokratischen Weg gibt, der nicht durch Verbote behindert wird. Das ist der Hintergrund der Sortu-Gründung.
Über was haben Sie gesprochen?
Andrej Hunko: Zunächst möchte ich sagen, dass ich schon viele Gefängnisse besucht habe. Ich habe weder in der Türkei noch in Kasachstan erlebt, dass ich dem Gefangenen nicht die Hand geben, ihn nur hinter einer dicken Trennscheibe sehen und mit ihm nur per Telefon sprechen konnte. Zu Otegi durfte ich weder Papier noch Stift mitnehmen. Wir haben über seine Lage und den Friedensprozess gesprochen. Er wollte wissen, wie die Koalitionsverhandlungen laufen, wie sich Die Linke dazu stellt, über die Eurokrise, etc. Er ist sehr informiert und belesen.
Wie schätzt er den Friedensprozess ein? Spanien und Frankreich weigern sich weiter, mit der ETA auch nur über eine Entwaffnung zu verhandeln, wie es in der Roadmap einer internationalen Friedenskonferenz festgelegt wurde.
Andrej Hunko: Otegi kritisiert das, macht aber klar, dass dieser Weg unumkehrbar ist und Spanien letztlich einschwenken muss. Dafür ist internationaler Druck notwendig und dazu dienen auch solche Besuche gut, um es dann in diversen Gremien anzusprechen.
Welche Bedeutung misst Otegi dem Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs bei, der kürzlich die nachträgliche Verlängerung von Haftstrafen in Spanien gekippt hat?
Andrej Hunko: Das ist ein wichtiges Urteil. Er schätzt, dass bis Weihnachten etwa 100 Gefangene freikommen. Viele in Sortu und in unserer Schwesterpartei Vereinte Linke (IU), mit denen ich gesprochen habe, sehen das als wichtigen Schritt, um im Friedensprozess voranzukommen.
In welchem Gemütszustand befindet er sich?
Andrej Hunko: Er ist total lebendig und dynamisch, er ist wach und optimistisch kämpferisch. Das hat mich beeindruckt. Er ist zuversichtlich, dass der Prozess vorankommt. Wir waren uns im Gespräch einig, dass es eine Wahrheitskommission nach Vorbild Südafrikas mit internationaler Begleitung geben muss, um die Geschichte aufzuarbeiten, den Opfern der ETA und der Sicherheitskräfte und faschistischer Kräfte zu gedenken. Es gibt aber Opferverbände, die sich massiv gegen jeden Friedensprozess stellen.
Gibt es Bewegung in der spanischen Regierung? Ist die Tatsache, dass mit Ihnen nun erstmals ein internationaler Beobachter Otegi besuchen konnte, ein Zeichen? Bis kurz vor dem Besuch war das unklar.
Andrej Hunko: Regierungsvertreter haben mir gegenüber durchblicken lassen, man könnte sich schon auf den Prozess einlassen, dass man aber von ganz Rechts unter Druck steht. Wichtig wäre, dass die Gefangenen in der Nähe der Heimat inhaftiert und schwerkranke Gefangene freigelassen werden. Die Gesetze müssen auch für politische Gefangene gelten. Wichtig ist, dass die politische Debatte ohne Anschläge und Repression geführt werden kann und anstehende Entscheidungen demokratisch getroffen werden können.