Großbritannien hat sein eigenes Camp X-Ray

Lebendig begraben im Betonbunker des Hochsicherheitsgefängnisses Belmarsh

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Großbritannien zählte zu den ersten Ländern, die sich über die Haftbedingungen der al-Quaida-Gefangenen auf der amerikanischen Militärbasis in Guantanamo Bay, bekannt als "Camp X-Ray", beschwerten. Das Außenministerium wurde allerdings erst dann aktiv, nachdem bekannt geworden war, dass sich auch drei Briten unter den Gefangenen befinden. Seit dem Wochenende jedoch kommt die Diskussion um britische Muslims nicht mehr zur Ruhe, die im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Südost-London eingesperrt sind.

Die Wochenzeitung Observer hatte am vergangenen Sonntag die Alarmglocken geläutet. Seit Wochen nämlich befinden sich acht Terrorverdächtige im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Gareth Peirce, Anwalt von einigen der Internierten, und eine Handvoll von Parlamentsabgeordneten der Opposition hatten die bitteren Haftbedingungen an die Öffentlichkeit gebracht. Die Gefangenen sind 22 oder 23 Stunden am Tag in ihren Zellen, ohne Möglichkeit zur Ausübung von körperlicher Betätigung. Laut Peirce werden sie von ihren Wärtern beschimpft und geschlagen. Die Möglichkeit zur Einhaltung der Gebetspflicht nach islamischen Vorschriften ist nicht gegeben, nur einmal die Woche, am Freitag, darf für 15 Minuten gebetet werden. Unterhaltung mit besuchenden Familienmitgliedern auf arabisch ist nur in Anwesenheit eines arabischsprechenden Aufsehers möglich. Kontakt mit einem Anwalt haben die meisten von ihnen erst seit kurzem. Die Vorwürfe reichen hin bis zu systematischen Verspottungen und Erniedrigungen bei regelmäßigen Ganzkörperdurchsuchungen.

Fast noch schlimmer als die Haftbedingungen selbst ist die gesetzliche Basis, auf der die Internierung erfolgte. Diese ist mit einem Zusatz zum Anti-Terrorgesetz vom Jahr 2000 gegeben, der nach dem 11.September erlassen wurde und es dem Staat ermöglicht, Terrorismusverdächtige ohne Anklage auf unbestimmte Zeit einzusperren. Die Klausel, die im Widerspruch zu Menschenrechtserklärungen und gängigen Rechtsnormen und -Praktiken steht, ist nur auf Personen anwendbar, die keine britischen Staatsbürger sind, aber zugleich nicht abgeschoben werden können, weil in ihrem Heimatland Tod oder Folter drohen könnten. Innenminister David Blunkett hatte die Internierung ohne Anklage als ein Mittelding zwischen Notwendigkeit im Kampf gegen den Terror und seltene Ausnahmeregelung zu verkaufen verstanden, das Gesetz war ohne allzugroßen Widerstand durch das Unterhaus und das House of Lords gegangen.

In der Praxis wirkt es sich jedoch ganz anders aus. Es wird vor allem gegen muslimische politische Agitatoren angewandt, gegen die keine direkten Beweise für eine Beteiligung an oder Unterstützung von terroristischen Taten vorliegen. Lägen diese Beweise vor, dann wäre mit dem ohnehin sehr drakonischen Terrorismusgesetz genügend Handhabe gegeben, die Verdächtigen anzuklagen. So aber befinden sich diese in einer gesetzlich beinahe einmaligen Situation in der demokratischen freien Welt - auf unbestimmte Zeit eingesperrt zu sein, ohne dass gegen sie überhaupt Anklage erhoben worden wäre. Laut dem Anwalt Peirce wird diese Situation von den Wärtern ausgenützt. Ohne Umschweife machen sie den Gefangenen klar, dass ihre Situation kein absehbares Ende hat. Da es keine Anklage gibt, ist die einzige gesetzliche Handhabe eine Berufung gegen die Internierung, die jedoch nicht von einem Gericht mit Anwalten und Geschworenen gehört wird, sondern nur von Haftrichtern in einem nicht öffentlichen Verfahren.

Nach der ersten Welle der Kritik hatte das Innenministerium erklärt, dass die Haftbedingungen die selben seien wie für alle Häftlinge der höchsten Sicherheitsstufe. Das liberale England hat sich davon scheinbar beruhigen lassen und sich inzwischen wieder anderen Problemen zugewandt. Nicht jedoch die Muslime. Anfang dieser Woche kam es in Leicester zu einer Serie von Verhaftungen gegen Menschen islamischen Glaubens, die in einer bislang kaum bekannten Moschee praktizierten. Einer Reihe von britischen al-Quaida-Verdächtigen wurden Verbindungen zu dieser Moschee nachgesagt. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden in einer großangelegten Razzia verhaftet. Der Großteil von ihnen wurde inzwischen wieder freigelassen und den noch in Haft verbliebenen werden Verstöße gegen Einwanderungsgesetzte zur Last gelegt. Doch der Unmut unter den Muslimen ist nicht mehr zu besänftigen. Selbst der ehrwürdige Muslim Council, eine Stütze der britischen Gesellschaft und stets auf Ausgleich bedacht, wandte sich gegen die Praxis der Internierungen ohne Anklage. Jüngere Muslims jedoch werden durch diese Vorgehensweise nur noch radikalisiert. Obwohl oft hier geboren und aufgewachsen, können sie sich nicht als Briten fühlen. Die Stimmung fasste der Autor Faisal Bodi in einem Kommentar für die Zeitung The Guardian zusammen, der schrieb, "wir haben keine Loyalität zu diesem Staat".