Auch unser Dorf braucht eine Biennale

Diskurs-Sheriffs im globalen Kunstdorf oder - haben Biennalen der Ästhetik des White Cube etwas entgegenzusetzen?

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Von Kairo nach Sharjah, nach Berlin, nach Venedig, nach Ljubljana, nach Lyon, nach Istanbul, nach Mercosul, nach Cuenca, keine Stadt, keine Region kann scheinbar mehr ohne eigene Biennale auskommen. "What our village needs now is a biennial." (Olav Westphalen)

Fiona Tan, Tuareg, 1999, Videoinstallation

Biennale-Junkies hätten ihre wahre Freude, sollten sie sich auf die weltweiten Angebote im Jahr 2001 einzulassen bereit sein: Die Biennale, zunächst lediglich eine zeitliche Begriffskategorie, hat sich in den letzten Jahren als ein neuer Typus global operierender Ausstellungen etabliert. Mit einer Vielzahl an Konsequenzen: weiße Flecken auf der Kunstlandkarte zu erschließen, einen internationalen Kunsttourismus zu entwickeln, den Beruf des Kurators hervorzubringen und das gegenwärtige Kunstgeschehen entscheidend mitzuprägen. Biennalen, so scheint's, begegnen dem klassischen Ausstellungsbetrieb als alternative Strategie und können als Plattform der weltweiten Vernetzung, Globalisierung und Internationalisierung agieren. Ein Blick in die Chronik dieses Typus' macht glaubhaft, die Biennale sei auch quantitativ die angesagte Ausstellungsform des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Wäre da nicht die zeitlich parallele und neuerwachte Stärke der Museen. Sollten diese sich womöglich der eindringlich geforderten und förderlichen Strukturkritik unterzogen haben?

Dan Peterman, Bottle Cap Pasta, 2001, Installation

Ein kurzer Rückblick

Schon Mitte der 70er Jahre, 1976 um genau zu sein, prangerte Brian O'Doherty in seinem Text "Inside the White Cube" die Ausgrenzungs-, Neutralisierungs- und Ausblendungsmechanismen der sogenannte "White Cubes" an. Ästhetisch, neutral, rein und weiß müsse die Zelle sein, um in ihr jede Erfahrung (außer die der ästhetischen) ausschließen und potentiell einen jeden Gegenstand zum Kunstwerk werden lassen zu können. Der "White Cube" wurde zum Synonym für eine westliche Kunst, die alle sozialen, geschlechtlichen, religiösen und ethnischen Differenzen ausblenden und eine ästhetische Autonomie und universale Formensprache propagieren konnte. Währenddessen sich in der Folgezeit die Kunstproduzenten mit ihren Arbeiten vornehmlich auf die unterschlagenen Bedingungen von Produktion, Präsentation und Rezeption konzentrierten, wuchs die Macht desjenigen Ortes, demO'Doherty die institutionelle Kritik angetragen hatte, stieg gleichermaßen die Zahl der Biennalen, wurden die sogenannten Peripherien mit den neuen Biennalen in Besitz genommen. In ihrem prozesshaften Werkstattcharakter ließen sie ungleich pointierter die konstitutiven ökologischen, sozialen und ökonomischen Abhängigkeiten von Kunstproduktionen auf der "Bildfläche" erscheinen. (Ein Prozess, den Jean-François Lyotard "rewriting", eine "Durcharbeitung" der Moderne bezeichnet.) Und öffneten sie zielsicher das Funktionssystem Kunst über den garantierten Wechsel von Kuratoren, Sichtweisen, Themen und Qualitäten.

