Ein schwarzer Tag für die Menschenrechte in Großbritannien

Gestern entschied die Berufungskammer des High Court, dass ausländische Terrorverdächtige ohne Anklage unbegrenzt festgehalten und durch Folter erpresste Geständnisse als Beweismittel für den Verdacht verwendet werden können

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Großbritannien ist mit seiner Labour-Regierung unter Tony Blair zu einer Art Klon der USA unter der Bush-Regierung auch im Kampf gegen die Menschenrechte und den Rechtsstaat geworden. Ähnlich wie die Bush-Regierung für "feindliche Kämpfer" oder andere Terrorverdächtige ein Willkürrecht in Anspruch nimmt, um Menschen beliebig und ohne rechtliche Mittel unbegrenzt einzusperren und mit mehr oder minderen Zwängen zu verhören, hat dies auch die britische Regierung mit ihrem 2001 ebenso eilig wie den Patriot Act (oder in Deutschland das "Otto-Paket") verabschiedeten Antiterrorgesetz getan.

US-Justiminister Ashcroft hatte bekanntlich nach dem 11.9. in einer Maßnahme, die Handlungsbereitschaft demonstrieren sollte, Hunderte von Menschen aus arabischen Ländern unter Terrorverdacht ohne Begründung festnehmen und einsperren lassen (Liberty Dies by Inches). Sie wurden teilweise monatelang ohne Rechtsbeistand festgehalten. Bei keinem wurde auch nur ein Hinweis auf die Nähe zu Terroristen festgestellt, sie hatten sich bis auf zwei oder drei Ausnahmen höchstens kleinerer Vergehen wie einer Überschreitung der Aufenthaltsdauer schuldig gemacht. Um mutmaßliche Terroristen unbegrenzt festhalten zu können, werden diese aber außerhalb des US-Territoriums in Lagern wie Guantanamo eingesperrt.

Nach dem britischen Anti-Terrorism Crime and Security Act 2001 ist selbst diese Hemmschwelle nicht notwenig, wenn es sich um Ausländer handelt, die in Zeiten des Terrorismus ihre Rechte einbüßen. Schon aufgrund des Vorliegens von "vernünftigen Gründen für den Verdacht", dass die Betroffenen in Verbindung mit Terrorgruppen stehen, dürfen sie unbegrenzt festgehalten werden. Und dies ist, wie acht seit Dezember 2001 in zwei Hochsicherheitsgefängnissen und einer ebenso gesicherten psychiatrischen Klinik Inhaftierte jetzt erfahren mussten, auch nach dem Antiterrorgesetz rechtens. Zwei weitere sind inzwischen in ihre Heimatländer zurückgekehrt, haben sich jedoch der Klage angeschlossen. Keiner der Zehn wurde beschuldigt, selbst terroristische Akte begangen zu haben.

Immerhin hatten sie überhaupt Klage einreichen konnten, auch wenn die meisten "Beweise" für den Verdacht geheim gehalten werden. Die Berufungskammer des High Court hatte gestern aber einstimmig die Klage zurück gewiesen und bestätigt, dass für Personen, die als "internationale Terroristen" verdächtig sind, unbegrenzte Haft auch ohne gerichtliche Untersuchung legitim sei.

Die im "britischen Guantanamo" Gefangenen (Großbritannien hat sein eigenes Camp X-Ray) werden unter anderem aufgrund Aussagen festgehalten, die von Gefangenen in Guantanamo oder im US-Stützpunkt Bagram stammen. Sie wurden womöglich unter Folter gemacht. Der britische Innenminister David Blunkett rechtfertigte dies auf eine skandalöse Weise. Obwohl in Großbritannien Folter verpönt sei, wolle man auf erfolterte Informationen nicht verzichten, wenn andere - in diesem Fall ein enger Verbündeter - sich dabei die Hände schmutzig machen:

Ich will ganz deutlich sagen, dass wir die Anwendung von Folter ohne Einschränkung verurteilen und dass wir mit unseren internationalen Partnern entschieden daran arbeiten, die Praxis zu beseitigen. Es wäre aber unverantwortlich, nicht jede Information zu berücksichtigen, die dabei helfen könnte, die nationale Sicherheit und den öffentlichen Schutz zu gewährleisten.

Auch hierin sieht die Berufungskammer keinen Einwand. Lord Justice Laws, einer der Richter, erklärte, dass es - wie auch, wenn Beweise als geheim klassifiziert werden? - keinen stichhaltigen Hinweis dafür geben, dass Informationen verwendet worden wären, die durch Folter oder andere Vergehen gegen die EU-Menschenrechtskonvention erpresst worden seien. Das zu behaupten, sei "ganz hypothetisch", was ganz offenbar nicht einem "In dubio pro re" folgt. Und zusammen mit dem Richter Lord Justice Pill urteilte er überdies, dass zur Verdachtsbegründung durchaus mit Folter erpresste Informationen verwendet werden dürfen, wenn die Folter nicht vom britischen Staat selbst oder von Organisationen, die direkt vom Innenminister beauftragt werden können, ausgeführt wurde. Der Innenminister, der die Inhaftierung zu verantworten hat, müsse zudem nicht berücksichtigen, wie die Informationen erhalten wurden.

Immerhin trug Lord Justice Neuberger in Bezug auf die Folter seine Minderheitsmeinung vor. Er erklärte, dass ein Verdächtiger nicht mit einem fairen Prozess rechnen könne, wenn Beweise durch Folter erzwungen wurden und wenn zudem diese Person nicht im Gericht zur Befragung erscheinen könne. Mit der Anerkennung von Foltergeständnissen würde Großbritannien als demokratischer Staat seinen Standpunkt im Kampf gegen den Terrorismus schwächen, weil dieselben Mittel übernommen werden.

Mit ihrem Urteil haben die Richter nach Menschenrechtsorganisationen der Folter Tür und Tor geöffnet, denn damit würde Großbritannien die Folterpraxis in anderen Ländern anerkennen und unterstützen. So könnten nun auch die britischen Sicherheitsbehörden Gefangene wie die amerikanischen Geheimdienste an andere Länder übergeben, in denen gefoltert wird. Shami Chakrabati, der Direktorin der britischen Menschenrechtsorganisation Liberty, die schon lange das Antiterrorgesetz bekämpft, kritisiert das Urteil, das eine scheinheilige Politik erlaube und Großbritannien zum Komplizen "internationaler Folter" mache. Kate Allen, Direktorin von Amnesty International in Großbritannien, ist entsetzt:

Das Herrschaft des Gesetzes und die Menschenrechte wurden zu Opfern der Maßnahmen, die nach dem 1.9. ergriffen wurden. Dieses Urteil ist moralisch und rechtlich ein Irtum.

Amnesty fordert, dass die Festgehaltenen angeklagt werden sollten, wenn es einen erkennbaren Straftatbestand gibt. Dann würde es einen Prozess geben, der den internationalen Maßstäben gerecht werden müsse. Wenn keine Anklage erhoben wird, müsste die Gefangenen frei gelassen werden.

Großbritannien hat die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert, nach der Folter und unmenschliche Behandlung verpönt ist. Auch nach dem gleichfalls von Großbritannien unterzeichneten Anti-Folter-Abkommen der UN ist die Förderung von Folter im Ausland illegal.