Aufregung über die Tausenden von Waldbränden in Brasilien
In den Hintergrund tritt, dass Bolsonaro viele Pestizide und Herbizide zugelassen hat, die anderswo verboten sind. Sie vergiften Bevölkerung und werden mit den Agrarprodukten exportiert
Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro ist nicht nur ein Fan von Donald Trump, er eifert ihm auch nach. Als letzte Woche mehrere Feuer im Regenwald im Norden wüteten, hatte Bolsonaro den Einfall, ausgerechnet Umweltschutzorganisationen dafür verantwortlich zu machen, unter dessen Regierung die Brände stark zugenommen haben. Weil das auch für die Beobachtung von Waldbränden zuständige Institut für Weltraumforschung (INPE) darauf hingewiesen hatte, musste dessen Direktor zurücktreten und steht seitdem unter Beschuss. Im Mai sperrte das Umweltministerium 95 Prozent der Gelder, die für den Klimaschutz vorgesehen waren.
Jetzt also soll seine Politik, die ähnlich wie die Trumps den Schutz der Umwelt und des Regenwalds zugunsten des Profits senkt - die Landwirtschaft ist die größte Branche Brasiliens - , auch mit den Bränden nichts zu tun haben, die wegen der Trockenheit, aber wohl auch wegen der vermehrten Waldrodung entstehen, nichts zu tun haben. Weil Bolsonaro angeblich Gelder für die NGOs gestoppt habe, machte er diese dafür verantwortlich, gezielt Brände gelegt zu haben, um dies ihm und der Regierung in die Schuhe zu schieben:
Das ist der Krieg, mit dem wir konfrontiert sind. Die Brände wurden an strategischen Plätzen gelegt. Alle Hinweise legen nahe, dass sie dorthin gingen, um zu filmen und Brände zu legen. Das ist es, was ich glaube.
Möglicherweise hält er das selbst für glaubwürdig, weil er es selbst so machen würde, vermutlich setzt er auf die von ihm unterstellte Dummheit der Öffentlichkeit oder zumindest seiner Anhänger, solche Fake-News überzeugend zu finden. Der WWF verweist auf eine Studie des Instituts für Angewandte Ökonomische Forschung (Ipea), die die finanziellen Zuwendungen der Regierung zwischen 2010 und 2018 an NGOs untersucht hat und zum Ergebnis kam, dass nur 2,7 Prozent aller NGOs ganz unterschiedlicher Ausrichtung Gelder erhielten. Überdies gingen davon gerade einmal 5 Prozent in den Norden Brasiliens. Seit 2010 ist ein Rückgang der Zahlungen zu beobachten. Die Bolsonaro-Regierung, so der WWF, habe internationale Spenden an die Amazon Fonds blockiert, die u.a. für Feuerbekämpfungsmaßnahmen verwendet werden.
Wegen der Veränderung der Verwaltungsstruktur, der Ausschaltung des Leitungsrats und der zunehmenden Waldrodung haben Norwegen und Deutschland schon vor den Bränden die Zahlungen an den Fonds eingestellt. Kommentar Bolsenaros dazu: "Ist Norwegen nicht das Land, das Wale am Nordpol tötet und dort Öl fördert? Die können uns gar nichts beibringen. Nehmt das Geld und helft Angela Merkel, Deutschland wieder aufzuforsten." Die Gouverneure der Bundesstaaten, auf deren Territorien Amazonien liegt, wollen nun direkt mit Norwegen und Deutschland verhandeln. Bolsonaro hat ein Krisenkabinett gebildet, um Maßnahmen gegen die Waldbrände zu beschließen, und begann zurückzurudern, nachdem sich kaum mehr leugnen ließ, dass Farmer Waldbrände gelegt hatten. So war ein "Tag des Feuers" im Bundesstaat Para ausgerufen und dann auch Feuer gelegt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, warum dies nach der Ankündigung nicht unterbunden wurde.
