Aufregung um Cannabis: Rauschgift, Droge oder Heilmittel?

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Die angekündigte Legalisierung von Cannabis bleibt umstritten. Es gibt Gegenwind. Die Frage nach möglichen Risiken wird stärker ins Bewusstsein gerückt. Was dabei übersehen wird.

Ein umstrittenes Projekt ist die weiterhin für dieses Jahr angekündigte Legalisierung von Cannabis für den Freizeitgebrauch. Dem Regierungsvorhaben, das ca. 200.000 jährlich belangte Hanf-Konsumenten entkriminalisieren würde, bläst der mediale Gegenwind mitten ins Gesicht.

Dabei wäre das Einstellen der suchttherapeutisch nutzlosen Polizeiarbeit eine willkommene Erleichterung der überlasteten Justiz, die mit immensem Aufwand Tausenden harmloser Kiffer hinterherlaufen muss.

Praktiker aus Einrichtungen für Sucht- und Drogenberatung sehen, wie der aktuell vorgestellte Landes-Suchtbericht Mecklenburg-Vorpommern zeigte, die legale Droge Alkohol ganz oben auf der Liste der schädlichen Suchtmittel, doch das bislang illegale Cannabis steht schon auf dem zweiten Platz bei den Beratungssuchenden.

Der Bericht zeigt, dass zunehmender Cannabis-Konsum auch ein Generationen-Phänomen sein könnte: Der Altersdurchschnitt bei Ratsuchenden mit Alkoholproblemen lag bei 42 Jahren, bei Cannabis waren es nur 26 Jahre.1

Konservative Skeptiker reagieren empört auf die derzeit in vielen Ländern laufende Entkriminalisierung der Droge und warnen, dass bei einer Freigabe zu den bisherigen noch weitere Cannabis-Süchtige kämen.

Progressive rechnen dagegen, dass viele davon bisherige Alkoholiker sein dürften, wobei Alkohol die gefährlichere Droge sei: Vom Hirnschaden einer Korsakow-Psychose über lebensgefährliches Komasaufen unter Teenagern bis zur tödlichen Leberzirrhose, von alkoholisierter Gewalt bis zu Verkehrstoten sei Alkohol auf vielen Ebenen deutlich schädlicher als Cannabis.

Noch fraglicher als die relative Gefährlichkeit von Hanf ist die Nützlichkeit seiner Kriminalisierung, denn auch das zeitweilige Verbot von Alkohol in den USA hatte im frühen 20. Jahrhundert mehr Probleme geschaffen als gelöst. Vieles ist bei der Regelung von bewusstseinsverändernden Substanzen soziologisch, medizinisch und juristisch umstritten.2

Konservative Ängste, die von den Medien gerne bedient werden

Doch die Freigabe von Hanf als Freizeitdroge unterliegt auch kulturellen und politischen Vorbehalten: Als Hippie-Droge weckt der "Joint" konservative Ängste, die von den Medien gerne bedient werden, wobei sie die Ampel-Koalition mit Spott bedenken. Ein Spiegel-Titel zeigte im Sommer die fast rundum bekiffte Bundesregierung, die man so in die Alt-68er-Ecke stellen konnte.

Gesundheitsminister Lauterbach sah sich genötigt, beschwichtigend darauf hinzuweisen, dass Cannabis trotz geplanter Freigabe (bis 23 Gramm) eine gefährliche Droge bleibe, die man keineswegs verharmlosen wolle.

Amüsierte man sich zuerst noch über die alsbald erlaubten zwölf Samen, fünf Stecklinge oder drei Hanfpflanzen, so formiert sich zunehmend eine konservative Protestbewegung unter Führung der Medien, des Richterbundes und besorgter Kinderärzte.

Letztere durften im Gesundheitsmagazin Visite die furchteinflößende "Cannabis-Psychose" bemühen, heute diagnostisch herabgestuft auf eine "Cannabis-induzierte Psychose".

In den Warnungen der Ärzte fehlte der Hinweis, dass die psychose-ähnlichen Rauschsymptome, die nach Überdosierung von THC auftreten können, in den allermeisten Fällen nach ein paar Stunden Ruhe folgenlos wieder abklingen. Bei gegenüber Psychosen "vulnerablen" (verletzlichen) Personen kann so eine "bad trip"-Erfahrung zwar tatsächlich einen ersten psychotischen Schub auslösen.

Lebenslange Cannabis-Abstinenz ist jedoch keine Garantie für psychische Gesundheit: Auch andere einschneidende Erlebnisse wie der Tod eines Angehörigen, Verlust des Arbeitsplatzes, Prüfungsangst oder traumatische Erfahrungen mit Alkohol können eine Psychose auslösen.

