Auf der Jagd nach Sphäroiden-Kugeln

"Final Fantasy" wird zum ersten Mal fortgesetzt

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Über zehn Titel ist Square dem Konzept treu geblieben für jedes "Final Fantasy" eine eigene Welt zu erschaffen, die ein immer frisches Team vor einer immer neuen Bedrohung retten muss. Mit den beiden Nachfolgern des zehnten Teils - als da wären FFX-2 und FFXI - betritt die Serie doppelt Neuland - im Fall von XI das Internet, in dem jüngst in Deutschland von Electronic Arts für die PS2 erschienenen X-2 per Fortsetzung in einer bekannten Welt.

Spira ist gerettet, Tidus löst sich im Nichts auf, lässt Yuna in Triumph und gleichzeitiger Trauer zurück. Mit diesem Zwiespalt zwischen tragischer Liebe und heldenhaftem Sieg fällt der Vorhang in Final Fantasy X. Zum ersten Mal in der sechzehn Jahre alten Geschichte der FF-Serie sind die Szenen vor dem Abspann des Spiels nicht das Ende der Geschichte, sondern Final Fantasy X-2 nimmt den Handlungsfaden wieder auf.

Drei Engel, kein Charlie

Im Mittelpunkt des Nachfolgers stehen ein Heldinnen-Trio bestehend aus den bekannten Charakteren Yuna und Rikku sowie dem Neuzugang Paine. Als asiatisches Pendant zu Charlies Engeln, die keinen Charlie benötigen, kämpfen sich die drei Frauen durch Spira auf der Jagd nach Sphäroiden-Kugeln, in denen als Videoaufzeichnung Episoden der Welt-(von-Spira)-Geschichte enthalten sind. Eine dieser Aufzeichnungen ist gleichzeitig Anknüpfknoten an FFX und Ausgangspunkt für die neue Geschichte, scheint doch im Video Tidus erkennbar zu sein.

Von der Handlung soll hier möglichst wenig verraten werden - auch wenn X-2 nicht die Tiefe eines typischen FF-Titels hat, leben Squares Rollenspiele von den Wendungen und Verwicklungen der Geschichte. Die Voraussetzungen einer Fortsetzung sind dabei naturgegeben anders, die Spielwelt ist den Helden und auch wiederkehrenden Spielern bereits bekannt, so ist es nur konsequent, dass der Kämpferinnengruppe bereits zu Beginn des Spiels dank des obligatorischen Flugschiffs ganz Spira offen steht.

Vom Start weg lässt FFX-2 dem Spieler untypisch viele Freiheit. Ist man von japanischen RPGs eher den linearen Verlauf gewohnt, gilt es sich zunächst an die ungewohnte Bewegungsfreiheit zu gewöhnen. Auch die anderen Titel hatten ihre optionalen Aufgaben, in FFX verhalfen die Sidequests letztlich den Helden zu den jeweils optimalen Waffen, doch mit FFX-2 kehrt Square das Verhältnis zwischen Pflicht und Kür um, wird der rote Handlungsfaden zum dünnen Band, das die fünf Kapitel des Spiels miteinander verknüpft. Den größten Teil verbringt das Team in parallelen Handlungssträngen. In vieler Hinsicht ist FFX-2 den westlichen, üblicherweise PC-basierten RPGs wie Neverwinter Nights oder der "Might-And-Magic"-Serie näher als traditionellen japanischen Konsolen RPGs.

Kämpfe an bekannten Schauplätzen

Diese Vorgehensweise ist innerhalb der Final-Fantasy-Reihe besonders auffällig, zeichnen sich die Spiele der Serie doch durch ihren epischen Verlauf, ihre Nähe zum filmischen Erlebnis (vgl. Spiel/Film) aus. Ist FFX der Kinofilm, kommt FFX-2 konsequenterweise die Rolle des Fernseherlebnis zu, die Serien, die sich von Folge zu Folge parallel fortentwickeln. Ebenso unterschiedlich wie Fernsehreihen ist auch die Art und spielerische Qualität der Aufgaben - zwischen dem im zentralen roten Faden verankerten und schon aus FFX bekannten Kampf zwischen Religion und Technik gibt es Versteckspiele, optionale Bosse, die bekannten Kaktauren und Chocobos - letztere darf der Spieler diesmal in Kämpfen einfangen - und auch FF-unwürdige Aufgaben wie das Verteilen von Luftballons in einem albernen Kostüm. Um bei der Fernseh-Analogie zu bleiben - der Spieler schaltet stetig zwischen "Twin Peaks", "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" und den "Simpsons" hin und her.

Obschon die gleichen Monster in derselben Welt wie in FFX bezwungen werden wollen, hat das Kampf- und Charaktersystem nichts mit dem Vorgänger gemein - die Charakterentwicklung per Sphärobrett weicht einem Kostümsystem (das deutsche Wort klingt karnevalistischer als das englische "garment"). Die Gewänder nutzen das aus der FF-Serie bekannte Job-Schema, das Square erstmals in FFIII einsetzte: Statt Charakteren mit festen Klassen wie in FFX zu steuern, bestimmt der Spieler durch das Kostüm, das die Protagonistinnen auch während eines Kampfes jederzeit wechseln können, den jeweiligen Job und hat damit einen wörtlichen Bezug zum "Rollenspiel". Auch können alle drei Heldinnen jeden der vierzehn Berufe annehmen, von denen lediglich zwei charakterspezifische Eigenschaften für die einzelnen Figuren besitzen. Hinzu kommt ein besonders mächtiges Kostüm für je eine der drei Heldinnen - quasi als Ersatz für die Bestias aus FFX, die ja (eigentlich) nach dessen Ende im Jenseits sein sollten.

