Auf lauten Sohlen
"Tom Clancy's Splinter Cell: Conviction" macht aus dem Schattenmann Sam Fisher einen wütenden Rächer
Als der US-Sender Fox im März das Ende der Serie 24 bekannt gab, waren wohl nur die hartgesottensten Fans traurig. Acht Staffeln lang hatte special agent Jack Bauer gegen den Terror gekämpft, hatte Bomben entschärft, Geiseln befreit und Schurken zur Strecke gebracht. Doch im Lauf der Jahre - Serienstart war 2001 – verbrauchte sich das "24"-Konzept zusehends: Immergleiche Versatzstücke ließen die einst hochspannende Serie nach und nach in die Beliebigkeit abgleiten. Während Bauer nun in den wohlverdienten Ruhestand geht, versucht ein anderer, ebenfalls in die Jahre gekommener Serienheld ein Comeback: Schleich-Spezialist Sam Fisher.
Das erste Splinter Cell erschien 2002, Conviction ist die nunmehr fünfte Ausgabe der Stealth-Reihe. Lange pflegten der TV- und der Videospiel-Held recht unterschiedliche Stile: Bauer schreckte in seinem Kampf gegen das Böse vor rein gar nichts zurück: Wenn es der Rettung der Nation diente, durfte auch schon mal gefoltert werden. Fisher hingegen war stets der High-Tech-Schattenmann: Lautlos infiltrierte er feindliche Lager, hangelte an Heizungsrohren über Wachen hinweg und griff mit chirurgischer Präzision aus dem schützenden Dunkel an – nicht ohne seine Opfer anschließend sorgsam zu verstecken.
Wer derart planmäßig vorgeht, braucht einen klaren Kopf: Fisher war der Inbegriff der Coolness, selbst in den schwierigsten Situationen hatte er immer noch einen staubtrockenen Spruch parat. Erst in Splinter Cell: Double Agent (2006) gestattete Ubisoft dem eiskalten Schleicher mehr emotionale Tiefe. Nach dem mysteriösen Unfalltod seiner Tochter quittierte Sam den Dienst bei "Third Echelon", einer geheimen Sub-Organisation der National Security Agency. Um das Trauma zu überwinden, ließ er sich aber wenige Monate später als Maulwurf in eine Terrororganisation einschleusen. "Double Agent" weist die üblichen Versatzstücke (Verschwörung, Terrorismus, Spionage) aus den Politthrillern des namensgebenden Bestseller-Autors Tom Clancy auf, dessen Werk natürlich auch "24" beeinflusst hat. "Double Agent" scheint sich direkt aus Staffel 3 von "24" bedient zu haben: Ähnlich wie Jack Bauer lässt sich Fisher ins Gefängnis werfen und bricht gemeinsam mit einem Terroristen aus, um dessen Vertrauen zu gewinnen. Im weiteren Spielverlauf muss Fisher mehrfach entscheiden, wie weit er in seiner Undercover-Rolle zu gehen bereit ist – ob er beispielsweise einen anderen Agenten tötet, um seine Tarnung aufrechtzuerhalten.
Dieser "schmutzige" Fisher, auch äußerlich mit Kahlkopf und Dreitagebart auf düster getrimmt, war aber immer noch ein Stückweit der Schleicher und Hacker früherer Tage. Dass "Conviction" nun auch das Gameplay einer Generalüberholung unterzieht, ist Ubisofts Mainstream-Ambitionen geschuldet: In Zeiten überaus erfolgreicher First-Person-Shooter wie "Crysis" oder "Modern Warfare 2" gilt Stealth-Action als weniger populäres Genre mit vergleichsweise bescheidenen Verkaufszahlen. "Wir müssen aufhören, Spiele zu produzieren, die super hardcore sind", sagt Creative Director Max Beland in einem Interview. Und erklärt auch gleich, was das bedeutet: "Wenn man der beste Elite-Agent der Welt ist – warum muss man dann an Simsen hängen und sich einen Zentimeter pro Minute vorwärtsbewegen?" "Conviction" sollte kein Geduldsspiel mehr sein, sondern schnell und direkt. Und Fisher ein Raubtier auf zwei Beinen.