Aufgrund des internationalen Drucks hatte Bolsonaro am Samstag der Armee die Anweisung gegeben, bei der Brandbekämpfung zu helfen und gegen Umweltvergehen vorzugehen. Angeblich stehen nun mehr als 43.000 Soldaten zur Verfügung. Sieben Bundesstaaten haben um Unterstützung gebeten. Aber er sagte auch gegen alle empirische Evidenz, dass es angeblich weniger Waldbrände gebe. Es brenne nur dort, wo legal abgeholzt werde. Der Wald verbrenne nicht, "wie die Leute sagen". Dagegen berichtet Globo, dass Altamira im Bundesstaat Pará alleine im August bislang 2223 registrierte, so viel wie seit 2005 nicht mehr. Letztes Jahr waren es nur 306.
Getwittert hatte dies u.a. der französische Präsident Macron ("Der Regenwald des Amazonas, die Lunge, die 20 Prozent des Sauerstoffs des Planeten produziert, brennt") und ließ dabei ein Foto veröffentlichen, das vor 20 Jahren gemacht wurde. Bolsonaro machte sich darüber lustig und warf Macron eine kolonialistische Haltung vor, veröffentlichte allerdings auf seinem Twitter-Account selbst ein aus dem Jahr 2015 stammendes Foto des Verteidigungsministeriums, das ein Flugzeug zeigt, das Wasser über einem Brand abwirft, um zu propagieren, dass Soldaten die Bekämpfung der Feuer verstärken. Das Verteidigungsministerium schob dann nach, dass das Bild nur zur Veranschaulichung dienen sollte.
Nach Auswertung von Satellitenbildern durch Wissenschaftler der University of Maryland stammen viele Feuer nicht von neuen Brandrodungen, sondern von bereits gerodeten Flächen, die jetzt in der trockenen Zeit durch Abbrennen auf den Anbau vorbereitet werden. Das geschieht jedes Jahr um diese Zeit, berichtet die New York Times. Gleichwohl gebe es auch mehr Brände, die Regenwald vernichten - und dies mit besonderer Intensität. Und insgesamt sind es 35 Prozent mehr als im Durchschnitt der letzten 8 Jahre. Mark Cochrane, ein Experte für Waldbrände und Ökologie der University of Maryland, erklärt dazu: "Alle Brände in dieser Region werden von Menschen gelegt." Sie seien kein natürliches Phänomen.
Brasilien wird überschwemmt mit Pestiziden, die als "landwirtschaftliche Verteidigungsmittel" gelten
In den Hintergrund ist eine weitere Folge der Politik von Bolsonaro gerückt, die den Umweltschutz zugunsten der Großgrundbesitzer zurückdrängt, was so weit geht, dass dies nicht nur negative Folgen für das Klima hat, sondern auch direkte für die menschliche Gesundheit. Unter Bolsononaro wurde Brasilien zum größten Einkäufer von Pestiziden, schon unter seinem Vorgänger Temer wurden mehr und mehr Pestizide zugelassen. Seit Amtsantritt von Bolsonaro wurden Verkäufe von 290 Pestiziden genehmigt, 27 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon profitierten Produkte der brasilianischen Unternehmen Cropchem und Ouro Fino, aber auch Arysta Lifescience, Syngenta, BASF und Monsanto. Letztes Jahr hob auf Antrag der Regierung ein Gericht das Verbot des Einsatzes von Glyphosat wieder auf.
Nach Greenpeace Unearthed wurden in Brasilien in den letzten 3 Jahren über 1200 Pestizide und Unkrautvernichter zugelassen. Von den 169 bis 21. Mai zugelassenen Pestiziden enthalten 78 Inhalte, die nach dem Pesticide Action Network als hochgiftig eingestuft werden, 24 enthalten Inhalte, die in der EU verboten sind. Von den 1270 Pestiziden und Herbiziden, die seit Temers Amtsantritt vor drei Jahren zugelassen wurden, enthalten 193 Wirkstoffe, die in der EU verboten sind.
