Aufregung um Cannabis: Rauschgift, Droge oder Heilmittel?

Seite 2: Cannabis-Patienten in der Notaufnahme

Bei Eva Hoch et al.8 aus der Expertengruppe, die gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit (der Regierung Merkel) recherchierte, klang es noch etwas zurückhaltender. Ihre Projektgruppe hatte 18 Monate lang den wissenschaftlichen Kenntnisstand der Cannabisforschung in einer "State-of-the-Art"-Literaturrecherche in fünf internationalen Datenbanken nachgelesen.9

Die aufgedeckten Risiken des Cannabiskonsums zum Freizeitgebrauch können künftig für eine gezieltere Prävention, Früherkennung und Behandlung genutzt werden. Im Bereich der medizinischen Anwendung von Cannabis kann die dargelegte Evidenz der Entwicklung von Behandlungsempfehlungen dienen.

Eva Hoch et al.

Hoch et al. griffen bei ihrer Datenbanksuche zwangsläufig auch auf viele Studien zurück, die noch unter Bedingungen der Cannabis-Kriminalisierung entstanden waren, was Effekte der Droge mit solchen der Kriminalisierung vermischt haben könnte.

Neuere Studien können auch legalen Hanf-Konsum erforschen. Etwa George Sam Wang et al.10 untersuchten steigende Zahlen von Besuchen in Notaufnahmen im Zusammenhang mit Psychosen und Schizophrenie in den Vereinigten Staaten bezüglich der Hanffreigabe in Colorado.

Ziel ihrer Studie war es, die Auswirkungen der Legalisierung von Cannabis auf Psychosen und schizophreniebedingte Arztbesuche in Colorado zu untersuchen.

Sie fanden einen positiven Zusammenhang zwischen der Anzahl der Cannabisabgabestellen und den Raten der Psychosefälle in Notaufnahmen. Sie beschreiben eine starke Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen chronischem Konsum von hochpotentem Cannabis und der Wahrscheinlichkeit, Symptome einer Psychose zu entwickeln.

Obwohl unklar sei, ob der Zugang zu den Produkten oder die Art der Produkte für diesen Zusammenhang verantwortlich war, folgern sie, dass nach der Legalisierung von Cannabis ein potenzieller Einfluss auf die psychische Gesundheit der lokalen Bevölkerung vorliege. Das angedeutete Fazit: Cannabis kann Psychosen auslösen.

Eine alternative Erklärung berücksichtigen Wang et al. jedoch nicht: Leidet der benommen oder panisch in der Notaufnahme auftauchende Cannabis-Patient unter einer Psychose, sehen sich womöglich Ärzte in ihrer überkommenen Vorstellung von einer "Cannabis-Psychose" fälschlicherweise bestätigt; die Selbstmedikation mit THC ist aber bei den häufigen Ängsten und Schlafstörungen von Psychotikern keine Seltenheit.

Probleme der Dosierung

Auch die Medizin selbst setzt inzwischen zunehmend Hanfmedikation bei solchen Symptomen ein und auch dort besteht das Problem der richtigen Dosierung. So erklärt sich möglicherweise das Zunehmen der notfallmedizinischen Diagnosestellung "Cannabis-induzierte Psychose" bei Freigabe von Hanf durch zwei Faktoren:

1. Leichteren Zugang von bereits an Psychosen leidenden Menschen zu Cannabis zur Selbstmedikation und

2. Probleme bei der Dosierung der für viele neue Konsumenten der erstmals legal erhältlichen Genussdroge. Zu diesem Schluss kommt auch Hammond.11

Die Kenntnis der Dosierung ist nicht nur wichtig für Personen, die Cannabis verantwortungsbewusst konsumieren wollen, sondern kann auch negative Folgen einer Überdosierung verhindern, darunter Panikattacken und im schlimmsten Fall psychotische Episoden.

David Hammond

Hammond plädiert für präzise Dosierungsanweisungen bei kommerziellen Cannabisprodukten. Ihm ist zuzustimmen: Das Verkaufen dieser neuen Droge im Supermarkt heißt nicht, dass Cannabis-Konsum harmlos ist.

Vor allem für junge und Erst-Konsumenten gilt höchste Vorsicht, langsame Höherdosierung in ruhiger Umgebung. Medien und Schulen sollten hier vermehrt fundiertes Wissen vermitteln, ohne auf unglaubhafte, wenn auch pädagogisch gut gemeinte Übertreibungen der Schädlichkeit von Cannabis zu setzen.

Für manche ist die Droge Cannabis einfach nichts, sie sind hypersensibel oder im Gegenextrem: merken nichts. Ursache dafür ist vermutlich eine individuelle Ausprägung des Endocannabinoid-Systems im menschlichen Körper, in dem Cannabis seine Wirkung entfaltet.

Einer Freigabe von Cannabis stehen nun nur noch EU-rechtliche Probleme im Weg, die aus internationalen Verträgen resultieren. Doch auch die EU verweist auf das letzte Ziel des Gesundheitsschutzes:12

Gemäß Art. 168 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV ergänzt die Union die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Verringerung drogenkonsumbedingter Gesundheitsschäden, einschließlich der Informations- und Vorbeugungsmaßnahmen. Ziel ist danach die Verringerung der mit dem Drogenkonsum einhergehenden Todesfälle sowie Gesundheitsschäden.

Vorgaben des Europäischen Unionsrechts