Auf verlorener Piste: Wintertourismus in Zeiten der Energie- und Klimakrise
Schlechte Zeiten für den Skisport in Österreich. Steigende Energiekosten, ausbleibende Wintergäste und fehlenden Konzepte für den Wandel setzen ihm zu. Energiefressende Schneekanonen tragen zur Verschärfung des Problems bei.
Die Stadt Villach hatte einmal ihr eigenes Skigebiet. Nicht allzu lange. In den 1960er-Jahren wurde ein Skibetrieb auf dem "Hausberg" Dobratsch errichtet. Um die Jahrtausendwende war Schluss. Seit 2002 wird hier nicht mehr Ski gefahren. Die Winter sind längst zu warm. Weil die Stadt 80 Prozent ihres Trinkwassers vom Berg bezieht, war künstliche Beschneiung zu gefährlich. Heute setzt man auf sogenannten "sanften Tourismus" und alle sind ganz glücklich damit.
Es wird von Hütte zu Hütte gestiefelt, in die Landschaft geschaut und Gastfreundlichkeit genossen. Das Gebiet ist jetzt Naturpark und wird als "nachhaltig" gelabelt. Im wesentlich ist der Park – selbstverständlich – für die Wanderlustigen mit dem eigenen Automobil zu erreichen. Ein Naturpark-Shuttle soll nun aber auch eine umweltfreundliche Alternative bieten.
Es fährt jeden Mittwoch und Samstag. Das entspricht der in Kärnten üblichen Frequenz für Öffentlichen Personennahverkehr – aber immerhin. Ein Modell für das 11,2 Milliarden Euro schwere Geschäft des auf Bergbahnen gestützten Wintertourismus in Österreich ist der Villacher Dobratsch wohl kaum.
Würden sich in St. Anton, Bad Gastein oder Kitzbühel am Abend in die Diskos füllen, nachdem den Tag über auf ausgedehnten Wanderungen das Naturschöne genossen wurde? Vielleicht eher dann doch nicht.
Superkrisenjahr 2022
Nachdem die ersten Ski-Weltcups dieser Saison abgesagt werden mussten wegen Schneemangel bzw. Schlechtwetter und nachdem immer deutlich wird, dass die Kosten für den touristischen Skibetrieb aufgrund der hohen Energiekostensteigerung weniger gewinnbringend sind, herrscht eine gewisse Krisenstimmung. Zwar war der Winter 20/21 noch ungewöhnlich schneereich, aber dies könnte eher ein Ausreißer gewesen sein.
Die für weite Teile Österreichs vorhergesagten 20 Grad an Allerheiligen lassen nun endgültig die Alarmglocke schrillen. Es war seit Januar viel zu trocken und es gab den üblen Saharastaub, der im Frühjahr das Abschmelzen von Schnee und Gletschern sehr beschleunigt hat, weil die dunklere, sandige Oberfläche mehr Sonnenenergie aufnimmt, als der weiße Schnee.
Dazu kam der ungewöhnlich heiße Sommer, der den üblichen Sommerschnee verhindert hat. Selbst in höchsten Lagen hat es fast nur geregnet hat. Und jetzt der wohl wärmste Oktober seit Beginn der Messaufzeichnung im Jahr 1776.
Wenn der Trend so weitergeht – und es gibt nur wenige, die dies bezweifeln –, dann müssten die Skigebiete immer höher hinaus, sofern das noch möglich ist. Die Saison wird sicherlich verkürzt werden; und letztlich würde sich der Betrieb nur durch intensives künstliches Beschneien aufrechterhalten lassen.
Das ist aber sehr energieaufwendig, von den Umweltschäden einmal abgesehen. Die nötige Energie wird jetzt zum Problem. Man versucht es trotzdem. Vier Tage lang waren die Skikanonen Tag und Nacht durchgelaufen am Rettenbachferner, dem Gletscher im Tiroler Ötztal. Genützt hat es nichts, der Weltcupauftakt in Sölden musste abgesagt werden.
Die Probleme sind vielfältig, aber die Verantwortlichen wollen nicht "depressiv" werden. Sobald es wieder schönen Pulverschnee gibt, kommen auch wieder der Touristen. So die jahrzehntelang gelebte Praxis. Die Fremdengäste müssen allerdings bis zu 20% mehr in den Hotels zahlen. Die Preise an den Sesselliften haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten ebenso verdoppelt.