Auch der Kampfverlauf hat sich gegenüber FFX geändert und kehrt zurück zum erstmals in FFIV (ursprünglich für SNES erschienen, für die Playstation in Deutschland als Bestandteil der "Final Fantasy Anthology" wiederaufgelegt) eingeführten ATB (Active Time Battle), einer Mischung aus Echtzeit- und rundenbasiertem Kampf, dessen Befehlsgabe in Echtzeit abläuft, in der das Handeln der Charaktere und Monster jedoch von der jeweiligen Geschwindigkeit sowie potenziellen positiven oder negativen Zaubersprüchen abhängt. Einige Attacken wie der Kugelhagel des Schützen, bei dem während des Angriffs die Schultertaste des Gamepads zum virtuellen Abzug wird, erfordern zusätzliche wahre Echtzeit-Aktion des Spielers - durchaus parallel zur Planung der Aktionen eines anderen Charakters.

Überhaupt sind die Kämpfe, die FF-typisch abgesehen von Boss-Gegnern als Zufallsbegegnungen beginnen, anspruchsvoller als im Vorgängerspiel, bei dem der Spieler in Ermangelung der Echtzeitkomponente genügend Zeit hatte, sein Vorgehen zu planen und vor allem die Planung noch für die Aktion selbst zu ändern, beispielsweise auf einen Angriff zu Gunsten eines Heilmittels zu verzichten, wenn die Lebensenergie eines Mitkämpfers kritisch sank. Besonders tückisch wirken sich feindliche KO-Attacken wie "Killerreißer" aus, die eine Heldin ohne Rücksicht auf ihre Lebensenergie mit einem Schlag in der Kampfunfähigkeit zurücklassen. Aufgrund des ATB ist der schnelle Einsatz einer wiederbelebenden Phönixfeder erst möglich, nachdem eine andere Kämpferin ihre zuvor bestimmte Aktion durchgeführt hat. Drohte in FFX bei drei oder vier Boss-Kämpfen das Game Over, schwebt das Damoklesschwert des Total-KOs in FFX-2 häufiger über der Gruppe.

Das Durchspielen von FFX ist keine Voraussetzung zum Spielen der Fortsetzung, aufgrund des komplett neuen Charaktersystems kann der Spieler auch vorhandene Daten aus dem ersten Teil nicht wie beispielsweise beim GBA-RPG Golden Sun II (vgl. Möge die Magie der Djinns mit dir sein!) übernehmen. Die bekannten Figuren sind für wiederkehrende Spieler interessanter, manche Anspielungen nur ihm sichtbar. Die Fortsetzung ist - um noch einmal auf die Film-Analogie zurückzugreifen - mehr "Indiana Jones" als "Herr der Ringe" - eine eigenständige, in sich abgeschlossene Story mit Anspielungen auf Vorwissen.

Als Bild für den Vergleich der Qualitäten von X und X-2 soll die Ambivalenz der Charakterentwicklung herhalten, die in Rollenspielen auf zweierlei Art statt findet, nämlich inhaltlich und RPG-spezifisch. Inhaltlich ist der Wandel, den der jeweilige Charakter in der Geschichte durchmacht oder dessen Facetten sich dem Spieler in deren Verlauf erschließen, wie beispielsweise Tidus Suche nach seiner Identität und Wakkas Bezug zur Religion in FFX oder als klassisches Paradebeispiel die Geschichte des dunklen Ritters (auch diese Charakterklasse feiert in X-2 ihr Comeback) Cecil aus FFIV. RPG-spezifisch dagegen ist die Steigerung der Attribute, das Erlernen neuer Fähigkeiten und die mehr oder weniger freie Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich der Charakterklasse, die das RPG dem Spieler lässt. Inhaltlich steht X-2 weit hinter dem Vorgänger, wie überhaupt die Qualität der Geschichte(n) nicht mit FFX mithalten kann. Hinsichtlich der Kämpfe und RPG-spezifischen Charakterentwicklung ist X-2 dagegen interessanter, anspruchsvoller und abwechslungsreicher als FFX.

Die "alte Schule" des in sich abgeschlossenen Spiels wird Square-Enix übrigens erst mit Final Fantasy XII fortsetzen. Das für Sommer in Deutschland angekündigte FFXI ist ein MMORPG (Massively Multiplayer Online Role Playing Game) und erscheint außer als PS2-Version auch wie zuletzt FFVIII für den PC. Für den GameCube erschien zudem gerade Final Fantasy Crystal Chronicles, das zwar kein massively aber immerhin Multiplayer mit bis zu vier Spielern per Gameboy Advance bietet.