Auf der Suche nach dem inneren Feind
Griechenland macht sauber
Erstmalig wurde in Griechenland die von den Nationalsozialisten in Hitlerdeutschand bekannte Methode der "kollektiven Schuld" angewandt. Gleichzeitig wehren sich die seit 2002 einsitzenden Gefangenen aus dem Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der "Revolutionären Organisation 17. November" (17N) mit einem Hungerstreik gegen Isolationshaftbedingungen à la Stammheim.
Antiterrorgesetz, elektronische Überwachung der Bürger, Einführung der Isolationshaft und Verurteilungen ohne Beweise: Nach dem erfolgreichen Test des Abbaus von demokratischen Rechten während der Olympischen Spiele räumt Griechenland nun im Inneren des Landes kräftig auf.
Gerade noch rechtzeitig vor den Olympischen Spielen hatte das griechische Parlament am 24. Juni 2004 sein neues Anti-Terror Gesetz verabschiedet. Den von der EU eingeforderten Vorgaben folgend definiert das Gesetz eine terroristische Handlung als
Handlung, die mit Methoden oder in einem Ausmaß oder unter Bedingungen ausgeführt wird, die geeignet sind, dem Land oder einer internationalen Einrichtung ernsthaft zu schaden; das Ziel hat, ein größere Zahl von Menschen in Angst zu versetzen oder eine staatliche oder internationale Einrichtung zur Ausübung einer Handlung zu zwingen oder diese zu verhindern oder darauf gerichtet ist, die verfassungsrechtlichen, politischen oder ökonomischen Fundamente eines Landes oder einer internationalen Einrichtung zu zerstören oder ihnen ernsthaft zu schaden
Auch die Androhung einer terroristischen Tat sowie die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – in welcher Form auch immer – wird unter Strafe gestellt. Erstmalig eingeführt wird auch der "terroristische Einzeltäter": Statt den bisher nötigen drei Mitgliedern für eine terroristische Vereinigung können nun auch Taten eines Einzelnen als terroristische Handlungen bestraft werden, sofern sie unter die oben genannte Definition fallen. Wer beispielsweise aus Wut, weil er von dieser Firma entlassen wurde, ein Büro der staatlichen Telefongesellschaft OTE in Brand setzt, wird nun nicht wie bisher wegen Brandstiftung, sondern nach dem ein wesentlich höheres Strafmaß vorsehenden Anti-Terror Gesetz verurteilt.
Der nächste Schritt in den griechischen Polizeistaat war der Aufbau eines elektronischen Überwachungssystems, vorgeblich für den Schutz der Olympischen Spiele. Aber schon kurz nach seinem Amtsantritt im März dieses Jahres hatte der griechische Minister Giorgos Voulgarakis klargestellt, dass es nicht seine Absicht sei, ein System, das etwa 300 Millionen Euro gekostet hat, lediglich für den kurzen Zeitraum der Olympischen und Paralympischen Spiele zu nutzen. Folgerichtig sind die etwa 300 mit Mikrofonen und Megafonen ausgestatteten Hochleistungskameras an zentralen Plätzen und Straßen der griechischen Hauptstadt weiterhin im Einsatz. Die von den Kameras und Mikrofonen aufgezeichneten Daten werden für Speicherung und Auswertung an die im Polizeipräsidium beheimatete Zentrale für öffentliche Sicherheit weitergeleitet.
Das amerikanische Institute for Applied Autonomy erläutert auf seiner Website, nach welchen Kriterien Sicherheitskräfte ihre Ziele und Daten auswählen. Das besondere Interesse der (meist männlichen) Beobachter gilt dabei Frauen, Angehörigen von Minderheiten und sonstigen "Outsidern", männlichen Farbigen und nicht zuletzt Aktivisten.
Dementsprechend ist es sicherlich weder ein Zufall, noch ein Einzelfall, dass auch angeblich ausschließlich der Verkehrüberwachung dienende Kameras nachgewiesenermaßen im August von der griechischen Polizei auf eine Versammlung streikender Hotelangestellter gelenkt wurden.