Teuerung und Energieunsicherheit machen das Geschäft schwierig. Manche meinen das Produkt Skifahren sei einfach so gut, dass es das aushält. Aber es ist ja nicht nur die Energie. Einerseits ist Skifahren nicht mehr als Angebot so singulär, wie es vor einigen Jahrzehnten war. Es gibt dauernd Konkurrenz durch neue Trendsportarten.
Zugleich wächst eine Generation heran, die gewisse Klima- und Umweltängste nicht mehr verdrängen kann oder will. Wer die Schneise sieht, die Skipisten in die bewaldeten Hänge schneiden und sich nur ungefähr vorstellen mag, was Bau, Wartung und Betrieb von Seilbahnen kostet, der wendet sich schnell ab.
Die jetzt schlagend werdenden hohen Energiekosten geben möglicherweise nur die Kostenwahrheit wieder, die jahrzehntelang verdeckt werden konnte durch billige Treibstoffe. Neben den Kosten für die Skibetriebsanlagen sind es die Anfahrtswege (meist mit dem eigenen Auto zurückgelegt), die noch höhere Energiekosten und Emissionen verursachen. Die Konsequenzen sind leicht zu erkennen und schwer abzuwenden: Je länger und teurer der Anfahrtsweg auf die immer wenigeren Pisten ist, desto weniger Menschen werden sich die Ski anschnallen.
Projektierte Gegenmaßnahmen des ehemaligen Bundesministeriums für "Nachhaltigkeit und Tourismus" klingen wie das Pfeifen im nicht mehr verschneiten Walde. "Flexiblere Saisongestaltung", Erreichbarkeit "schneesicherer" Gebiete (durch Shuttles), "sanfter werden" (um vermutlich schlechten Gewissen vorzubeugen) und neue Angebotsgestaltung wie "Erlebniswege für Kinder" (das klingt sehr nach Spazierengehen, der anerkannten Lieblingsbeschäftigung aller Minderjährigen).
Eine Tradition stirbt
Skifahren ist allerdings wirklich sehr, sehr wichtig für Österreich. Mal abgesehen vom possierlichen Nationalstolz auf die "Ski-Asse", die Jahr für Jahr in Sportarten Medaillen einheimsen, die ohnehin nur in den Alpen betrieben werden, lieferte das Skifahren viel Identifikationsstoff.
Die Eltern brachten ihren Kindern das Wedeln bei, die Schule übernahm das Training in Skikursen und wer es mal gemacht hat, bestätigt: Es macht Spaß dabei zu sein, wenn sich Lageenergie in Geschwindigkeit übersetzt.
Selbst die Hasser hatten ihre Freude, wie beispielsweise Elfriede Jelinek. Sie beobachtete scharf, wie Kinder von ihren Eltern in Plastikrüstungen gepfercht wurden, um die Metallgestänge der Lifte zu beschicken. Deren stahlrohrumhüllte Zugangslabyrinthe und die unermüdlich Menschen durch die Luft schleifenden Liftapparaturen ähneln tatsächlich ein wenig Schlachthausfabriken.
Der Skibetrieb als Metapher für alltäglichen Missbrauch und Zwang. Enthüllungen über sexualisierte Gewalt im Skisport zeigten, die passionierte Sportskeptikerin und Nobelpreisträgerin hatte sich nicht alles nur eingebildet.
Ach ja, da war noch was. Ischgl hat Europa das Coronavirus gebracht. Ganz, ganz vielleicht sind da ein paar Dinge falsch gelaufen. Österreichische Gerichte ermitteln noch, nachdem sich leider Jan Böhmermann bereits sein vorschnelles Urteil gemacht hat. Dabei ging er zu sehr aufs Äußere.
Sicherlich die Hoteliers und Sesselliftbetreiber verbreiten manchmal einen gewissen "Sopranos"-Flair. Schwer erklärlich, sind es doch durchwegs hart arbeitende Unternehmer, die zugleich auch gerne öffentliche Ämter übernehmen und diese Doppelbelastung ohne Murren ertragen.
Nüchtern betrachtet und ohne Häme darf konstatiert werden, der Tourismus hat Tiroler Täler weltoffen gemacht. Er hat Reichtum gebracht und ein wesentlich weniger mühsames Leben beschert. Wo Sessellifte kreisen, tut sich niemand mehr Almwirtschaft an. Das wäre absurd. Ein Zurück zur Einheit mit Berg und Natur ist als Massenprogramm kaum denkbar. Und einen Plan B hat es nie gegeben.