Nebenbei bemerkt gehören Ätiologie und Diagnostik der Psychosen zu den umstrittenen Gebieten der Medizin und werden als stigmatisierend und wissenschaftlich zweifelhaft kritisiert.3

Cannabis-Entkriminalisierung weltweit

Die weltweite Welle der Cannabis-Legalisierung hat aber auch die Frage nach möglichen Risiken stärker ins Bewusstsein gerückt. Boyd und Sevigny4 nennen - die Niederlande und Portugal übergehend - Uruguay als ersten Legalisierungsstaat von 2013 gefolgt von Kanada 2018 und zahlreichen US-Bundesstaaten.

Zwischen 2014 und 2020 folgten den Vorreitern Washington und Colorado die Bundesstaaten Alaska, California, District of Columbia, Illinois, Maine, Massachusetts, Michigan, Oregon, Nevada, Vermont (mit jeweils eigenen Drogengesetzen).

Dabei finden sie die Legalisierung jeweils auch durch verschiedene Motive getrieben: In Uruguay etwa durch Sorge um die Gesundheit, in Colorado mit Blick auf Steuereinnahmen und Wirtschaftswachstum, in Washington durch gerechtere Justiz, denn die drakonischen Strafen treffen in den USA überproportional oft Schwarze und Latinos.

Letzteres wurde auch für Kanada festgestellt, wo schwarze und indigene Cannabis-User Ziel eines racial profiling werden.5 Der Psychologe und Telepolis-Autor Stephan Schleim geht noch weiter und sieht in konservativer Drogenpolitik gezielte Stigmatisierung:

Man hatte zu viele chinesische Gastarbeiter im Land, nachdem diese die Eisenbahnschienen verlegt hatten? Man hatte etwas gegen Mexikaner, Farbige oder Hippies? Also verbot man deren geliebte Substanzen: Opium, Haschisch, LSD. Damit hatte man einen rechtlichen Grund geschaffen, institutionell gegen sie vorzugehen, mit Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichten und Gefängnissen. Sie waren auf einmal "Drogenkriminelle". (…)

Und so wird aus der Drogenpolitik der Konservativen eine doppelte Stigmatisierung: Erst werden Menschen ausgegrenzt - etwa über konkrete Benachteiligung im Bildungs-, Wirtschafts- und Steuersystem. Wenn sie dann - freilich nicht alle, doch viele - zu bestimmten Substanzen greifen, um diese Ausgrenzungserfahrungen besser zu ertragen, folgt die zweite Ausgrenzung, jetzt als "Drogenkriminelle".

Stephan Schleim

Stephan Schleim weist in einem Buch von 2023 fundiert und wissenschaftlich ausführlich begründet auf die Problematik der umstrittenen Diagnostik von psychischen Erkrankungen hin, die auf Drogen zurückgeführt werden.

Ebenso schwierig und politisch umstritten sei die wissenschaftliche Bewertung der Gesundheitsschäden, die Drogenkonsumenten riskieren. Schleim verweist auf den Drogenexperten David Nutt, der seinen Posten beim "British Advisory Council on the Misuse of Drugs" verlor, weil er die Gefahren von Ecstasy mit jenen des Reitsports verglichen hatte - zuungunsten des Letzteren.

Die USA hätten ihre restriktive Drogenpolitik weltweit durchgesetzt, was heute auch zu den rechtlichen Problemen geführt habe, denen sich die aktuelle Cannabis-Legalisierung der Bundesregierung gegenübersieht.6

Einige deutsche Drogenexperten wie Jakob Manthey vom Hamburger ISD (Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung) sehen ebenfalls neben Risiken vor allem Chancen der Cannabis-Legalisierung.

Chancen lägen in der verbesserten Aufklärung über gesundheitliche Risiken und in der Früherkennung von riskantem Cannabis-Konsum. Außerdem könnten die durch die bisherige strafrechtliche Repression verursachten, umfangreichen Schäden reduziert bzw. verhindert werden.

Manthey verweist auf im legalen Raum mögliche Regulierung durch Mindestpreise und Besteuerung, Beschränkungen der Verkaufslizenzen usw., um den Konsum zu steuern und Schäden zu minimieren. Größere Unsicherheiten sieht er bei der Kommerzialisierung der Märkte sowie in der Regulierung des Eigenanbaus, erwartet jedoch, "dass durch eine sorgfältige Regulierung die individuellen und gesellschaftlichen cannabisbedingten Schäden reduziert werden können". 7