Auf Wiedersehen im Con-Net

In Großbritannien gibt es jetzt eine - allerdings nicht unumstrittene - Internetkontaktbörse für Sträflinge

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Einsame Menschen nutzen besonders gern das Netz. Prädestiniert dafür sind daher auch gegenwärtige und ehemalige Strafgefangene. Sie haben nun ein virtuelles Forum, wo sie Gleichgesinnte und Schicksalsgefährten treffen können. Convicts Reunited/ ist allerdings nicht unumstritten.

Jeder ist eine Insel. Letztlich sind wir alle dazu verdammt, allein unser Leben mit uns selbst zu fristen. Aber auch wer nicht schwarze Rollkragenpullover trägt und seine Sartre-Gesamtausgabe milde seufzend streichelt, kann gezwungen werden, solch düsteren existenzialistischen Gedanken nachzuhängen. Nämlich dann, wenn er eine Gefängnisstrafe verbüßt hat und fortan als Ex-Knacki mit dem gesellschaftlichen Kainsmal gezeichnet ist. Der Hund wedelt bei der Heimkehr nicht mehr mit dem Schwanz, sondern hebt das Bein. Die Partnerin braucht den Neuen nicht einmal im Schrank zu verstecken, weil sie ohnehin schon probeweise bei Ihm wohnt. Die lieben Nachbarn, die früher noch über den Jägerzaun gegrüßt haben, gehen jetzt vorsorglich hinter den Rosenbüschen in volle Deckung. Beim Arbeitsamtbesuch hat der Sachbearbeiter jedesmal Tränen in den Augen. Da wäre jemand recht, der einen in dieser prekären Situation versteht und aufbaut.

Beispielsweise die alten Kameraden von früher, die das harte Schicksal schließlich z.T. jahrelang hautnah geteilt haben. Verdammt, wenn man nur daran gedacht hätte, Adressen und Telefonnummern auszutauschen. Aber auch in diesem Fall hilft heutzutage der technische Fortschritt in Form des World Wide Web. Online kann man schließlich auch als begeisterter Zehenlutscher ungewaschener Füße oder Sammler von ausgequetschten angolanischen Zahnpastatuben Gleichgesinnte in den unzähligen Foren und Newsgroups suchen und finden.

Da müsste es auch funktionieren, so die Idee der Ex-Strafgefangenen Mike Breach und Chris Harvey (angeblich laut the register keine Ex-Sträflinge!), wenn man ein Online-Forum speziell für einsame Knacki-Herzen gründet. Und so wurde "Convicts Reunited" aus der Taufe gehoben, ursprünglich mehr als Persiflage gedacht. Die Gründer nahmen sich dabei insbesondere die sehr beliebte Site Friends Reunited zur Vorlage, die mittlerweile zu den Top-20 beim Page-Impressions-Ranking im Königreich gehört. Alte Schulfreunde, die sich aus den Augen verloren haben, können dort ihre Freundschaften wiederaufleben lassen (oder sich bestätigen, dass sie sich eigentlich noch nie ausstehen konnten). Außerdem gibt es im Vereinigten Königreich seit kurzem die Website Gradumates.co.uk für Hochschulabsolventen, die verschollene Ex-Kommilitonen wiederfinden möchten.

Die Website Prisonreform bietet eine Übersicht über andere Sites, die sich an Sträflinge und Ex-Insassen richten, wie die Association of Prisoners, die Federation of Prisoners' Families Support Groups oder die Help and Advice for Relatives of Prisoners (HARP). Es gibt sogar eine, die speziell den in Großbritannien einsitzenden Muslimen helfen soll. Da lacht der Wahabite.

Auf der Convicts-Homepage nun heißt es:

This website is for convicts and ex-convicts who have either lost contact with old prison inmates or may be looking for fellow cons for their next bank job.

Der nächste Bankjob??!!? Hmmm, was darf man denn bitteschön bei Ex-Kriminellen darunter verstehen?! Das kam wohl Einigen, auch wenn man den besonderen britischen Humor kennt, eher "too close to home" vor, wie der Angelsachse sagt. Und die Gründer Breach und Harvey haben noch ein paar Probleme mehr. Die anfangs nicht so ganz ernsthaft gemeinte Website hat offensichtlich einen Nerv getroffen und mittlerweile mehr als 3 000 registrierte User. Ernsthaft diskutierte Themen in dem Diskussionsforum sind hauptsächlich die Qualität von Gefängniskantinen, angebliche Justizirrtümer und die Meisterung des Lebens nach der Rückkehr in die sogenannte bürgerliche Normalität. Wo viel geredet wird, wird aber auch viel dummes Zeug geredet. In Parlamenten wie auch in Foren. Bei der an sich wenig anrüchigen "Friends Reunited" führte die Häufung geposteter Messages mit ehrabschneidendem Inhalt zu Protesten von Lehrerverbänden.

Im Fall von Convicts Reunited befürchtet beispielsweise der Anwalt David Berry von der Sozietät Charles Russell, dass die Website zur Anstiftung zum Verbrechen oder zu Denunzierungen missbraucht werden könnte. Ferner könnten sich bei der Namensnennung von Ex-Häftlingen rechtliche Probleme mit dem Rehabilitation of Offenders Act"-Gesetz ergeben, das das Recht ehemaliger Gefängnisinsassen auf Wiedereintritt in gesellschaftliche Anonymität schützen soll. Schließlich möchte ja wohl nicht jeder an seine unrühmliche Vergangenheit hinter schwedischen Gardinen erinnert werden und mit dem Milieu weiterhin Kontakt halten.

Und auch in Deutschland ist das Persönlichkeitsrecht gegen schrankenlose und zeitlich unbegrenzte öffentliche Thematisierung von Vorstrafen geschützt. Allerdings wird die Gefahr bei einem registrierungspflichtigen und daher nicht völlig frei zugänglichen Forum wie Convicts Reunited nicht ganz so groß sein. Das Forum versuchte den juristischen Vorwürfen mit einem Statement zu begegnen, in dem erklärt wurde, dass Convicts Reunited seine Instrumentalisierung zu kriminellen Zwecken weder toleriere noch aktiv unterstütze.

Bei "Friends Reunited" kann man übrigens mit einem Klick auf einen hinzugefügten Button jetzt die Messages löschen, die beleidigende und verleumderische Inhalte über einen selbst enthalten. Im realen Umgang mit den lieben Mitmenschen ist das besonders für einen Vorbestraften nicht ganz so einfach.