Swetlana Heger & Plamen Dejanov, Quite Normal Luxury II, 2000, Mixed Media

Als Parallelbewegung zu den spektakulären Museumsexpansionen der 90er Jahre (Die Frage nach einer erfolgten Reformstruktur der Museen soll an dieser Stelle nicht beantwortet werden.) präsentierten sich die Biennalen ähnlich expansionistisch und extrovertiert - der Wunsch nach Institutionalisierung inklusive. Als wollte man Jacques Derridas These bestätigen, dass ein Aufenthalt außerhalb des Systems schlichtweg unmöglich sei. Ein Jahrzehnt des "Wildwuchses" erfordere die Gründung eines internationalen Verbandes, der die Qualität der Biennalen, die institutionelle Ausweitung und die diskursive Vertiefung beaufsichtige. René Block, künstlerischer Leiter der Kunsthalle Museum Fridericianum, lud im August letzten Jahr zur Internationalen Konferenz "Biennalen im Dialog" in die documenta-Stadt Kassel, um sich im Kreise anderer Kuratoren den "verlorenen Überblick" über die Biennalen dieser Welt zurückzuerobern. Den Überblick über die Biennalen von Havanna, Shanghai, Taipeh, Sydney, Istanbul, Lyon, Berlin, Pittsburgh, Saõ Paulo, Havanna, Venedig, Kwangju, Johannesburg, Dakar...

Paradigmenwechsel?

Katarzyna Józefowicz, Carpet, 1997-2000, Papier

Biennale-Junkies halten sich derzeit in Berlin auf. Dort findet bis zum 20. Juni die 2. Biennale für zeitgenössische Kunst statt. An vier verschiedenen Orte der Stadt zeigen Saskia Bos, Direktorin der Amsterdamer Stiftung de Appel, und ihr Team künstlerische Arbeiten (komplette Künstlerliste), die zu einem Begriff des "utopischen, antiautoritären und menschlichen Miteinanders zurückkehren" sollen. In Abgrenzung zu den 90er Jahren, in denen vornehmlich Institutionskritik und Selbstreflexivität betrieben wurde, verspricht Saskia Bos, "Gegen-Kartografien" zu entwickeln, "alternative Lösungen für Situationen" anzubieten, die nicht "vollkommen von Politik und Marktstrategien dominiert werden". Mit Beginn des neuen Jahrzehnts ließe sich ein Paradigmenwechsel beobachten, der sich in den Begriffen connectedness, commitment und contribution äussere. Künstlerische Haltungen würden "kleine, realisierbare Utopien" eröffnen und in "Eins-zu-Eins-Beziehungen" zum Besucher treten. Exakt diese Annäherungen rezipiert Biennalebesucher und ZEIT-Kritiker Christof Siems als "take away art": "Auch wenn es nicht zur Wertsteigerung kommen sollte, habe ich die Biennale reich beschenkt verlassen." Kostenlose Massagen, Plakate in poppigem Pink auf Weiß, Jever und Espresso im Sodan Art Cafe, Allzwecktücher aus Thailand...

Muntean/Rosenblum, Where Else, 2000, Installation und Performance

Ob Okwui Enwezor auf der erwähnten Biennale-Konferenz genau diese Tendenzen als Perversion von Demokratie gemeint haben mag, die er als Hang zu politischer Korrektheit in der Kunst bezeichnete, um ihrerseits Änderungen bestehender Strukturen zu verhindern? Auch Peter Richter (SZ) findet in Berlin eine "Happy-Berlin-Biennale" vor, die anfänglich "ein bisschen so" wirke, "als habe die Holländerin da eine hochkulturelle Rudi-Carell-Show inszeniert, mit vielen gutmütigen Mitmachspielen". Lieber Peter, ich gebe dir ja so Recht, würde da nicht - Du weist selbst darauf hin - eine einzige Arbeit für die ganzen anderen Ungefährlichkeiten entschädigen: Christian Jankowski, Preisträger des im letzten Jahr erstmalig vergebenen Berliner Kunstpreises der Freunde der Nationalgalerie, präsentiert, was er im Online-Zeitalter zu connectedness, commitment und contribution zu sagen hat: In seinem 35mm-Video "Rosa" verschränkt er den Kinofilm "Viktor Vogel - commercial man", der parallel zur Eröffnung der Biennale in den Kinos anlief, mit zwei seiner früheren Kunstaktionen:

"Ihr dürft in eurem Film zwei meiner Aktionen verbraten, im Gegenzug beantworten die Schauspieler meine Fragen zur Kunst." (Christof Siems in der ZEIT)

Jankowski lässt Akteure wie Götz George und Vadim Glowna aus ihren (Kinofilm-)Rollen fallen und inmitten ihrer Szenen über die ach so großen Fragen der Kunst sinnieren: Was ist Schönheit in der Kunst? Wie frei ist der Künstler? Beeinflussen sich Kunst und Kommerz? (Eine Bemerkung am Rande: Der Film wird gegenwärtig wegen des neu im deutschen Film eingeführten Product Placement kontrovers diskutiert.) Eine wunderbar kluge, ökonomische und mediale Vernetzung. "Da passiert irgendwas... Irgendwas bleibt doch immer übrig, wenn man nach Hause geht..." (Zitat aus dem Video "Rosa")

Patricia Piccinini, Truck Babies, 1999, Big Sister, 1999, Video

Erwähnenswert die Paralleltendenzen der anderen Biennale-Macher: Harald Szeemann, künstlerischer Leiter der Biennale in Venedig (10.6. bis 4.11.01), stellt derzeit auf seinen Pressekonferenzen ein "Plateau der Menschheit" in Aussicht, das sich in Verantwortung gegenüber der Geschichte und den Ereignissen der Gegenwart zeigen will. Auf dem Plateau sollen Geschichten über soziale Probleme, Umweltfragen und neue Technologien erzählt werden - die Biennale als Plattform der weltweiten Vernetzung, Globalisierung und Internationalisierung? Diese Form der Vernetzung hat Saskia Bos sichtlich nicht unter dem von ihr verwendeten Begriff der connectedness verstanden. Themen der Gegenwart erscheinen kaum auf der Berlin-"Bildfläche"; als hätten die Polizei des Diskurses oder aber auch die "White-Cube"-Mechanismen eingegriffen... Und: "Die Ausstellung wird wenig technologischen Aufwand brauchen, abgesehen von all den Videobeamern, die heutzutage unvermeidbar sind. ... Es gibt jedoch keines dieser komplizierten Internetprojekte - es macht einfach keinen Sinn, mit einer Maus in der Hand im Raum herumzustehen oder in einer Schlange vor dem Bildschirm zu warten." (Saskia Bos in einem Interview mit art, 4/01)

Ihre Kollegin Yuko Hasegawa konzentriert sich für die Istanbul-Biennale (22.9. bis 17.11.01) auf Begriffe wie collective consciousness, collective intelligence und co-existence. Und geht der Frage nach: "How can we liberate ourselves from our egos?" Die Zeit der Themen-Aussstellungen, des Spektakels und der provokativen Konfrontation scheint vorbei. Gefragt und gefordert sind Begriffe, Haltungen und Positionen, die sich zu einer Gesellschaft von Menschen, in Beziehungen, in Interaktion äußern. An dieser Stelle möchte ich den Kontext für eine andere interessante Durchdringung öffnen: In einer Zeit, in der außerhalb des Kunstbetriebes die Diskussionen zu New Economy, Neue Technologien und Neuen Markt nur so blühen, rufen die amerikanischen Marketing-Profis Christopher Locke, Rick Levine, Doc Searls und David Weinberger das "Cluetrain-Manifest" aus, das den Menschen in den Mittelpunkt der Welt rückt: "Märkte bestehen aus Menschen, nicht aus Zielgruppen". 95 Thesen, "die oft so simpel sind, dass niemand sie auch nur aussprechen würde." (Peter Lau in brand eins). Aus diesem Manifest möchte ich einen einzigen Paragraphen zitieren und ihn an die Forumsmitglieder von Telepolis richten:

"Gespräche zwischen Menschen klingen menschlich. Sie werden mit menschlicher Stimme geführt."