Möge die Magie der Djinns mit dir sein!

"Golden Sun: Die vergessene Epoche" schöpft die Möglichkeiten des GameBoy Advance voll aus

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Nintendos Golden Sun wurde durchaus zurecht als eines der besten Rollenspiele für den GameBoy Advance (GBA) gehandelt, die Erwartungen an die Fortsetzung des von Camelot entwickelten Spiels sind hoch.

Trotz etwa vierzig Stunden Spielzeit, endete der erste Teil von Golden Sun offen: Die vier Helden segelten hinaus, das Setting wechselte zu jenen Figuren, deren Wege sich mit denen der Helden konfliktreich kreuzten. Nach dem Abspann ein schlichtes "Fortsetzung folgt". "Golden Sun: Die vergessene Epoche" ist eben diese geplante Fortführung - und der Abschluss - der Geschichte des ersten Teils. Der letzte Szenenwechsel führt die Helden des zweiten Teils ein: Felix und Jenna sowie als passiver Begleiter Kraden, sind zu Beginn die aktiven Charaktere der Fortsetzung; Isaacs Gruppe, die der Spieler im ersten Teil führte, taucht zu Beginn in Erzählungen der NPC (Non Player Characters), später dann auch als Figuren auf.

Wie der erste Teil verbindet die Fortsetzung klassische Rollenspielelemente mit Zelda-ähnlichen Puzzles. Der Spieler bestimmt nicht wie in PC-RPGs (Role Playing Games) üblich die Klasse seiner Charaktere selbst zwischen prügelstarken tumben Barbaren und magisch mächtigen aber physisch zerbrechlichen Zaubermeistern, sondern die insgesamt vier Charaktere sind vorgegeben und allesamt mit magischen Fähigkeiten ausgestattet. Jede dieser Figuren steht einem der vier Elemente Erde, Feuer, Luft und Wasser nahe. Diese Elementaraufteilung spielt sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf die Magie eine zentrale Rolle in "Golden Sun".

Nicht allein in den Kämpfen dürfen die Charaktere ihre magischen Fähigkeiten zeigen, die Puzzles setzen zum Großteil auf den Einsatz der passenden Zaubersprüche. So wird ein Teich mittels "Dürre" ausgetrocknet, um die Schatztruhe an seinem Grund zu erreichen, oder "Wirbelwind" enthüllt einen hinter Blättern verborgenen Eingang. Selbst in klassischen Schiebepuzzles kommt die Magie zum Tragen. Die einzelnen Puzzles begrenzen sich jeweils auf einen überschaubaren Bereich; den Schalter, der irgendwo ohne ersichtlichen Grund am anderen Ende des Dungeons eine Türe öffnet, gibt es nicht. Allerdings ist "Die vergessene Epoche" weniger linear als das erste Spiel. So darf die Gruppe beispielsweise den Drachen Vipera im Gaia-Felsen gleich nach Betreten des Felsens bekämpfen, aber ohne Umweg durchs Höhlensystem zum Aktivieren einiger Mechanismen hat das Team in etwa die Chance einer Maus im Konflikt mit einer Königskobra. Überhaupt ist die Anzahl und Tiefe der Puzzles und Szenarien gegenüber dem ersten "Golden Sun" deutlich gewachsen, verzichtet dabei aber weiterhin auf spielerische Sackgassen.

Besonders in japanischen RPGs - der britisch anmutende Namen "Camelot" gehört einer japanischen Softwareschmiede - spielen Begleiter der Helden eine große Rolle. Insgesamt 44 Djinns, wie die Helden verteilt auf die vier Elemente - Venus (Erde), Mars (Feuer), Jupiter (Wind) und Merkur (Wasser) - kann der Spieler im Lauf von "Golden Sun: Die vergessene Epoche" finden - hinzu kommen beim Übertragen der Enddaten des ersten Spiels bis zu 28 weitere. Die meisten magischen Begleiter wollen erst gefunden werden, oder der Spieler muss Puzzle abseits des Hauptgeschehens lösen, wenn ein Djinn offensichtlich im Bild sitzt, der Weg dorthin jedoch weit weniger offenkundig erscheint. Zudem schließen sich die meisten Djinns dem Team nicht freiwillig sondern erst nach einem Kampf an. Die Suche nach den Kreaturen lohnt sich nicht nur, sondern ist zum erfolgreichen Abschluss des Spiels unbedingt notwendig, da sie die Kampfkraft des Teams massiv erhöhen.

Der taktische Reiz der rundenbasierten Kämpfe liegt vor allem in der dreifachen Funktion dieser Djinns, deren Handling über das Begleiterkonzept anderer Rollenspiele wie Squares Final Fantasy hinausgeht. Djinns, die mit Charakteren verbündet sind, verändern deren Eigenschaften und Zaubersprüche. Elementargleichheit optimiert die Attribute, allerdings sind manche Fremdkombinationen unausweichlich: Den für einige Puzzles nötigen Spruch "Wachstum" kann der Erd-Adept Felix nur mit einem Mars-Djinn als Verbündeten ausführen. Für dieses Bündnis zahlt er jedoch einen doppelten Preis, denn er verlernt so seine Heilzauber, zudem verschlechtert der Mars-Djinn Felix Attribute, während ein Venus-Djinn sie verbessern würde.