Zusätzlich zur lückenlosen Kontrolle und der Androhung harter Strafen für den Verstoß gegen das staatliche Gewaltmonopol zeigte der griechische Staat jüngst auf, wie er gegen tatsächliche und mutmaßliche Staatsfeinde vorzugehen gedenkt: Im Prozess gegen mutmaßliche fünf Mitglieder der griechischen Stadtguerilla-Organisation "Revolutionärer Volkskampf" (ELA) wurden vier Angeklagte trotz eines eklatanten Mangels an Beweisen – keinem der Angeklagten konnte die tatsächliche Teilnahme an einer der ihnen zur Last gelegten Aktionen nachgewiesen werden – zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Angeklagten Christos Tsigaridas, Angeletos Kanas, Konstantinos Agapiou und Irini Athanasaki waren 2003 auf Anschuldigungen der Hauptbelastungszeugin und ehemaligen Ehefrau des Angeklagten Angeletos Kanas verhaftet worden. Lediglich gestützt auf die widersprüchlichen Aussagen der Belastungszeugin Sofia Kiriakidou sowie auf die den griechischen Behörden schon 1993 übergebenen Auszügen aus STASI Akten, deren juristische Verwendbarkeit international verworfen wird, leitete das Gericht die Mitgliedschaft dreier Angeklagter im ELA ab. Christos Tsigaridas hatte schon zu Beginn des Prozesses im Februar dieses Jahres eine Mitgliedschaft in der Organisation eingeräumt, jede Beteiligung an der ihm zur Last gelegten Taten aber bestritten.
Die Staatsanwaltschaft hatte während des gesamten Prozesses keinen einzigen Indizienbeweis wie Fingerabdrücke, Waffen- oder Sprengstofffunde etc. vorlegen können. Gestützt auf die in einem Fall zugegebene und in drei Fällen von der Zeugin behauptete Mitgliedschaft der Angeklagten im ELA befand das Gericht die vier trotzdem schuldig der Beihilfe in 41 Bombenanschlägen und einem versuchten Bombenanschlag sowie der Beihilfe in einem Mord und 48 Mordversuchen. Das Gericht folgte damit den Vorgaben der Staatsanwaltschaft von der "kollektiven Schuld" der Angeklagten: Da die Angeklagten Mitglieder im ELA waren, haben sie in welcher Form auch immer Beihilfe zu seinen Aktionen geleistet und sind damit verantwortlich für alle Aktionen der Organisation. Die insgesamt vom Gericht verhängten 1174 Jahre für jeden Verurteilten werden auf die vom griechischen Gesetz festgelegte Höchststrafe von 25 Jahren reduziert.
Den Schlussstein in der Konstruktion des griechischen Staates zur Bekämpfung des inneren Feindes bilden die Haftbedingungen für politische Gefangene. Die 14 im letzten Dezember verurteilten mutmaßlichen Mitglieder der griechischen Stadtguerilla "Revolutionäre Organisation 17. November" (17N) verbüßen ihre Strafen in einem "Gefängnis im Gefängnis". Unter vollständiger Isolation von den anderen Gefangenen verbringen die Politischen ihre Tage in fensterlosen Zellen. Besuche sind nur von Angehörigen und Anwälten und nur hinter Trennscheiben gestattet. Der Hofgang findet in einem etwa 50 Quadratmeter großen Container mit Stahlwänden und einem Dach aus blickdichtem Draht statt. Diese Haftbedingungen verstoßen gegen griechische Gesetze und die Genfer Konvention. Während erstere eine "Sonderbehandlung" von Gefangenen und insbesondere die Isolationshaft untersagen, verbieten letztere unter anderem ausdrücklich die Unterbringung von Gefangenen in fensterlosen Räumen.
Nach wiederholten Eingaben der Gefangenen wurde im Zuge eines Besuches des griechischen Justizministers im Gefängnis im September für kurze Zeit ein Teil der Stahlmauer des Containers entfernt, so dass die Gefangenen zum ersten Mal seit zwei Jahren ein Stück Himmel sehen konnten. Als die Lücke nach wenigen Tagen wieder geschlossen wurde, traten die Gefangenen in einen unbefristeten Kettenhungerstreik mit der Forderung nach Aufhebung der für sie geltenden Sonderhaftbedingungen. Dem am 18.9. als erster in den Hungerstreik getretenen Dimitris Koufontinas schlossen sich bisher vier Gefangene an, jede Woche folgt ein weiter Gefangener. Koufontinas hat mittlerweile schon über 12 kg verloren und wurde am 7.10. mit schweren gesundheitlichen Störungen ins Krankenhaus gebracht.