Aus für finnisch-russisches Atomkraftwerk
Rosatom-Tochter sollte Reaktor liefern: Als Folge des Krieges in der Ukraine ist das Projekt Hanhikivi endgültig tot. Die Stimmung in Finnland bleibt jedoch kernkraftfreundlich
Das umstrittene finnisch-russische Atomprojekt Hanhikivi im nordfinnischen Pyhäjoki ist nun auch offiziell tot. Betreiber Fennovoima hat den Liefervertrag für den Reaktor mit der Rosatom-Tochter RAOS gekündigt. Der Krieg in der Ukraine lieferte aber nur die letzten Sargnägel für ein Projekt, das schon lange mit massiven Problemen zu kämpfen hatte. Übrig bleibt eine Halbinsel mit neuen, leeren Gebäuden, denen der Zweck abhanden gekommen ist. Was ist das für ein Signal?
Die Geschichte von Fennovoima beginnt 2007. Damals war noch nicht absehbar, wie riesig die Probleme mit dem Bau von Olkiluoto 3 sein würden. Das Unglück von Tschernobyl war lange her und Fukushima noch nicht passiert. Die Gründer waren stromintensive Unternehmen und lokale Energieversorger mit der Hoffnung auf viel billigen Strom.
Als technischer Partner kam die deutsche E.on dazu. Das verlieh dem Projekt Glaubwürdigkeit und verschaffte ihm Zulauf von vielen weiteren lokalen Energieversorgern. Es wurden Angebote für Reaktoren von Toshiba und Areva eingeholt. Am gewählten Standort auf der Halbinsel Hanhikivi in der Kommune Pyhäjoki gab es eine politische Mehrheit für ein Projekt, das Arbeitsplätze schaffen sollte. Auch wenn dafür ein beliebtes Naherholungsgebiet geopfert werden musste. Und das finnische Parlament gab 2010 zumindest grundsätzlich grünes Licht für das Projekt.
Dann kam Fukushima. In Deutschland wurde der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Infolge dessen zog sich E.on auch aus dem Projekt in Finnland zurück. Fennovoima brauchte eine neuen Partner und fand ihn – in Rosatom. Der staatseigene russische Atomkonzern konnte alles bieten: Reaktortechnik und finanzielle Mittel.
Im Dezember 2013 wurde jener Liefervertrag für den Reaktor unterzeichnet, der nun gekündigt wurde. Es sollte eine neue Version der WWER 1200 -Reaktoren werden. Dieser Typ läuft inzwischen auch in Sosnowy Bor bei St. Petersburg. Ganz neu ist eine finnisch-russische Kooperation nicht: Das 40 Jahre alte Kraftwerk Loviisa läuft mit sowjetischen WWER-Reaktoren.
"Die Fennovoima-Saga hat so viele Wendungen hinter sich, dass es schwer zu verstehen ist, wie sie bis heute überlebt hat", so Hannu Tikkala, Politikjournalist beim finnischen Staatssender Yle. Der Wechsel des technischen Partners und die Wahl des russischen Reaktortyps waren ein solcher Wendepunkt, bei dem man das Konzept neu überdenken oder hätte aussteigen können, weil sich damit die Voraussetzungen gegenüber dem Grundsatzbeschluss von 2010 deutlich geändert hatten.
Doch der damalige finnische Ministerpräsident Alexander Stubb von den konservativen Kokoomus, jener Stubb, der jetzt heftig für den finnischen Nato-Beitritt wirbt, wollte das Projekt weiter führen, auch wenn es ihn letztlich den grünen Koalitionspartner kostete. Im Dezember 2014 – schon nach der Krim-Krise – stimmte das finnische Parlament mehrheitlich den Änderungen zu.
Mit einer neuen Eignerstruktur sollte aber sichergestellt werden, dass die Rosatom-Tochterfirma RAOS nie eine Mehrheit in dem Projekt haben würde. Dies erwies sich als gar nicht so einfach, denn unter den potenziellen Investoren war die Begeisterung gar nicht mehr so groß. Schließlich stieg unter anderem Fortum mit ein, mehrheitlich im Eigentum des finnischen Staates und Betreiber des Kernkraftwerks in Loviisa.
Inzwischen war Olkiluoto 3 längst über seinen ursprünglichen Fertigstellungstermin 2009 hinaus und noch nicht fertig. Bis heute liefert dieser Reaktor nur testweise Strom. Gerade erst wurde der kommerzielle Start auf September 2022 verschoben. Und auch die Planung von Hanhikivi ging langsamer voran als gedacht.
Die finnische Strahlenschutzbehörde war nicht zufrieden mit den Unterlagen von RAOS. Und so kommt es, dass heute auf der Halbinsel von Hanhikivi schon Straßen angelegt sind und Gebäude stehen, aber noch nicht einmal der formelle Bauantrag für den Reaktor gestellt ist. Das war für dieses Jahr geplant.
Im Herbst 2021 hatte das finnische Verteidigungsministerium bereits eine Neubewertung des Projekts aus der Sicherheitsperspektive gefordert. Politisch tot war das Projekt dann nach Kriegsbeginn – da hatte Wirtschaftsminister Mika Lintilä gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass es dafür eine Baugenehmigung gebe. Trotzdem gingen die Bauarbeiten auf Hanhikivi weiter. Und es gingen weiter Unterlagen bei der Strahlenschutzbehörde ein, wie Yle berichtete.