Megära gehört zu den elementar-übergreifenden Beschwörungen

Während des Kampfes kann jeder Charakter einen ihn begleitenden Djinn entfesseln und dessen magische Kraft nutzen, ohne dabei die eigene magische Energie zu verbrauchen. Dadurch löst sich jedoch das Bündnis, wodurch der Charakter auf die Attributsteigerungen verliert. Die wahre Kampfkraft zeigen die Djinns jedoch erst aus diesem Standby-Modus heraus: Mittels Beschwörung führen bis zu vier Djinns derselben Kategorie - und neu in "Die vergessene Epoche" auch Kombinationen über die Elementargrenzen hinaus - eine starke Attacke gegen die gesamte gegnerische Gruppe aus. Gerade in Boss-Kämpfen ist der richtige Einsatz von Djinns und Abwägen zwischen deren magischer Kraft bei der Entfesselung und Beschwörung und den Boni als Begleiter der Schlüssel zum Erfolg. Übrigens hat Camelot wie bei den Puzzles auch bei den Boss-Kämpfen die Ansprüche erhöht.

Bei aller Rätsel- und Sammelleidenschaft krankt so manches Rollenspiel daran, dass die Erkenntnis, dass immer die gleichen Aktionen zum Ziel führen, den Spieler auf Dauer langweilen. Die Macht der Gegner wächst analog zu den verstärkten magischen und kämpferischen Fähigkeiten auf Seiten der Charaktere. Oft teilt sich erst nach 20 Stunden Spielzeit die Spreu vom Weizen. So enttäuschte auf PC-Ebene die Might And Magic Serie (3DOs Website dazu ist wegen Bankrotts nicht mehr online) spätestens seit dem sechsten Aufguss, während Biowares Neverwinter Nights auch nach vielen Stunden Spielzeit noch begeistern kann. Auch Golden Sun behält die Faszination stets bei, was zum einen an den recht abwechslungsreichen Puzzles liegt (das Zelda-Rezept wirkt), zum anderen bietet Golden Sun eine interessante Geschichte und baut seine eigene, stimmige Rollenspielwelt auf.

Interessanter Aspekt dabei ist die Gewichtung von Gut und Böse mit ihren vielen Grauzonen. Schon die Motive der Protagonisten des zweiten Teils widersprechen denen des ersten: Wollten Isaac, Garet Mia und Ivan noch das Entzünden der Leuchttürme verhindern, ist das Entfachen der Feuer erklärtes Ziel von Felix mit seinen Begleitern Jenna, Cosma und Aaron. Zudem wird der erste Teil mit dem zweiten beim Zusammentreffen der Gruppen verwoben: Wer "Golden Sun" beendet hat, kann mittels Link-Kabel oder per Passwort die Daten auf "Die vergessene Epoche" übertragen.

Einzige wirkliche Schwäche des Spiels für erwachsene GBA-Nutzer sind die zuweilen recht jugendlichen Dialogen - in einem RPG, das spielerisch und auch von der Storyline durchaus auch ältere Daddler anspricht. Hier mag die Historie der Camelot-Nintendo-Kooperationen eine Rolle spielen: Mit Mario Tennis und Mario Golf entwickelte Camelot durchaus anspruchsvolle Sportspiele im Kiddie-Look für N64 und GameCube (für letzteren erscheinen die beiden Titel in Deutschland erst 2004). Schon letztes Jahr bestätigte Camelot zudem ein Rollenspiel für den GameCube, genauere Details dazu und ob eventuell eine Verknüpfung zu den GBA-Titeln der "Golden Sun" Serie besteht sind bisher jedoch nicht bekannt.

Technisch bietet "Golden Sun: Die vergessene Epoche" - wie schon der Vorgänger - Grafik und einen Soundtrack auf höchsten Niveau und zeigt, dass viele Super-NES-Portierungen - darunter auch Nintendos spielerisch hervorragendes aber grafisch etwas angestaubtes Zelda: A Link to the Past - die technischen Möglichkeiten des GBA nicht annähernd ausschöpfen. Wichtiger als die Technik jedoch: Camelot erhöht sowohl inhaltlich als auch spielerisch mit der Fortsetzung von "Golden Sun" den Standard für RPGs auf Nintendos Handheld weiter. Nintendo zieht damit - sieht man einmal von der sprachlichen Gestaltung ab - wie schon mit Advance Wars (vgl. Spaßiger Kleinkrieg), dessen Nachfolger ebenfalls frisch erschienen ist, und Metroid Fusion den GBA aus der Kinderspielzeugecke ins Lager der ausgewachsenen Spieler.