Eine Folge könnte das Massensterben brasilianischer Bienen sein, von dem Imker berichten. Innerhalb von drei Monaten sind im Süden Brasiliens eine halbe Milliarde Bienen gestorben. Nach Analysen scheint meist Fipronil verantwortlich zu sein, ein Pestizid, das in der EU verboten ist und in den USA vom Umweltministerium als möglicherweise krebserregend eingestuft wurde, sowie Neonicotinoide, in der EU sind Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam seit 2018 verboten. Das deutsche Unternehmen Helm darf nun das Herbizid Paraquat, das auch von Syngenta und anderen vertrieben wird, in Brasilien verkaufen. Das hochgiftige Herbizid ist in vielen Ländern, auch in der EU seit 2007, verboten und wird allein in Zentralamerika für den Tod von Tausenden von Menschen verantwortlich gemacht. Neben sieben weiteren Pestiziden wurde für Brasilien von Helm auch Diquat zugelassen, das letztes Jahr in der EU verboten wurde.
Die Zulassungen betreffen nicht Produkte, sondern Wirkstoffe in Pestiziden und Herbiziden. Je mehr zugelassen werden, desto schwieriger wird es, deren Sicherheit zu kontrollieren. Wegen der Entwicklung von Resistenzen wird die Kombination der Wirkstoffe verändert. Nach dem brasilianischen Gesundheitsministerium gab es 2018 15.081 Fälle von Pestizidvergiftung, die wirkliche Zahl dürfte deutlich höher sein, wie man nach Bloomberg auch dort einräumte.
Ein Gesetz soll die ZUlassung von Pestiziden weiter "entbürokratisieren"
Es steht zu erwarten, dass die Zulassung von Pestiziden durch ein neues Gesetz noch leichter gemacht wird. Sie sollen als "landwirtschaftliche Verteidigungsmittel" eingestuft werden, während die Anforderung, den möglichen Schaden anzugeben, durch eine Risikoanalyse ersetzt werden könnte. Das Umwelt- und das Gesundheitsministerium sollen kaum mehr etwas zu sagen haben. Das nennt man "Entbürokratisierung". Nach der letzten Lebensmittelanalyse der Gesundheitsbehörde Anvisa wurden in 20 Prozent der Proben Pestizidrückstände über der zugelassenen Menge oder von nicht zugelassenen Pestiziden gefunden. Nach Rückständen von Glyphosat, dem am meisten eingesetzten Pestizid, wurde gar nicht erst gesucht.
Mindestens 82 der in diesem Jahr bislang zugelassenen Pestizide werden selbst von Anvisa als "hochgiftig" bezeichnet. Die Menschenrechtsorganisation HRW hat bereits letztes Jahr in einem Bericht gezeigt, dass auch Menschen in einiger Entfernung von Feldern, die mit Pestiziden besprüht werden, Vergiftungssymptome zeigten. Die Vorgängerregierung hatte daraufhin erklärt, Pufferzonen mit größerem Abstand einzurichten, was aber bislang nicht geschehen ist. HRW fordert nun die Regierung auf, schnell die Auswirkung von Pestiziden auf die Landbevölkerung zu untersuchen und währenddessen ein Moratorium für das Versprühen aus der Luft und am Boden in der Nähe von Häusern oder Schulen zu verhängen. Wenn Regierung den Einsatz nicht streng regulieren, könne dies zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen, eine Aussetzung könne schweren Schaden für die Gesundheit verursachen, das Grundwasser vergiften und der Umwelt schaden.
Als Exportland könnte Brasilien, wenn es Landwirtschaft zu einem Giftland mutiert, das seine Bewohner krank macht und vergiftet, bei der Fortsetzung dieses brachialen Wegs schweren Schaden erleiden. Immer mehr Menschen wollen keine Pestizid belasteten Lebensmittel, zumal wenn sie hochgiftig sind, verzehren. Auch in Brasilien verstärkt sich der Trend.
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