Erst jetzt hat Fennovoimas Geschäftsführung das Projekt gestoppt. Offizieller Hauptgrund für die Vertragskündigung sind die großen Verzögerungen. Der Krieg habe das Risiko noch erhöht. Raos sei nicht in der Lage gewesen, den Risiken zu begegnen.
Zum Druck auf Fennovoima dürfte beigetragen haben, dass Rosatom die Kontrolle im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja übernommen hat. Und ganz praktisch hätte RAOS vermutlich auch Probleme gehabt, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen: Der Druckbehälter des Reaktors sollte in Kramatorsk gegossen werden – jener Stadt, die durch eine Bombe auf den bevölkerten Bahnhof inzwischen international bekannt ist.
Finnlands Energiestruktur
Finnland hat erst spät begonnen, Windkraft auszubauen. Man hatte ja auf Atom gesetzt, aber das Kraftwerk wurde einfach nicht fertig. Zurzeit hat Finnland deshalb ein strukturelles Stromdefizit: Selbst bei optimalen Windbedingungen muss Strom importiert werden. Dieser kommt hauptsächlich aus Russland und aus Nordschweden. Aus Sicherheitsgründen hat Netzbetreiber Fingrid nun die Kapazitäten aus Russland von 1300 auf 900 Megawatt herabgesetzt. Finnland exportiert allerdings auch selbst Strom nach Estland.
Inzwischen wächst in Finnland die Windkraftbranche und deckte im vergangenen Jahr rund zehn Prozent des Stromverbrauchs. Weitere sind in Planung. 18 Prozent des Stroms kommen aus Wasserkraft, 26 Prozent aus Atomkraft. Liefert Olkiluoto endlich wie vorgesehen, könnte Finnland seinen heutigen Stromverbrauch bei guten Bedingungen decken.
Der Primärenergieverbrauch ist in Finnland anders strukturiert als in Deutschland. Gas und Kohle spielen eine viel geringere Rolle. Ein beliebter Energieträger sind dagegen Forstprodukte, die fast ein Drittel ausmachen.
Ein anderer traditioneller finnischer Energieträger ist Torf. Die CO2-Bilanz von Torf als Brennstoff ist allerdings ähnlich schlecht wie die von Braunkohle. Zum einen entweicht das CO2 schon bei der Zerstörung der Moorbodens, zum anderen bei der Verbrennung selbst. 2035 will Finnland klimaneutral sein, was für die Torf-Praxis keinen Raum mehr ließ.
Trotz heftiger Proteste schrumpfte die Torfwirtschaft sogar schneller als erwartet und machte im vergangenen Jahr nur noch 2,7 Prozent der Energieproduktion aus. Lokale Energieversorger kauften stattdessen unter anderem russische Hackschnitzel. Diese kommen nun nicht mehr über die Grenze, und Torf als einheimischer Energieträger wurde plötzlich wieder populär. Aber nur ein Teil derer, die eigentlich aufhören wollten, macht nun doch weiter.
Zukunft der Atomkraft in Finnland
Das Aus für ein Akw Hanhikivi wird an der allgemein kernkraftfreundlichen Stimmung in Finnland nichts ändern. Immerhin gibt es nun wenigstens zum nächsten Winter hoffentlich Strom vom Olkiluoto 3. Und daneben entsteht das Endlager, für das die Betriebsgesellschaft Posiva bereits die Betriebsgenehmigung beantragt hat.
Finnland will damit zum Beispiel werden für einen sicheren Umgang mit der Energiequelle als Retter in der Klimakrise und hat sich auch an der Seite von Frankreich für die entsprechend positive Beurteilung in der EU-Taxonomie eingesetzt. Und Fortum hat gerade eine Laufzeitverlängerung für die 40 Jahre alten Loviisa-Reaktoren beantragt – bis 2050.
Sind am Aus für Hanhikivi also nur "die Russen" schuld? Wäre es eine Erfolgsgeschichte geworden, wenn E.on dabei geblieben wäre? Darüber kann man im Nachhinein beliebig spekulieren. Olkiluoto 3 mit westlichen Lieferanten wurde mehr als drei Mal so teuer wie geplant und hat inzwischen 13 Jahre Verspätung. Immerhin darf Betreiber TVO darauf hoffen, dass es bald auch mal Geld für Kilowattstunden gibt.
Bei Hanhikivi ist viel Geld geflossen, ohne dass nun jemals eine Kilowattstunde verkauft wird. Welche Rechtsansprüche RAOS/ Rosatom noch geltend machen wird, ist zurzeit völlig unklar. Ebenso unklar ist, was aus den bereits fertigen Gebäuden wird.
Dass man nun einfach einen anderen Anbieter ins Boot holt, gilt aktuell als unwahrscheinlich. Zum einen, weil alles auf das Konzept von RAOS zugeschnitten war. Zum anderen, weil es nicht mehr genug Investoren dafür gibt. RAOS hatte einen Anteil von 35 Prozent. Und viele andere Teilhaber haben kein Interesse mehr, nachdem sie dort schon zu viel Geld in den Sand gesetzt haben.
Das finnische Atom-Experiment zeigt aber zumindest eins: Atomkraft ist weder eine schnelle noch eine billige Energielösung.