Die "Conviction"-Story ähnelt mehr denn je einem klassischen Jack-Bauer-Dilemma: Fisher ist außer Dienst und immer noch auf der Suche nach dem Mann, der seine Tochter auf dem Gewissen hat. Die "Third Echelon"-Agentin Anna "Grim" Grímsdóttir gibt vor, mehr über den Mörder zu wissen, und spannt Fisher für ihre Zwecke ein: Er soll die dunklen Machenschaften des privaten Sicherheitsunternehmens Black Arrow untersuchen. Der zunehmend verworrene B-Movie-Plot tritt schon bald in den Hintergrund und macht dem neuen, aggressiven Gameplay Platz. Aus dem Tarn- und Taktik-Spezialisten ist eine Kampfmaschine geworden, eine Mischung aus Ninja, Jason Bourne und dem Batman aus Arkham Asylum. Von Deckung zu Deckung hechtend, eliminiert Fisher seine Gegner wahlweise mit gezielten Schüssen oder mit der blanken Faust. Längere Schleichpassagen sind die absolute Ausnahme, immer wieder gerät der Spieler in unvermeidbare Shoot-Outs. Übliche Hightech-Gimmicks wie Glasfaser-Kamera, EMP-Generator und Sonar-Brille gehören zwar immer noch zu Fishers Repertoire. Die Notwendigkeit, diese Gerätschaften auch konsequent einzusetzen, schwindet aber mit wachsendem Schusswaffenarsenal.
Schleich-Puristen werden bei diesem "massenkompatiblen" Stealth-Abkömmling die taktische Komplexität früherer "Splinter Cell"-Spiele vermissen - und natürlich den Nervenkitzel, dass schon ein kleiner Fehler fatal sein kann. Freunde temporeicher Action indes werden "Conviction" zu schätzen wissen. Dank eines leicht bedienbaren Deckungssystems pirscht Fisher nahezu mühelos durch die Kulissen, passende Verstecke schlägt das Spiel per Einblendung vor. Auch die Tarn-Anzeige hat Ubisoft geschickt gelöst: Ist Sam Fisher gut versteckt, wechselt das Spiel von Farbe auf Schwarzweiß. Die wohl wichtigste Gameplay-Neuerung nennt sich "Mark and execute": Hat Fisher einen Gegner im Nahkampf überwältigt, kann er anschließend mehrere Feinde markieren und mit einem einzigen Knopfdruck ausschalten. Geradezu filmreif setzt "Conviction" die wichtigsten Status-Updates in Szene: Fishers Missionsziele werden in riesigen Lettern auf die Umgebung projeziert - David Finchers Panic Room und GTA IV lassen grüßen.
Trotz aller Stromlinienförmigkeit merkt man "Conviction" an, dass es den Spagat zwischen Stealth und Action nur mit Mühe schafft. Besonders deutlich wird der Widerspruch in einer Rückblende, die Sam Fisher in den Irak-Krieg versetzt: Wie in einem 08/15-Shooter ballert er sich dort seinen Weg durch Autowracks und Ruinen. Noch misslungener sind die Verhör-Szenen, die sich quer durchs ganze Spiel ziehen und an Jack Bauers unseligste "24"-Momente erinnern: Auf der Suche nach Wahrheit misshandelt Fisher seine Gefangenen schwer, während dem Spieler nichts anderes übrig, als immer wieder dieselbe Taste zu drücken. Spätestens in diesen Momenten wünscht man sich den subtilen Schleicher früherer Folgen zurück. Wer die taktischen Aspekte von "Conviction" genießen möchte, sollte die Singleplayer-Kampagne bald hinter sich lassen: Im Coop- und im Multiplayer-Modus warten einige sehr reizvolle Aufgaben.
"Tom Clancy's Splinter Cell: Conviction" gibt es für Xbox 360 und PC